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Kultur: Alles Grölen verstummt

Durch eine Bodenluke klettern sie in ihr neues, beengtes Reich.Sie packen Koffer aus, bauen Betten, richten sich ein in diesem mit Stühlen und Tischen, Schränken und Kochgeschirr vollgestellten Transitorium in die vermeintliche Freiheit.

Durch eine Bodenluke klettern sie in ihr neues, beengtes Reich.Sie packen Koffer aus, bauen Betten, richten sich ein in diesem mit Stühlen und Tischen, Schränken und Kochgeschirr vollgestellten Transitorium in die vermeintliche Freiheit.Denn der Krieg, so hoffen die acht jüdischen Flüchtlinge, die sich dem Zugriff der Nazis in einem Hinterhaus-Versteck an der Amsterdamer Prinsengracht entziehen wollen, wird bald aus sein.Doch was kann man tun bis dahin? Womit füllt man die endlosen Tage?

"Ich hoffe, daß ich Dir alles anvertrauen kann, wie ich es bisher noch niemals konnte, und ich hoffe, daß Du mir eine große Stütze sein wirst." So eröffnet Anne Frank am 12.Juni 1942 ihr Tagebuch, das nach dem Krieg in dem verwaisten Amsterdamer Versteck gefunden wurde."Das Tagebuch der Anne Frank" ist aber nicht nur ein bewegendes Buch-Dokument über das Schicksal einer verfolgten Familie und das Seelenleben eines ungewöhnlich begabten Kindes, es wurde auch 1955 von Frances Goodrich und Albert Hackett zu einem Theaterstück destilliert.Schon einmal, 1981, hatte es am damaligen Theater der Freundschaft Premiere.Jetzt erlebt das konventionell gebaute, aber ungemein bühnenwirksame Stück am nunmehrigen carrousel-Theater unter der Regie von Klaus-Peter Fischer eine heftig bejubelte Neuinszenierung.

Das eben noch kichernd und grölend herbeiströmende jugendliche Publikum ist plötzlich mucksmäuschenstill, mit einem Schlag gefangen von dem, was dort auf dem Speicher ohne Aussicht geschieht.Es lebt und leidet mit Gina Durler, die bei ihrem Schauspiel-Debüt an der Parkaue eine großartige Figur macht.Vielleicht ist ihre Anne schon etwas zu fraulich und erwachsen, aber sie ist eine quirlige, sympathische Nervensäge, die sich selbst und ihren Körper, die Liebe und das Leben entdecken will.Wenn sie den verstockten Peter (Dirk Müller) endlich weichgekocht hat und küssen möchte, hoffen die Zuschauerherzen mit ihr.

Die ohne jeden reißerischen Effekt daherkommende Inszenierung verzichtet weitestgehend auf alles Politische.Hier wird nicht diskutiert und belehrt, sondern der draußen wütende Schrecken dringt als Beziehungs-Terror in die Zwangsgemeinschaft ein.Die Bedrohung der Vernichtungslager ist in jedem Ehekrach, in jedem Geschwisterstreit gegenwärtig.Daß Otto, Edith und Margot Frank (Steffen Pietsch, Annette Gleichmann, Gabi Völsch), Herr und Frau van Daan (Dirk Schoedon, Sabine Liebisch) sowie Zahnarzt Dussel (Wesselin Georgiew) eher eindeutige Haltungen als vieldeutige Menschen verkörpern, stört niemanden.Am allerwenigsten ein Publikum, das möglicherweise durch ein anrührendes, packendes Theatererlebnis viel mehr über den Holocaust erfährt als durch eine steinerne Stelenwüste.

Wieder am 15.1., 23., 24.2., 10 Uhr.

FRANK DIETSCHREIT

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