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Kultur: Alles kreist

Neun Bildhauer suchen im Haus am Waldsee nach dem Neuen in der Kunst.

Die Parkbänke spielen verrückt im Haus am Waldsee. Eine überschlägt sich im Purzelbaum, die nächste keilt mit zwei Beinen aus, als wollte sie jeden Besucher in die Baumwipfel katapultieren. Wieder andere haben sich zum Ringelreihen aufgestellt. Die Bänke tollen scheinbar auf dem Rasen herum.

„Wie kommt das Neue in die Welt?“, hat sich Katja Blomberg, die Leiterin des Hauses, gefragt und neun Bildhauer und Bildhauerinnen eingeladen. Deren Werke geben keine eindeutige Antwort, aber sie liefern Inspirationen. Bei dem dänischen Künstler Jeppe Hein, von dem die tobenden Bänke stammen, entsteht das Neue in der Pause, im Spiel und im Lächeln.

Doch was ist das Neue? Existiert es überhaupt in der Kunst oder ist alles schon einmal da gewesen? Der Japaner Reijiro Wada kopiert für seine „Isola“ im Waldsee die Eigenschaft des Wassers: die Durchsichtigkeit. Er hat vier Fensterscheiben aus Isolierglas wie Reisstrohmatten angeordnet. Sie treiben auf dem See und eröffnen den Fischen die Sicht in den Himmel und den Vögeln den Blick in den Teich. Bei Reijiro Wada deckt sich das Neue mit dem Uralten in stiller Harmonie.

Im Inneren des Hauses empfängt Berta Fischer die Besucher mit bombastischer Theatralik. Drei knallrote Vorhänge aus gewelltem und durchlöchertem Plexiglas teilen den Raum. Durchlässig und starr. Die 39-jährige Künstlerin zündet ein optisches Feuerwerk. Sie knittert und knüllt das grellbunte Acrylglas wie Bonbonpapier. Mal kleben die Gebilde scheinbar schwerelos unter der Decke, mal stehen sie auf dem Boden, nur ihre Fransen stieben in die Luft. Die Schnittkanten betonen in dichter Farbigkeit die Konturen. „Unki“, „Amop“, „Krito“, „Zosmi“ – Berta Fischer tauft ihre Werke wie Aliens. Sie schafft Neues aus Formen der Sakralkunst und lässt es aus einem anderen Orbit landen.

Vor den Fenstern im ersten Stock gehen stündlich mit großem Getöse die Läden auf. Michael Sailstorfer feiert die Offenheit in einer geräuschvollen Zeremonie. Das Neue will auch hereingelassen werden, wenn es anklopft.

Alicja Kwade dagegen glaubt nicht an das Neue. Für sie dreht sich die Zeit im Kreis. In der Installation „Täuschung massereicher Körper“ von 2011 hat sie Glasplatten gebogen. Darin spiegelt sich der Schein von Art-déco-Lampen. Die Anordnung bezieht sich auf das Planetensystem. Durch die Krümmung des Raumes gaukelt das Licht der Sterne den Erdenbewohnern eine falsche Position vor. Manche Himmelskörper sind längst erloschen, wenn ihr Lichtstrahl eintrifft. Neu ist relativ, wenn Lichtjahre als Maßstab gelten.

Michael Beutler, 1976 in Oldenburg geboren, geht das Thema praktisch an. Bei ihm führt das Neue zum Ursprung zurück. Er zeigt, wie es produziert wird. Für „La Cacahuète (Workbenches)“ baut er Werkbänke aus gefaltetem Papier. Der Gartensalon der Villa gleicht nun einem Atelier. Auf Regalen stapeln sich Rollen von Malerpapier, in Schraubstöcken trocknen die geleimten Arbeitsplatten. Das Neue ist noch nicht fertig. In einer Trommel hat Beutler Papier zu Würsten gepresst. Das Material nimmt wieder die Form des Baums an, sein Charakter aber hat sich gewandelt. „Neues ist oft auf dem Irrweg zu finden“, meint Katja Blomberg.

So treibt die Ausstellung ihr Spiel. „Wie kommt das Neue in die Welt?“ Mal scheint die Antwort auf der Hand zu liegen, mal entwischt sie. Doch das Vergnügen besteht darin, den Kurven, Krümmungen und Irrungen zu folgen. Das Neue entwickelt seinen Sog, wenn der Verstand kein Ziel verfolgt. Es entsteht aus dem Luxus nichtsnutziger Gedanken.

Bis 26.9., Di-So 11-18 Uhr, Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30.

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