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Kultur: Alles ist Tod auf Erden

Skandal und Kalkül: Der neue Regiestar Calixto Bieito inszeniert Verdis „Il trovatore“ an der Staatsoper Hannover

Ein Baugerüst irgendwo im Nirgendwo. Rostschutzfarben. Baulampen, erbarmungslos kaltes Licht. Darüber das nackte Bühnenhaus – Züge, Brücken, Galerien, die Brandmauer. Darunter weitere Versatzstücke des zivilisierten Unbehaustseins: eine alte Badewanne, ein Bahn-Gepäckwagen, Bierkästen und ein Wellblechcontainer. Das Leben auf Montage – eine einzige rohe Grässlichkeit. Kein Wunder, dass der Mann hier zum Tier, nein: zur Maschine wird und sich so weit entseelt, dass selbst dem größten Schmerz, der widerlichsten Brutalität am Ende kein Funke Lust mehr innewohnt. Kein Wunder, dass der Mensch als Mann sich hier nicht einmal mehr durch weidliches Urinieren, Auskoten, Vergewaltigen und Metzeln noch zu helfen weiß. Und erst recht kein Wunder, dass das Mitleid im Saal zuallererst stirbt – früh und für Täter wie Opfer gleichermaßen.

Die Frage, was dieses Ambiente, diese rotzige Macho-Gesellschaft mit Giuseppe Verdis romantischer Schaueroper „Il trovatore“ von 1853 zu tun hat, sie verbietet sich natürlich. Ja, auf den ersten Blick hätte man sogar meinen können, dass solche Ortlosigkeit, solcher Nicht-Raum (Bühne: Ariane Isabell Unfried/Rifail Ajdarpasic) dem Stück in seiner reflexhaften Schwerelosigkeit ganz gut zu pass käme. Jene mehrfach durch den Belcanto-Quirl des 19. Jahrhunderts gedrehte Verballhornung des ach so „finsteren“ Mittelalters nämlich, sie sucht bei Verdi – und das seine bestechende Modernität aus – bloß Anlässe für Leidenschaft, Affekte, für die radikale Entäußerung der Figuren. Das heißt: Die Figuren selbst sind hier das Drama, in ihrer Vereinzelung, in ihrem Vom-Schicksal-Ausgespuckt-Sein. Das heißt auch: Jene bizarre und in keine Inhaltsangabe zu pressende Dreiecksgeschichte zwischen Leonora, dem Grafen Luna und Manrico als Tenor, Troubadour und magischem Verführer, die überdies die Geschichte der Zigeunerin Asuzena meint, die vor 20 Jahren ihren Sohn auf einen Scheiterhaufen warf – sie wird zwei gute Stunden lang durch nichts motiviert, sondern experimentiert nur mit der Masse Mensch, präzise und wie im Gen-Labor. Was passiert in einer Welt, so hat Verdi sich zwischen „Rigoletto“ und „La Traviata“ offenbar gefragt, in der nichts mehr passiert, in der alles diffus ist und entweder Schicksal oder Geschichte.

Genau diese Frage scheint auch Calixto Bieito umgetrieben zu haben, den neuen Stern am Opernregiehimmel, der bereits in der letzten Spielzeit an der Staatsoper Hannover durch einen martialischen „Don Giovanni“ auffiel (die Komische Oper hat ihn für die nächste Saison mit Mozarts „Entführung“ verpflichtet). Allein, Bieito will es nicht wissen – er weiß es immer schon. Prompt schart Ferrando (Goldbrille, Knobelbecher, wallendes Brusthaar: Hans-Peter Scheidegger) eine superauthentische Schlägertruppe um sich, lauter baumlange muskelbepackte Kerls mit Glatzen und Ganzkörpertätowierungen. Und irgendein armes Schwein trifft es immer: Ob Ferrandos Erzählung des verbrannten Säuglings in der allerersten Szene nun damit gekrönt wird, dass tatsächlich ein Mensch in Flammen aufgeht, ob Manrico später von derselben Meute erst in Frauenkleider gesteckt und dann kollektiv vergewaltigt wird, oder ob sich immer mal wieder ein Statist mit blutig polierter Fresse an der Rampe krümmt. Das Gewaltpotenzial ist ausufernd, ungehobelt machistisch und entsetzlich altbacken (wann zuletzt wurden auf einer Opernbühne – Kresnik lässt grüßen! – Gitarren zertrümmert, wann übte sich eine Horde nackter Hippies im Popoklatschen?), und es wird allenfalls durch ein paar kümmerliche Aperçus konterkariert: Wenn Leonora (erst arg rau, dann doch beherzt: Francesca Scaini) in seliger Manrico-Verzückung ihr Ohr an einen Cassettenrekorder hält oder wenn sie sich versuchsweise die Pulsadern aufschneidet, mit einer Marienstatue in der Badewanne sitzend.

Die Drastik der szenischen Sprache freilich ist gar nicht der Skandal. Das können Fernsehen und Kino besser, glaubwürdiger, ja „echter“. Der Skandal ist, dass Bieito Verdis Musik nicht wirklich interessiert, dass er sich mit seinen explodierenden Männerfantasien über jede varietà, jede Spannung, jeden experimentellen Kunstcharakter der Partitur hinwegsetzt. Dabei hätte man Mihkel Kütsons sorgfältigem Walten am Pult des Staatsorchesters Hannover gerne etwas konzentrierter zugehört, und auch die Sänger (Ki-Chun Park als erst sehr verzagter Manrico und Hannu Niemelä als Luna) wussten sich überzeugend zu steigern.

Gegen die finale Kerkerszene freilich weiß auch Bieito nichts auszurichten: Da hockt die von der Reihenvergewaltigung buchstäblich zerrissene, blut- und kotverschmierte Asuzena (mit wunderbar orgeligen Tiefen und stählernen Höhen: Leandra Overmann) am Boden des Containers und kichert irre vor sich hin, intoniert „In unsere Berge kehren wir zurück“ mit leise blökender Kinderstimme. Leid macht einsam, sagt dieses Bild. Alles ist Tod auf Erden. Dann schwingt der Henker sein blitzendes Beil. Bestes Verdi-Theater. Und ganz konventionell.

Christine Lemke-Matwey

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