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Kultur: Alles auf Stand-by

Die fulminante Medienkritik des Fotografen Wolfram Hahn bei C/O Berlin

Sie sind ganz bei sich. Sie sind ganz weit weg. Sie sind hoch konzentriert und doch gänzlich untätig. Wie Schattenexistenzen an der Grenze des Vegetativen wirken sie, die fernsehenden Kinder, die der Fotograf Wolfram Hahn in seiner Reihe „Entzaubert“ per Mittelformatkamera in Szene gesetzt hat. Reglose Körper, paralysierte Gesichtszüge, an denen alles außer den Augen auf Stand-by geschaltet ist. Angeschlossen an ein weltumspannendes System des Aufmerksamkeitsentzugs blicken sie stumm durch den Betrachter hindurch.

Ausgestellt wird Hahns fulminante Medienkritik derzeit in der Foto-Galerie C/O Berlin im Postfuhramt an der Oranienburger Straße. Im Katalog ist dem Werk des 28-jährigen Fotografen ein Essay des gleichaltrigen Kunsttheoretikers Daniel Klemm zur Seite gestellt, der Hahns Fotostudien als weiterführenden Kommentar zur These von der „verschwindenden Kindheit“ des US-amerikanischen Medienkritikers Neil Postman liest: In der dosierten Verabreichung von Gewalt und Sexualität, in der Reduzierung des Lebens auf ein „Zugreifen“ anstelle eines „Begreifens“ beraube das Medium Fernsehen Kinder ihrer Kindlichkeit.

Als gleichwertige Präsentation von Fotografie und verortenden Texten versteht man bei C/O Berlin die gesamte Ausstellungsreihe „Talents“, in deren Rahmen jeweils ein junger Fotograf und ein Kritiker gefördert werden, die an der Schwelle zwischen Ausbildung und Berufsleben stehen. Durch diese kombinierte Nachwuchsförderung von Bild und Text sei die Talents-Reihe europaweit einzigartig, sagt C/O Berlin-Sprecher Mirko Nowak.

Vor rund einem Jahr nahm das Förder- und Ausstellungsprogramm seine Arbeit auf. Setzte 2006 noch das Zusammenwirken von Mensch und Stadt den thematischen Rahmen der Reihe, so stehen in diesem Jahr allein der Mensch und das Porträt im Zentrum des visuellen Interesses. 170 Bewerbungen waren bis Anfang des Jahres bei C/O Berlin eingegangen, nur etwa vier bis fünf Künstler werden pro Jahr ausgestellt. Neben Hahn fiel die Wahl der Kuratoren in diesem Jahr auf die Berlinerin Marion Poussier, die ab dem 3. August ihre Reihe „Ein Sommer“ zeigt: eindringliche Porträts von Jugendlichen an der Schwelle zwischen Kind- und Erwachsenendasein, die die junge Fotografin im Rahmen einer Langzeitstudie in internationalen Sommerlagern aufnahm. Abgeschlossen wird der Porträt-Zyklus gegen Anfang des kommenden Jahres mit einer Bilderserie der Fotografin Yvonne Thein, in der Frauen porträtiert werden, die an Extremformen von Bulimie leiden.

„Entzaubert“ wird bis 29. Juli in der Galerie C/O Berlin, Oranienburger / Ecke Tucholskystraße gezeigt. Ab dem 3. August zeigt Marion Poussier ihre Bilderserie „Ein Sommer“.

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