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Kultur: Alle gehen, Herz, zur Ruh

Diseuse eines endlosen Lebewohls: Zum Tod der Jahrhundertsängerin Elisabeth Schwarzkopf

Sie gehört zu den wenigen, deren Ton unverwechselbar bleibt. Sie hat das Gesangsjahrhundert geprägt, wie kaum eine das je vermochte, und, wenn man so will, lauter letzte Lieder gesungen (keiner kommt bei den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss um sie, die Schwarzkopf, herum). In ihrer Stimme glänzt dieses Jahrhundert in seiner Größe auf und in allen seinen Fatalitäten, ihr Klang ist der Spiegel der sich neigenden Epoche. Elisabeth Schwarzkopf war dieses fin de siècle, jener Endzeitklang, der hohe Ton des Stils und die Wollust der Manier.

Eine klassische Belcantistin ist sie nie gewesen, obwohl ihre stimmlichen Mittel reiche Möglichkeiten boten: von Koloraturartistik (ihre Lehrerin in Berlin war Maria Ivogün) bis zu profunden Mezzotönen, um deren Sinnlichkeit so mancher Mezzo sie beneiden musste – auch weil dieses Sinnliche nie Vordergrund war, sondern immer schon bedeutete, meist lustvoll umweht von der Aura des Vergänglichen. Ein Sopran, mal licht und scharf wie eine Mondsichel, mal brustig flackernd, geheimnisvoll verschattet. Das Oszillieren der Farben als Methode. Ihre frühesten Aufnahmen zeigen: Naiv war die Schwarzkopf nie und konnte sie nicht sein. Ein unschuldiges Loewe-Lied, gesungen während der Nazizeit, mit Michael Raucheisen am Flügel, war bei ihr nicht unschuldig, sondern stellte Unschuld dar. In Tatjanas Brief-Arie aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“ trifft sie wie keine zweite Puschkins Ton.

Überhaupt: Schwarzkopf – am 9. Dezember 1915 in der Nähe von Posen geboren – war fast mehr Interpretin als Sängerin, durch ihre späten Jahre in zahllosen Abschiedskonzerten gar so etwas wie die Diseuse eines endlosen Lebewohls. Vielleicht hatte sie damit im 20. Jahrhundert gar nicht so Unrecht. Sie atmete den Hauch des Gewesenen in jede Musik hinein – ganz im Gegensatz zu ihrem Kollegen Dietrich Fischer-Dieskau, den altersmäßig eben ein entscheidendes Jahrzehnt, das entscheidende Jahrzehnt von ihr trennt. In den gemeinsamen Liedaufnahmen stimmt er meist den Ton des Lebens an, während sie – „reicher als er in des Wissens Bezirken“, hätte Schiller gesagt – das tödliche Flair einbringt. Hugo Wolfs Liederbücher, italienisch oder spanisch, geistlich oder weltlich, sind in ihrer Kunst aus Schmerz der ideale Spielplatz dieser vitalen Gegensätze. Aber auch die Mahler-Aufnahmen bleiben unvergleichlich, und Brahms’ Deutsche Volkslieder hat man gewiss nie wieder so tief gehört, aus dem Bewusstsein des ganzen Volkslied-Mythos heraus.

Schwarzkopfs umfängliche Diskografie bietet viele Modelle – und keine Vorbilder. Jeder Versuch, sie nachzuahmen, wäre albern. Schwarzkopf hat gezeigt, dass Singen nicht zuletzt aus dem Mut zur eigenen Persönlichkeit besteht, in 453 Orchesterkonzerten, 984 Liederabenden und 1223 Opernauftritten zwischen 1938 und 1979. Dass sie es mit sich selbst nicht immer leicht gehabt hat, zeigte zuletzt Mitte der neunziger Jahre Alan Jeffersons Biografie, die es gewagt hatte, ihre Mitgliedschaft in der NSDAP zu beleuchten. Statt einzulenken, sich zu bekennen, stellte Schwarzkopf auf stur: „Musik hat nichts mit Politik zu tun, überhaupt nichts!“ Das haben viele übel genommen.

1972 nahm Schwarzkopf ihren Abschied von der Opernbühne, 1979 dann der letzte Liederabend. Gelehrt hat sie bis ins höchste Alter (und zwar gnadenlos). Manchmal, sehr selten, lobte sie, ein Material, eine Stimme – und blieb doch fast ausschließlich unzufrieden. Da stand sie dann da und wusste nicht mehr, was sie lehren sollte. Wenn alle Technik, alles Interpretieren ihrer Vision nicht genügten, versuchte sie sich an der Manier, um so zu holen, was eigentlich nicht da war. An solchem Ende blieb ihr bestenfalls, wenn nicht heiliger Zorn, oft ein lächelndes „Na ja“.

Natürlich hat die Schwarzkopf den großen Ruhm wie viele durch die Oper gewonnen: in Wien, Salzburg, Mailand, London, an der Met. Fast zu jung wurde sie jene Grande Dame für Mozart und Strauss (Figaro-Gräfin, Marschallin, Elvira, Capriccio-Gräfin), zu der sie Walter Legge, der britische Medienzar, geformt, ja modelliert hatte. Er, im Leben ihr Ehemann, verlangte Unverwechselbarkeit, um jeden Preis. Weil er wusste, dass die Stimme der Schwarzkopf Grenzen hatte und nur eine eigensinnige Kultur und Kultivierung sie unvergesslich, unverlierbar machen würde. Als damaliger Herrscher der Audio-Medien brachte Legge seine Gattin mit allem ins Geschäft, was gut und teuer war: mit Klavierbegleitern wie Gieseking für Mozart oder Edwin Fischer für Schubert, mit Dirigenten wie Furtwängler, Krips, Klemperer oder Karajan, mit Gesangskollegen wie der Flagstad, Richard Tauber oder eben Fischer-Dieskau. Und da Legge, der britische Jude, selbst der entscheidende Promotor des deutschen Liedes war, legte er für das Phänomen Schwarzkopf die ideale Basis. Sie war die Frau, die alles Erhabene und Schöne aus der kalkulierten Gebrochenheit gewann.

Schumann-Duette mit Fischer-Dieskau im Abschiedskonzert für Gerald Moore, live aus London: „Alle gingen, Herz, zur Ruh, alle schlafen, nur nicht Du ...“ Der Ton der Schwarzkopf in seiner Tragik hat die Kraft, uns wach zu halten – und das Sublime nicht ganz zu verlieren. Am Donnerstag ist die große Sopranistin mit 90 Jahren in ihrem österreichischen Wohnort Schruns gestorben.

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