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Kultur: Alhambra des Nordens

Es war wie ein böses Erwachen, als 1985 das Kunstgewerbemuseum am Kulturforum seine Pforten öffnete.Selten wurde in Berlin ein Neubau von Fachkritik und Publikum gleichermaßen so einhellig kritisiert.

Es war wie ein böses Erwachen, als 1985 das Kunstgewerbemuseum am Kulturforum seine Pforten öffnete.Selten wurde in Berlin ein Neubau von Fachkritik und Publikum gleichermaßen so einhellig kritisiert.Es kam zu dem ebenfalls ungewöhnlichen Vorgang, daß dem ausführenden Architekten Rolf Gutbrod daraufhin die weitere Gestaltung des Kulturforums aus der Hand genommen wurde.Sein Entwurf aus den sechziger Jahren war nicht mehr zeitgemäß, die Architektur seiner "Stadtlandschaft" nicht mehr überzeugend.

So kam es einem Paradigmenwechsel gleich, als 1987, nach einem engeren Wettbewerb, die Münchner Architekten Heinz Hilmer und Christoph Sattler beauftragt wurden, das Kulturforum weiterzubauen.Das Kupferstichkabinett, die Kunstbibliothek und die zentrale Eingangshalle waren freilich in Planung und Bau so weit fortgeschritten, daß sie nach den alten Plänen realisiert werden mußten; keine leichte Aufgabe für die Architekten, die nun die Gemäldegalerie anzufügen hatten.

Hilmer und Sattler verwarfen Gutbrods Idee der "Stadtlandschaft", aber auch das städtebauliche Grundmuster der großbürgerlichen Villen im Tiergartenviertel und verlegten sich auf die Ergänzung der Blockstruktur.Den Anstoß gaben die beiden auf dem Grundstück erhaltenen Altbauten, die Villa Parey und das Palais Gontard, deren Flucht und Traufhöhen übernommen wurden.Die Architekten versagten es sich jedoch, durch Gliederung des Baukörpers die Vorkriegsparzellierung zu imitieren, sondern entwarfen lange, kaum gegliederte, fast an Industriebau gemahnende Fassaden.

Kaum je in den vergangenen zwei Jahrzehnten gab sich ein Museum dieser Größenordnung und Bedeutung so bescheiden.Klassisch-ruhig tritt der Bau in Erscheinung, doch nicht ohne Manierismen: Der Granitsockel, ein Thema des Kulturforums, mit seiner florentinischen Rustika-Andeutung, ist durch große Fenster geöffnet (die freilich auf Grund einer Nutzungsänderung großenteils zugehängt werden müssen), das Obergeschoß hingegen erscheint geschlossen, weist wenig offene Fenster, in der Mehrzahl jedoch besonders hermetisch wirkende Blendfenster-Nischen auf.

Wie ein "Schatzkästlein" soll das Haus wirken, beherbergt es doch manche Meisterwerke, von denen zwei ausreichen würden, den ganzen 240-Millionen-Bau zu finanzieren.Ein wenig wird der feste, starke Eindruck an jener Stelle gestört, wo die Südtreppe aufsteigt und sich der Granitsockel unharmonisch ebenfalls hochtreppt.Dort entlarvt sich die vermeintliche solide Baustruktur als die übliche dünne Vorblendfassade.Ein Pfund, mit dem Museumsarchitekten gemeinhin wuchern können, war Hilmer und Sattler nicht gegönnt.

Die Eingangssituation, oftmals Ort aufwendiger Inszenierung des Empfangens und Imponierens, war vorgegeben in Form der Gutbrodschen zentralen Verteilerhalle, die mit ihrer diffusen Orientierung dieser Funktion kaum gerecht wird.Hilmer und Sattler versuchten, mit einer Rotunde als Auftakt ihrer Raumfolge die Konfiguration des Foyers aufzufangen und ihr eine neue Richtung zu geben.Eine Rotunde mit einem Turmhelm, der an Bruno Tauts expressionistische Pavillons erinnert.Damit wird ein erstes Mal das Thema Licht behandelt, das im Museum eine Hauptrolle spielt, hier facettenartig gebrochen, als flutende Kaskade.

Ein seltsamerweise wenig ausformulierter Durchgang geleitet in die zentrale Stützenhalle, der spektakulärsten architektonischen Raumschöpfung der neuen Gemäldegalerie.Die dreischiffige, elfachsige Halle, ist mit flachen Kuppeln, sogenannten "Böhmischen Kappen" gedeckt, in deren Zenit jeweils ein Rundfenster, ein Okulus, dem Sonnenlicht Zutritt gewährt.Der großartige Raum mit seinem Naturlichtspiel hat transitorischen Charakter, er beherbergt keine Gemälde, er dient der Sammlung der Besucher, nicht der Versammlung, er ist Orientierungszentrum für das ganze Museum und bietet Entspannung während des Rundgangs.Ein Beckenbrunnen verstärkt die Assoziation der Pfeilerhalle an die Alhambra; Walter de Maria hat den Brunnen geschaffen, die "5-7-9-Serie".

Zwei Schichten von Ausstellungssälen umlagern die Halle und sind von ihr aus zugänglich, überaus ruhige, konventionelle Säle in der Museumstradition des 19.Jahrhunderts mit Holzparkettböden (Eiche dunkel geräuchert), Sockeln und gestuften Türgewänden (Betonfertigteile), in gedeckten Farben bespannten Wänden (Samt, grau, rot, grün oder blau), Vuten und Glasdecke.Blendfrei gestreutes und UV-gefiltertes Tageslicht fällt ein und bringt die Gemälde geradezu zum Leuchten.Nur an dunklen Tagen muß dann mit Kunstlicht nachgefüttert werden.

Kleine Ruheräume mit edlen Holzbänken in den Ecken der Anlage, die einzigen mit Fenstern und Blickkontakt nach draußen, ergänzen das Raumangebot.Der Streit unter den Kunsthistorikern über die farbigen Kabinette ist vorprogrammiert.Der Wirkung der Bilder aus sieben Jahrhunderten sind sie sicher nicht abträglich.Sie dienen der Orientierung in diesem nicht mit einem Zwangsrundgang organisierten Haus, und sie stimmen auf die Bilder ein, wenn man sich nach links wendet, um die Kunst südlich der Alpen, nach rechts, um die nördlich der Alpen aufzusuchen, eine Einteilung, die noch von Wilhelm von Bode stammt.Gleichfalls historische Vorbilder hat die öffentlich zugängliche Studiengalerie im Erdgeschoß.Wie in Panninis "Imaginärer Gemäldegalerie" hängen hier 400 Bilder dicht an dicht.Der bogengedeckte Flur mit seiner dezenten Beleuchtung ist der atmosphärisch intensivste Raum der Gemäldegalerie.

Ein epochaler neuer Museumsbau mit revolutionärem Konzept und spektakulärer Architektur ist die Gemäldegalerie nicht.Mehr noch als von Branca in München oder Stirling in Stuttgart haben Hilmer und Sattler in Berlin das Museum des 19.Jahrhunderts verinnerlicht, mit seinen Oberlichtraumfolgen, seinen Enfiladen, Rund- und Achteckräumen.Sie vertrauen auf ein bewährtes Konzept der Präsentation von Kunst alter Meister, für dessen Beibehaltung es gute Gründe gibt.Sie haben keine postmodernen oder neohistoristischen Portale und Gesimse entworfen, sondern sich mit schlichten Betonprofilen beschieden.

An diese Ambivalenz wird man sich gewöhnen müssen.Die Bilder von kaum schätzbarem Wert, von Botticelli bis Rembrandt, von Dürer bis Vermeer, werden wohl davon profitieren.Vor allem jedoch vom großartigen Tageslicht, dessen Regie nach dem ersten Augenschein meisterhaft gelungen scheint.

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