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Deutschland, bleiche Mutter. Gabi Dauenhauer mit der politischen Spitze. Foto: dpa

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Kultur: Alle Brüder werden Menschen Szenische Erstaufführung in Leipzig: das „Deutsche Miserere“ von Brecht und Dessau

„Lasst und die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind“, ruft Bertolt Brecht 1952 auf dem Weltkongress der Völker in Wien aus. „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!

„Lasst und die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind“, ruft Bertolt Brecht 1952 auf dem Weltkongress der Völker in Wien aus. „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!“ Den Krieg ein für allemal zu ächten, war die Idee, die Brecht und Paul Dessau mit ihrem „Deutschen Miserere“ verfolgten, jenem gewaltigen, im amerikanischen Exil entstandenen Buß-Oratorium, das nach dem Zusammenbruch des Nazireiches dann doch niemand in Deutschland hören wollte.

Durch Erinnerungsarbeit ist die Vergangenheit nicht zu bewältigen – weil das eine unmögliche Sehnsucht bleiben muss. Aber neue Generationen stark zu machen für das ewige Ringen um den Frieden, das ist die Idee, die Dietrich Hilsdorf mit seiner szenischen Erstaufführung des „Miserere“ an der Leipziger Oper verfolgt.

Von Peter Konwitschny, dem Chefregisseur des Hauses, kam die Bitte, Dessaus Werk auf die Bühne zu bringen – auch als Geste der Wiedergutmachung. Schon sein Vater, der Dirigent Franz Konwitschny, hatte 1951 vorgehabt, die Vertonung von Brechts „Kriegsfibel“ in Leipzig uraufzuführen, symbolträchtig am 8. Mai, dem Tag der Befreiung. Dann aber geriet an der Berliner Staatsoper „Das Verhör des Lukullus“ ins Visier der Zensoren, die zweite bedeutende Zusammenarbeit von Brecht und Dessau. Vor allem die avancierte Musik sah sich dem stalinistischen Totschlagargument des Formalismus ausgesetzt. In Wahrheit aber fühlten sich die Parteibonzen dadurch brüskiert, dass die Proletarier in dem Stück nicht als lupenreine Antifaschisten dargestellt werden.

Durch das Berliner Verfahren kippte automatisch auch das Leipziger Projekt, zumal das „Miserere“ die Deutschen noch expliziter als Volk von Opfern und Tätern zeigt als die Oper. Erst 1966 konnte Dessau sein weltanschauliches Oratorium hören, das ihm als Jude wie als Sozialist, als Exilant wie als remigrierter Deutscher so sehr am Herzen lag. 19 Jahre nach der Vollendung erklang die Partitur in Leipzig. Es sollte die einzige Aufführung bleiben, die Paul Dessau bis zu seinem Tod 1979 erleben konnte. Seitdem war das „Deutsche Miserere“ nur noch in vier Konzerten zu hören, zuletzt im März 2010 bei der Berliner Singakadamie.

„Musik ist geistige Anspannung, nicht bequemer Genuss. Das Schaffen neuer Musik kann nicht bequem sein, denn gefordert ist eine eindeutige Stellungnahme zu den Fragen unserer Zeit“, hat Dessau seinen Anspruch an sich und sein Publikum formuliert. Herb und hart tönt darum dieses „Miserere“, im Orchester gibt es keine Geigen, dafür viel Schlagwerk und ein Trautonium, diesen wimmernden Vorläufer des Synthesizers. Stets dominiert der Rhythmus über Melodie und Klangfarbe, oft im scharfen Stechschritt. Dann wieder wird der Gang schleppend, ein müder Marsch durch Todesland.

Am eindringlichsten aber ist diese Musik, wenn sie auf der Stelle tritt, in den A-Cappella-Passagen, wenn der Chor zur bitteren, mehrstimmigen Klage anhebt. Weil Dietrich Hilsdorf ein Virtuose der differenzierten Personenregie ist und weil sie von Volkmar Olbrich exzellent vorbereitet wurden, können die Choristinnen und Choristen der Leipziger Oper dieses szenische Experiment über neunzig pausenlose Minuten tragen. Stumm schreiten sie zu Beginn eine Rampe entlang, die Bühnenbildner Dieter Richter über die Sitze des Zuschauerraums gelegt hat. Ebenso zeit- wie stillose Kostüme in Grau und Schwarz (Renate Schmitzer) definieren sie als Überall-Menschen, in einer hohen Halle mit geborstenen Oberlichtern drücken sie sich an den Wänden entlang, die mit Fotos von Vermissten übersät sind.

Minutenlang geht das so, bis endlich die Musik einsetzt: „Deutschland, bleiche Mutter“, Brechts berühmtes Gedicht, liefert den Text zum ersten Teil. Dann folgen 29 Vierzeiler aus seiner „Kriegsfibel“, Agitprop-Lyrik, Kurzgeschichten, Miniaturszenen, inspiriert von Fotos aus der Tagespresse, die nach optischer Umsetzung streben. Ebenso wie die Noten des Komponisten, der in der Weimarer Republik wie später im Exil in Hollywood seinen Lebensunterhalt mit „erzählender Musik“ für Soundtracks verdiente.

Eine Bebilderung dieser Passion also hat durchaus Sinn – und Hilsdorf versteht es, den Szenen unterschiedliche Tempi zu geben, die Bilderfolge zur expressionistischen Revue auszubauen, mit ein paar Bewegungen sowohl groteske Otto-Dix-Figuren wie auch Käthe-Kollwitz-Charaktere zu skizzieren. Manchmal reicht es aber auch, die Aufmerksamkeit ganz auf den Text zu lenken, damit sich ein Bezug zum Heute herstellt: „So haben wir ihn an die Wand gestellt / Mensch unseresgleichen, einer Mutter Sohn / Ihn umzubringen. Und damit die Welt es wisse / Machen wir ein Bild davon.“ Stark auch die Szene, wenn das Volk die bleiche Mutter (Gabi Dauenhauer) zum Sündenbock macht, brutal eine Hitler-Puppe in den Schoß zurückstößt, „aus dem DAS kroch“.

Als Anti-Klimax setzt Dessau bewusst ein Brecht’sches Wiegenlied ans Ende, das mit der leisen Hoffnung einer Mutter auf bessere Zeiten endet. Da aber kippt das Konzept: „Kundus, 2. September“, wird auf die Bühnenwand projiziert, es singt eine afghanische Mutter, die ihr getötetes Kind verscharrt. Dann erscheinen Menschen mit Pappmasken vor dem Gesicht: Es ist die komplette Bundesregierung, die achtlos Kränze ins offene Grab wirft. Nicht nur, dass der Regisseur hier auf grob fahrlässige Weise eine Parallele zwischen Hitlers Angriffskrieg und dem Bundeswehreinsatz konstruiert, er tut auch genau das, was ein Miserere, eine Selbstanklage, nicht tun sollte: Die Schuld an andere zu delegieren.

Wieder am heutigen Sonntag, 13. 2., sowie am 27. 3., 10. 4. und 5. 6.

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