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Kultur: Alles auf Allen

Schöner Traum: mit Woody, dem Stadtneurotiker, nachts in Berlin. Ein Brief zum 70. Geburtstag / Von Dani Levy

Lieber Woody Allen,

Als ich Dich zum ersten Mal traf, stolpertest Du aus einem jener Etablissements in die eisige Berliner Kälte (ich glaube, es war Mai), vor denen man ungern beim Rein- oder Rausgehen gesehen wird. Deine flinken, kleinen Finger hielten einen schwarzen Koffer umklammert. Dein Blick war starr auf den Berliner Asphalt gerichtet und es sah sehr danach aus, dass Du Dich schämtest für das, was Du die letzten Stunden getan hattest.

Ich war damals noch jung, jünger zumindest, und so ging ich auf Dich zu und sagte jene Worte, die ein paranoid Prominenter wie Du so gerne hört und die für meine immense Kreativität sprechen: „Aren’t you Woody Allen?“ Du warfst mir einen Blick zu, aus roten Augen, durch Deine Brille, der so viel sagte wie: Hau ab, du Pressegeier, du Blutsaugerfan, hau ab, oder ich erschlag dich mit der Mordwaffe in meinem Koffer! Aus Deinem Mund aber kam: „Yes that’s me unfortunately.“ Ich sah darin ein therapeutisches Gesprächsangebot und konterte: „There are so many Woody Allens out there, I don’t care which one you are.“ Du blinzeltest mir zu: „I’m the one you don’t need right now.“ „That’s perfect. I’m the one you don’t need at all.“ Dieser, zugegeben kokette, jüdische Gedankenaustausch war der Beginn unserer Freundschaft.

Du erinnerst Dich nicht? Ich blickte grinsend zurück, von wo Du kamst, und Du folgtest meinem Blick. „To escape the bitter past of Berlin I need sweet distraction.“

Ich habe keine Ahnung, wieweit Sie, lieber Leser, uns folgen können und wollen, und wie gut Ihre Englischkenntnisse sind, aber wir waren mitten in meinem Thema. Woody und ich standen frierend in meiner Stadt. Die Stadt, in der meine Mutter, 1928 als Jüdin geboren, bis 1939 lebte und aus der sie erst Monate nach der „Reichskristallnacht“ mit ihrer Familie rausgeschmuggelt wurde. Die Stadt, in die ich 1980 „zurück“-zog, um beim Theater Rote Grütze mitzumachen. „Oh I see“, grinstest Du traurig, „I guess you need some sweet distraction, too.“

Ein Besoffener lief vorbei, er riss einen Arm hoch, aus seiner Hand blitzte es. „Ich liebe dich!“, brüllte er in unsere Richtung. Aber er meinte weder Dich noch mich, er hatte das Etablissement hinter uns geknipst, und seine Liebe betraf wohl alle Menschen. Ich zog Dich am Arm davon und sagte: „Let me show you a place, where Jews have to go.“ Du bist willig mitgekommen (Juden vertrauen einander), aufgeregt wie ein Kind bist Du neben mir hergetrippelt. Du hast gefragt, wohin wir gehen und ich hab Dir gesagt: Lass Dich überraschen.

Dann habe ich Dir viel zu viel erzählt, von den drei Frauen, mit denen ich gerade parallel eine Beziehung hatte, von denen keine funktionierte. Und von der Hoffnungslosigkeit in meinem Bemühen, niemanden unglücklich zu machen. Wie gesagt, ich war noch jünger. „If life wasn’t a desaster, I’d kill myself“, sagtest Du. Und das erinnerte mich an diesen wunderbaren Filmanfang von einem meiner Lieblingsfilme von Dir, „Der Stadtneurotiker“, wo Du in diesem Anfangsmonolog von den alten Damen im Berghotel erzählst, von denen die eine sagt: „Gott, das Essen ist hier wirklich schrecklich“, worauf die andere erwidert: „Stimmt, und diese kleinen Portionen.“ Und ich gestand Dir, dass der Anfangsmonolog meines Films „Robbykallepaul“ mit dem Elefanten, der auf die Maus scheißt, davon inspiriert war. Eigentlich war der ganze Film von „Der Stadtneurotiker“ inspiriert.

„Was it a success?“, fragtest Du, und ich fragte zurück: „Does Diane Keaton really smoke pot in bed?“ Und da schautest Du mich doch sehr irritiert von der Seite an und meintest: „I don’t think we know each other well enough to answer that question“. Dann gingen wir eine Weile schweigsam durch düstere Straßen, in denen die Westelektrizität die eroberten Ostbezirke noch nicht erleuchtet hatte.

„That’s Görings former Luftfahrtministerium, didn’t change a stone. Today it’s the Finanzministerium.“ Wir standen auf der Wilhelmstraße und blickten auf das dunkle Riesengebäude, das Speer erbaut hatte. „How can you stand it here?“, fragtest Du mich und kurz sah ich in Dir meine Mutter aufblitzen. „I love it here“, sagte ich, weißt Du noch? „But maybe I’m another Zelig.“ „We all are.“ Natürlich, was soll ein Jude sonst sagen?

Auf dem unverbauten Grundstück gegenüber gab es in einem alten DDR-Metallcontainer eine Bar, die hieß Endsieg. „You’re kidding.“ Du bliebst stehen. Zum ersten Mal schautest Du mich beunruhigt an. „No I’m not. You’ll love the music.“ Das dachte ich wirklich. Es war damals einer der wenigen Orte in Berlin, an dem nicht dieser öde Techno gespielt wurde, den ich Dir nicht zumuten wollte. Aber ich wollte Dich auch nicht zu diesem verstaubten Wollsocken-Jazz führen, den Du selber spielst. Dafür gab es ja Charlottenburg. Aber das habe ich Dir nicht gesagt.

Du mochtest die Bar auf den ersten Blick. Wir standen am Tresen. Von allen Seiten wurdest Du angeglotzt wie ein Ossi. Aber keiner konnte sich vorstellen, dass Woody Allen im Endsieg auftaucht. Du trankst ein Bier, es sah eigenartig aus. Ich sagte Dir, dass ich Bier hasse, was ein echtes Problem sei, hier in Deutschland. „I hate it, too“, sagtest Du „but I have to gain weight.“ Mia fände Dich zu dünn, meintest Du. Du erzähltest mir ein bisschen davon, wie Ihr lebt, so in zwei großen Wohnungen, Mia mit den Adoptivkindern (waren es 9?) und Du alleine auf der anderen Seite des Central Parks. Und wir kamen aufs Schreiben, und Du sagtest etwas, das ich erst heute richtig verstehe: Schreiben sei die letzte Freiheit, die wir hätten, das Drehbuch die letzte Bastion der unbegrenzten Möglichkeiten, bevor der endlose Kompromiss des Filmemachens beginne. Etwas bitter schautest Du, aber dann erhellte sich Dein Gesicht. Auf der Tanzfläche tanzten sehr viele sehr gut aussehende Frauen und sahen dabei sehr kultiviert und intelligent aus.

Ich meine das nicht ironisch. Die Berliner Nachtszene ist klug. Von da an war keine wirkliches Gespräch mehr mit Dir möglich. Innerhalb der nächsten Stunden standen immer irgendwelche aufregenden Frauen um uns rum. Ach was, um Dich rum. Man hatte mir in den achtziger Jahren manchmal nachgeschrieben, ich sei die Schweizer oder deutsche Antwort auf Dich, nur besser aussehend, aber an diesem Abend, im Endsieg, klebten alle am Original. Ich war das dritte Rad am Wagen. Ich versuchte mit Sätzen wie „He lives with nine children together“ jeden Hauch von „available single“ von Dir zu nehmen, aber ohne Erfolg.

Und dann warst Du plötzlich in einem langen rührseligen Gespräch mit so einem traurigen Entchen, einer Physikerin aus dem Osten. Erinnerst Du Dich? Das ist heute unsere Bundeskanzlerin. Ich bin mir sicher, Du hast diese Begegnung vergessen. Jedenfalls klebte diese penetrant neugierige Person an Deinen Fersen. Wir sind gegen vier Uhr morgens aufgebrochen und die Physikerin mit uns, wir sind in den obersten Stock des Forum Hotels und wollten dort eine Flasche Wein trinken, aber plötzlich …

Das Leben ist fast so fiktiv wie unsere Filme. Ich werde Dir die Fortsetzung unserer ersten Begegnung zu Deinem 80. schreiben. Versprochen. Yours, Dani Levy

Dani Levy, Jahrgang 1957, lebt als Filmemacher in Berlin. Zuletzt drehte er die Erfolgskomödie „Alles auf Zucker“. Im Januar beginnt er mit den Dreharbeiten zu seiner Hitler-Komödie „Mein Führer“.

Woody Allen wurde als Stewart Allan Konigsberg am 1. 12. 1935 in Brooklyn geboren. Seine Eltern waren orthodoxe Juden, mit 16 begann er als Gagschreiber für TV-Shows, mit 17 gab er sich den Namen Woody („Holzkopf“). Seit 1966 drehte er 40 Filme , war rund 20 Mal für den

Oscar nominiert, drei Mal erhielt er ihn.

Allen liebt New York und lebt dort in dritter Ehe mit Soon-Yi, Adoptivtochter seiner früheren Partnerin Mia Farrow. Bei deren Trennung 1997 kam es zu öffentlichen Schlammschlachten mit Farrow. Allen, dessen depressive Grundstimmung sich zum 70. nicht gerade hebt, möchte nicht mit Werken unsterblich werden, sondern „dadurch, nicht zu sterben “. Die Voraussetzungen hat er: Sein Vater wurde 100.

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