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Kultur: Alle Türen sind offen

Die kommende Londoner Auktionswoche für Klassische Moderne zeigt, dass der Markt für deutsche Kunst immer enger wird

Vor zehn Jahren begann Christie’s in London mit seinen Auktionen deutscher Kunst und trug entscheidend dazu bei, bei internationalen Sammlern und Museen ein historisch begründetes Vorurteil abzubauen. Heute hat die deutsche Avantgarde des frühen 20. Jahrhundert einen angestammten Platz auf dem internationalen Markt. Die Sammler und Museumskäufer kommen aus aller Welt – ebenso wie die Einlieferer. Stammten in Christie’s erster Auktion noch mindestens 80 Prozent der Werke aus Deutschland, seien es nun gerade noch 40 Prozent, sagt Jussi Pylkännen, der treibende Motor der Auktionen.

Die Ware ist teuerer und knapper geworden. Während das strauchelnde Auktionshaus Phillips, de Pury & Luxembourg, das den Giganten Christie’s und Sotheby’s einst den Kampf angesagt hatte, künftig keine regelmäßigen Auktionen mit Impressionismus und Klassischer Moderne mehr veranstalten wird, rüsten sich die anderen vor der Londoner Auktionswoche – auch mit deutscher Kunst. Christie’s bietet am Montag immerhin 37 ausgewählte deutsche Werke an. Anders als in den Vorjahren sind sie aber nur noch ein Teil der Prestigeauktion mit Impressionisten und Moderne. Nach zehn Jahren geht ein Marktzyklus zu Ende. Deutsche Kunst, meint Pylkännen, brauche den Steigbügelhalter einer Sonderauktion nicht mehr. „Alle Türen für diese Kunst sind geöffnet. Ihre innovative Sichtweise ist fest etabliert“. Womit er sagen will, dass Bilder wie das Blumenbild von Nolde, das der Hamburger Sammler Hans Ravenborg 1993 für 661 500 Pfund ersteigerte (Taxe 900 000 bis 1,2 Millionen Pfund), mit Gemälden von Picasso, Modigliani, Vlaminck und van Gogh konkurrieren müssen – die alle natürlich immer noch deutlich mehr kosten.

Auch wenn die Spitzenwerke rarer werden, fördern diese Auktionen immer noch Überraschungen zu Tage. Zwei der seltenen Holzskulpturen von E. L. Kirchner mit ihrem wuchtigen Primitivismus (940 000 bis 1,2 Millionen Euro) zum Beispiel, oder das herrliche Aquarell „Quer durch Berlin“ (1919) von George Grosz (Taxe 160-230 000 Euro).

Der größte Fund ist vielleicht Heinrich Campendonks „Der blaue Mäher“, das seit 1929 in einer Privatsammlung hängt und kaum öffentlich gezeigt wurde. Eine Landschaft, die sich in farbsprühende Abstraktion auflöst und mit ihrem Chaos dem blauen Sensenmann, der über sie hinwegfegt, aber umso mehr Energie zu verleihen scheint. Das Bild ist im Kriegsjahr 1914 entstanden, als viele noch an die spirituelle Reinigungskraft des großen Stahlgewitters glaubten. „Es müsste nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn dies kein Herausforderer für einen Rekordpreis wäre“, sagt Pylkännen. Da müsste das Bild schon 1,45 Millionen Euro bringen – aber apokalyptische Kunst verkauft sich nicht immer gut und Christie’s hat es bei einer Taxe von 780 000 bis 1,1 Millionen Euro belassen. „Für Künstler wie Campendonk, die für eine kurze Zeit aufblühten und dann dekorativ wurden, haben wir keinen richtigen Maßstab“, meint Pylkännen.

Wäre das Bild von Franz Marc, dessen bis zum Verwechseln getreulicher Jünger Campendonk war, fiele die Schätzung beherzter aus. Ähnlich ist es bei Max Pechsteins sonnenflimmerndem Gemälde aus dem legendären Moritzburger Badesommer. Mit 1,1 bis 1,6 Millionen Euro ist es nicht gerade günstig angesetzt. Doch wäre es von Heckel oder Kirchner, läge der Preis deutlich höher. Seite an Seite malten die drei, begeistert von Freikörperkultur und Freiluftmalerei, in diesem Sommer 1910 sich selber und ihre Freundinnen. Die Bilder sind kaum auseinander zu halten.

Kunst für rund 100 Millionen Pfund kommt bei Sotheby’s und Christie’s in der nächsten Woche auf den Block. Man kann dann wieder darüber grübeln, warum ein durchschnittlicher Picasso immer noch teuerer ist als ein Spitzenwerk des deutschen Expressionismus und warum ein „Wolkenbild“ von Gerhard Richter (Taxe 2 bis 2,8 Millionen Euro) teuerer sein soll als van Goghs seltene Rohrzeichnung des Cimetière de Saintes-Maries (bei Christie’s 1,6-2,3 Millionen Euro). Vor allem aber wird man sehen, ob Kriegsangst und Aktiencrash den Sammlern die Lust an der Kunst verdirbt.

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