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Kultur: Alles außer Arien

Jazz, Indierock, Neue Musik, Punk: Heute beginnt in Kreuzberg das Festival der Garagenoper.

Beim Wort „Garage“ denkt man an Papas Auto, ans Parken, also Stehenbleiben, an geordnete Verhältnisse. Wer eine Garage hat, ist angekommen im Leben. Stimmt aber nur zum Teil. Garagen werden unterschätzt. Gleich neben der Wohnung gelegen und doch kein Teil von ihr, waren sie schon immer mehr, nämlich ein toller Freiraum zum Ausprobieren. Hier wird getüftelt, repariert und konstruiert, Bands experimentieren mit den ersten Riffs, manchmal entstehen hier sogar Weltkonzerne, Bill Gates oder Steve Jobs haben es vorgemacht. Garagen sind Brutstätten des Neuen.

Das haben sich vor einigen Jahren auch die Musiker Almut Schlichting, Christoph Funabashi und Merle Bennett und die Tänzerin Laura Siegmund gedacht, als sie sich zum „Garagenoper Kollektiv“ zusammenschlossen: Ein Hybridname, dessen zwei Bestandteile sich eigentlich gegeneinander spreizen. Hier der improvisierte, dreckige, trashige Charme des Garagen-Underground, ohne Hierarchien, ohne Geld – und dort die glitzernde, gesellschaftlich gewünschte und subventionierte Hochkulturform Oper.

Doch das täuscht. 2009 führte das Kollektiv seine erste Garagenoper im Theaterforum Kreuzberg auf: „Melusine“, basierend auf einem Prosaroman des mittelalterlichen Schweizer Autors Thüring von Ringoltingen. Es geht um das Meerwesen Melusine, das in die Menschenwelt heiratet, aber dort nicht glücklich wird – ein uralter Mythos, oft künstlerisch verarbeitet, von Hans Christian Andersen im Märchen „Die kleine Meerjungfrau“, von E. T. A. Hoffmann und Albert Lortzing in ihren Opern „Undine“, von Antonin Dvorák in der Oper „Rusalka“. Komponistin Almut Schlichting arbeitet mit dem Gegensatz von Song-orientierten Passagen, die im weitesten Sinne als Arien oder Anti-Arien gelten können, und der Wucht einer Punkrockband. Die 34-Jährige hat Jazzsaxofon und Komposition studiert und arbeitet als freie Musikerin in Berlin, mit ihrer Jazz-Band „Shoot The Moon“ hat sie zwei CDs veröffentlicht. „Als ich den Melusine-Stoff entdeckte, war ich Mitte 20, ein Alter, in dem einem alles mysteriös vorkommt und in dem man sich oft als Außenseiter fühlt“, sagt sie.

„Melusine“ macht sichtbar, was Oper und Garagenoper auf einer höheren Ebene gemeinsam haben: Den Rückgriff auf literarische oder mythologische Stoffe, ihre Dramatisierung mit allen verfügbaren Mitteln, mit Stimme, Tanz, Bühne und Klang – als Jazz, Indierock oder Neue Musik. Und das interdisziplinär: Die Garagenoper entsteht spontan während der Proben. Es ist das Gesamtkunstwerk, das Richard Wagner gefordert hat, nur von allem Schlick des bürgerlichen Musikbetriebs befreit, auf seine elementaren Strukturen reduziert. Kein vorsätzlich karger Minimalismus, sondern eine bewusste Konzentration aufs Wesentliche. Alle Musiker sind auch Darsteller und singen – mit nicht professionell ausgebildeten Stimmen, sozusagen roh.

Um eine größere Öffentlichkeit zu finden, veranstaltet das Kollektiv jetzt von Freitag bis Sonntag das erste Garagenoper-Festival im Theaterforum Kreuzberg. Eingeladen sind weitere Berliner Gruppen, die in eine ähnliche Richtung denken – das Ganze unter dem Motto „Histoire Imaginaire“, weil allen Arbeiten geschichtliche, literarische, mythologische Stoffe zugrunde liegen.

So auch bei der zweiten Produktion des Kollektivs, der im Mai 2011 uraufgeführten Garagenoper „Schattenspiele“, einer Vertonung der Büchner-Novelle „Lenz“ und von Briefen Goethes an Jakob Michael Reinhold Lenz. Hier singen und spielen alle Musiker diese eine Figur – oder vielmehr die Zustände der Figur, das Publikum sieht Lenz beim langsamen Wahnsinnigwerden zu. Komponist Torsten Papenheim, auch er Mitglied des Kollektivs, hat mit Überlagerungen von Motiven und rhythmischen Strukturen gearbeitet, manchmal auch Melodieführungen gar nicht vorgegeben und an vielen Stellen der Partitur keinen eindeutigen Schlüssel verwendet. Was dann musikalisch passiert, ist offen.

Im ebenfalls eingeladenen „Dowland Waters“ wollen sich Sängerin Almut Kühne und Pianistin Johanna Borchert, unterstützt von Videoprojektionen, die geistlichen und weltlichen Lieder John Dowlands zu eigen machen, indem sie improvisieren und die Harmonien erweitern, eine Suche nach der Essenz von Renaissance-Musik. Christoph Funabashi versucht Ähnliches als Solist an der E-Gitarre mit einem einzelnen „Air“ von Dowland, das er zerlegt, um dann einzelne Motive zu Klangblöcken zu verdichten und wieder neu zusammenzusetzen. Das Rosen Quintett interpretiert mittelalterliche deutsche Lieder mit den Ausdrucksmöglichkeiten von Jazz-Standards, die romantisch überwölbten Stücke klingen so plötzlich viel direkter und Sound-orientierter.

Allein, nur begleitet von den expressiv übereinandergeschichteten Tönen seines Kontrabasses, wird Klaus Janek auftreten, um in „Caspar“ die wahnhaften Zustände von Kaspar Hauser bei dessen Ankunft in Nürnberg zu vermitteln. Ebenfalls solo wagt sich Alessandra Eramo in „Barbablù“ auf die Bühne, um, unterstützt von Einspielungen und Kontaktmikrofonen, die Geschichte von Blaubart neu zu erzählen – auch diese ein beliebtes Sujet in der Kunst, von Offenbach für die Operette und von Bártok für die Oper vertont. Mit dem Stück wird Eramo an diesem Freitag um 20 Uhr das Festival eröffnen.

Aber Almut Schlichting denkt schon weiter: Wenn mit der Förderung alles klappt, soll es auch 2013 wieder ein Festival geben, dann unter dem Motto „Navigation Imaginaire“ – die Seefahrt hat ja traditionell neue Räume erschlossen. Räume zum Ausprobieren.

13.-15. Januar, Theaterforum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21. Das ganze Programm unter www.garagenoper.de

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