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Kultur: Aller Seelen

Von Hamlet bis Bachmann: Angela Winkler spricht, liest und singt am Berliner Ensemble

In einer farbenfrohen Kittelschürze betritt die Ausnahmeschauspielerin Angela Winkler die Szene und macht sich mit einer Harke am Herbstlaub zu schaffen, das sehr pittoresk die Bühne des Berliner Ensembles bedeckt. Selbstverständlich handelt es sich um ein aussichtsloses Unterfangen: Am Versuch, die Vergänglichkeit wegzufegen, ist bislang noch jeder gescheitert. Die Winkler aber strahlt bei dieser Sisyphusarbeit, als hätten sich ihr gerade sämtliche Verheißungen des Daseins eröffnet.

Irgendwann lässt sie von der Harke ab, hockt sich auf einen hölzernen Barhocker, klemmt an dessen Unterseite ihren Putzfrauen-Kaugummi fest, fingert eine rote Plastiknase aus der Schürzentasche und beginnt herzzerreißend melancholisch und gesangstechnisch vollendet Eduard Lassens „Allerseelen“ zu singen: „Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, die letzten roten Astern trag herbei, und lass uns wieder von der Liebe reden, wie einst im Mai.“

Damit wäre die Dramaturgie dieses Lieder- und Gedichtprogramms, das das BE unter dem prosaischen Titel „Ein Abend mit Angela Winkler“ präsentiert, eigentlich hinreichend umrissen. Mit zwei Handgriffen am Kostüm und dreien an der Frisur mutiert die Schauspielerin in Sekundenschnelle von der fröhlich-vergeblichen Putze zum tieftraurigen Kittelschürzenclown, von Else Lasker-Schüler mit rotem Ornamentalohrring zur Intellektual-Bachmann mit hinters Ohr geklemmtem Haar und schließlich zum attraktiven Trenchcoatträger Hamlet à la Shakespeare. Dazwischen – begleitet von Adam Benzwi am Piano und Dragan Radosavievich auf der Violine – Lieder von Brecht und Weill, von Eisler über Schönberg bis zur französischen Chansonette Barbara.

Einen sehr persönlichen Winkler- Abend hatte das Peymann-Theater angekündigt – und damit gleich in dreifacher Hinsicht Recht. Abgesehen davon, dass der Lebensgefährte der Schauspielerin, Wigand Witting, für die Einrichtung verantwortlich zeichnet und ihre Söhne Lasse und Luca Winkler assistierten, ruft der Abend die absoluten Super-Sternstunden der Winkler-Karriere in Erinnerung: Ihren Else-Lasker-Schüler-Abend „Die Reise nach Jerusalem“ etwa und natürlich ihren superlativischen Dänenprinzen Hamlet in Peter Zadeks Inszenierung von 1999.

Persönlich ist dieser Abend aber vor allem, weil man das Gefühl hat, die Winkler trägt völlig unangestrengt ihr dramatisches, lyrisches und kompositorisches Lieblingsrepertoire vor. Mit gestischem Minimalismus und ohne die geringste Not, sich beim Publikum anzubiedern: Für seine assoziativen Hirnaktivitäten ist jeder selbst verantwortlich. Ohne krampfige Übergänge springt sie von Shakespeares unschöner Erkenntnis, dass ein einziges Persönlichkeitsdefizit sämtliche Vorzüge in der öffentlichen Wahrnehmung hoffnungslos überschattet, zu Brechts gesungener „Erinnerung an die Marie A.“. Diese handelt von einer Liebe unterm Pflaumenbaum, die noch vergänglicher ist als eine bei ordentlicher Windstärke vorüberziehende Wolke und trotzdem schön – und trifft damit quasi programmatisch die gediegene MollStimmung des Abends. Dazu raschelt das Herbstlaub, zündet Angela Winkler auf ihrem Lesepult eine dicke blaue Kerze an oder werkelt an einem Kassettenrekorder der vorvorletzten Generation, um ihm die authentische Ingeborg-Bachmann-Stimme oder den original englischen „Hamlet“ zu entlocken. Maßnahmen, mit denen nahezu jeder Darsteller gefährlich nahe an die Kitsch- und Kunstgewerbsgrenze stieße.

Nicht so Angela Winkler. Bei ihr stimmt irgendwie alles, auch das Herbstlaub, und sämtliche Nuancen vom hohen Ton bis zur koketten Schmeichelei am Silberfuchs-Behang bei Schönbergs Brettlliedern sowieso. Denn egal, was sie singt oder spricht: Wenn sie an die Rampe tritt, wischt sie die ganze üppige Werk- und Rezeptionsgeschichte mal eben kurz weg und trifft einen mit ihrer Unmittelbarkeit ins Mark. „Als wir vor ein paar Wochen spazieren gingen, schaute ich sie an und dachte: Wir könnten sofort die Kamera auf ihr Gesicht halten und ein paar Nachaufnahmen für die ,Katharina Blum’ machen, ohne auch nur eine Puderquaste zu bemühen“, schrieb Volker Schlöndorff vor zwei Jahren in einer Laudatio zum 60. Geburtstag der Schauspielerin.

Gäbe es dieses Statement nicht schon, es hätte für diesen Abend erfunden werden müssen.

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