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Kultur: Alle meine Idole

Wunder aus der Tüte: Adam Greens neues Album „Jacket Full Of Danger“

Eine halbe Stunde, das war die Abspieldauer einer Langspielplatte in den Anfangstagen des Mediums. In diesen rund 30 Minuten hat die Popmusik der Fünfziger und Sechziger ihre Sternstunden erlebt. Bald nahm man sich mehr Zeit: Die Rille wurde enger in die Platten gepresst, Doppel- und Dreifachalben kamen in Mode, später 80-minütige CDs und mehrstündige CD-Boxen. Adam Green ist ein Meister der Pop-Ökonomie, seine Lieder sind selten länger als zwei Minuten. Heute erscheint sein viertes Soloalbum „Jacket Full Of Danger“, auf dem der Singer/Songwriter aus New York nur noch 30 Minuten und 32 Sekunden braucht, um ein Feuerwerk von 15 Songs abzubrennen.

Ja, ein Feuerwerk. Man kann nicht genug schwärmen von den delikaten Streicherarrangements Jane Scarpantonis, der unaufdringlichen Präzision seiner Begleitband The Gnomes – leichtfüßige Rhythmuswechsel, hereinbrechende Heavy-Gitarren, brummelnde Männerchöre, zarte Orgeltupfer. Man darf sich am rasenden Galopp von „Nat King Cole“ berauschen, das wie ein Bastard aus Jonathan Richmans „Roadrunner“ und Bob Dylans „Highway 61 Revisited“ klingt. An den Led-Zeppelin-Riffs von „White Women“. Am lässigen Groove von „Party Line“. Am kratzigen Brecht/Weill-Charme von „Drugs“. Man staunt über die schlichte balladeske Schönheit von „Vultures“, über die sublime Tragik von „Hairy Women“. Aber „Jacket Full Of Danger“ ist nicht nur die Platte eines Songwriters, der zuweilen etwas angeberisch mit seinem Popgeschichtswissen auftrumpft. Sie zeigt den Sänger Adam Green in neuem Licht.

Ein Rückblick: Ende der Neunziger gründete Green und seine Freundin Kimya Dawson die Moldy Peaches. Das Duo hüpfte bei Konzerten in Häschenkostümen herum und initiierte mit giftig- schepperndem Geschrammel die Antifolk- Szene. Nach einem apokryphen Soloalbum im gleichen Stil überraschte Adam Green 2003 mit „Friends Of Mine“, einer Platte, die sich in der Zeit verirrt zu haben schien: Mit streicherumschmeichelten Folk-Pop und Greens schönem, melancholischem Gesang hätte sie aus den späten Sechzigern stammen können, inspiriert von tragischen Songwriter-Genies wie Tim Hardin oder Nick Drake. Mit „Gemstones“ schaffte Green in Deutschland den Sprung in oberste Hitparadenregionen. Green avancierte zum Coverboy von „Spex“ bis „Bravo“, was den Hoffnungsträger bald verschliss: In Leserpolls tauchte Green zur Jahreswende in Kategorien wie „Depp des Jahres“ auf.

„Jacket Full Of Danger“ dürfte Zweifel an Greens Talent ausräumen. Nicht nur singt er deutlich tiefer als zuvor, mit dunklem Timbre, was seine Stimme älter macht. Er klingt wie ein Nachfahre jener stilprägenden Crooner, die in den Sechzigern die Bühnen von Las Vegas bevölkerten. In den besten Momenten schafft es Adam Green, die Coolness eines Frank Sinatra, den Schmelz von Andy Williams und die Brummbärigkeit eines Lee Hazlewood zu vereinen. Zuweilen erinnert er an einen übermotivierten Karaoke-Sänger, etwa wenn er „Hollywood Bowl“ mit Elvis-Timbre zerknödelt. Aber selbst das ist noch ziemlich witzig.

Bei aller musikalischen Brillanz wirkt „Jacket Full Of Danger“ kühl und distanziert. Greens Songs haftet etwas Konstruiertes an, auch wenn er die Stilmischmaschine seines dritten Soloalbums nun wieder abgeschaltet hat. Aber er scheint immer noch Burt Bacharach, Randy Newman und Van Dyke Parks in einer Person sein zu wollen, und gerade deshalb fehlt seinen Stücken die Persönlichkeit. Sie rotieren mit großem Aufwand um ein leeres Zentrum: tolle Melodien, äußerste Präzision in den Arrangements, keine Sekunde überflüssig. Und doch: Man vermisst Verschwendung, Risiko, Dringlichkeit, drohendes Scheitern. Die zufällige Schönheit wahrhaft großer Popsongs.

Der Eindruck akademischer Kühle verstärkt sich noch dadurch, dass Green die zwangsoriginellen Sex-Fantasien früherer Werke vermeidet, aber sonderbar unfokussiert bleibt. Keine Frage, die Verse sind großartig, virtuos, voll überraschender Metaphern und komplexer Reimkonstruktionen. Man kann sie auswendig lernen, Gedichtbände mit ihnen füllen. Aber sie handeln im Grunde von nichts, sind eher Spiegel literarischer Eitelkeit.

Green stellt sich selbstbewusst in eine große Ahnenreihe: Die atemlose Metaphorik lässt an Bob Dylan denken, der Hang zu ausgesuchten Obszönitäten ist ein Nachhall der Beat-Poeten von Kerouac bis Ginsberg. Aber während die Beatniks gegen eine zutiefst prüde Gesellschaft anschreiben mussten, hat Green nur den Konservativismus amerikanischer Radiosender zu fürchten, wo seine Lieder nicht gespielt werden. Und Bob Dylan war und ist eben weit mehr als ein begnadeter Verseschmied. Man ist geneigt, die irritierende Beliebigkeit von Greens Texten mit der mangelnden Lebenserfahrung eines 24- Jährigen zu erklären, aber: Dylan war auch nicht älter, als er „Like A Rolling Stone“ schrieb.

Der wahrste, ergreifendste Moment der Platte ist bezeichnenderweise ein geliehener: „The Sandman is giving me a special gift / A sleepy dream memory of our first kiss“, singt Adam Green wunderschön und ohne ironische Attitüde in „Cast A Shadow“. Der Song stammt von Beat Happening, einer fast vergessenen US-Indie-Band, die den Antifolk-Sound der Moldy Peaches um mehr als ein Jahrzehnt vorwegnahm. Ihre Hinterlassenschaft verströmt eine emotionale Reinheit und Tiefe, die man in Greens Virtuosentum vergeblich sucht.

So ist „Jacket Full Of Danger“ eine kurzweilige, handwerklich perfekte, melodisch verführerische Zeitverschwendung. Eine Dreißigminutenterrine der Popmusik, leicht bekömmlich, aromatisch, aber satt macht sie nicht.

Adam Green, „Jacket Full of Danger“ (Sanctuary). Green und Band spielen am 31. März im Berliner Tempodrom.

Jörg W, er

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