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Kultur: Alles Bonsai

Berliner Maerz Musik mit Uraufführungen von Cong Su und Peter Eötvös

Verstörend ist etwas anderes. Je weiter man nach Osten vordringe, so Joachim Sartorius in seiner Begrüßungsrede zum fünften Berliner Maerz-Musik-Festival, desto näher rücke der Westen. Weil der fremde Blick nichts ist als Illusion? Weil das Exotische in unserer kommerzialisierten Wahrnehmung, unseren nomadischen, pfingstwunderlich vielsprachigen Biografien längst nicht mehr vorkommt? Oder weil es am Ende eben doch so etwas geben muss wie eine Identität und eine Mitte, zumindest die Suche danach, die künstlerische Recherche?

Die vielgeschmähte Globalisierung provoziert und hegt mit einer gewissen Inbrunst immer auch ihr Gegenteil: Regionalisierung, Provinzialisierung, ja eine gar nicht einmal so ungesunde neue Harmonisierungslust und Heimatlichkeit. In diesen Kontext gehören auch die beiden ersten Musiktheaterproduktionen der Maerz Musik.

Denn ob chinesische Lyrik im Schatten der Kulturrevolution oder das Tagebuch einer japanischen Hofdame von 1008, ob Komponisten aus Ungarn oder China (jeweils mit deutschsprachig-avantgardistischer Sozialisation), ob Haus der Berliner Festspiele oder HAU1, ob deutsche oder chinesische Regisseure, ob mit Video oder ohne – die „aktuelle“ musikalische Dramatik, so scheint es, arbeitet vornehmlich an ihrer eigenen Verträglichkeit und Freundlichkeit. Alles hübsch anzuhören, alles nett anzusehen. Und ein bisschen arg zahm. So gesehen ist das die Backen blähende Festival-Motto („Interkulturalität“ respektive „Japan und der Westen“) kaum mehr als ein wohlfeiles Etikett. Allerdings gibt es Böseres.

Während die Klassikerpflege gerade frisch unter „Ekel“- und „Gewalt“-Verdacht steht, flüchtet sich die neue Musik also in entlegenste Fernen und Archaismen (was schon bei Kaija Saariahos „L‘amour de loin“ als Vormusik zur Maerz Musik aufstieß). Und da fühlt sie sich offenkundig wohl, wohl geborgen vor allem Wirklichen, jeder Konkretion. Cong Sus Musiktheater „Welt im Quecksilberlicht“ etwa nach Gedichten von Gu Cheng (das Libretto verfasste Michael Schindhelm, der bei der Uraufführung im HAU1 freilich nicht zum Verbeugen erschien) entfaltet allenfalls assoziative Stärken. Die Gedichte, in affektstrengem Singsang vorgetragen (Yanan Li, DongJian Gong), die deutschen Texte, von den Maulwerkern mal geraunt, mal gesprochen, oben zappelnde Mao-Videos, unten ein giftgrün sprießendes Bonsaibäumchen – dies alles bleibt letztlich ebenso unverbindlich wie kraus. Die naiv-plakativen Bilder von Chen Shi-Zhengs Inszenierung jedenfalls verraten kaum, dass es hier um Exil und Entfremdung gehen soll, um Gedächtnisverlust und Selbstfindung. Cong Sus Musik begegnet all dem mit der Gelassenheit eines Soundtracks. Die Computerklänge lassen das Wasser rauschen und die Atmosphäre glucksen und scheuen sich keineswegs vor gewissen Eingängigkeiten.

Dagegen verhält sich Peter Eötvös’ „As I Crossed a Bridge of Dreams“ (1999) tags darauf fast akademisch: Immer wieder beschwört diese Partitur mittels eines aufwändigen Surroundsystems die Tiefe des Raums, wie im Feuerwerk schießen die Farben ins Bühnendunkel, jeder Oberflächenreiz ist aufs feinste strukturiert – und Humor hat das Ganze auch noch. Vier leibhaftige Instrumentalisten immerhin bevölkern in Cornelia Hegers brav stilisierender Regie das Geschehen (Cello, Altposaune, Kontrabassposaune, Sousaphon), der Rest der Musik wird ebenfalls elektronisch zugespielt.

Eötvös bezeichnet sein Stück als „Klangtheater“, und damit beantwortet sich jede Frage nach dem Was gewissermaßen von selbst. Aufgehängt an Tagebuch-Notizen der Hofdame Sarashina (sehr prägnant, sehr witzig: der Rezitant Vivian Lüdorf), ist die Musik hier selbst das Ereignis, nicht Frühling, Mond, nächtliche Katzenträume oder Tempelfantasien. Auch eine Botschaft. Und wer sagt denn, dass heutiges Komponieren noch weh tun muss.

„As I Crossed a Bridge of Dreams“ noch einmal heute, 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele.

Christine Lemke-Matwey

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