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Kultur: Alles leuchtet

Die Galerie September zeigt Nikolaus Utermöhlen

Das Aktmodell ist im Atelier zusammengebrochen. Rund um den Mann am Boden blühen Feuerwerke und Sonneneruptionen, gleich Himmelskörpern fügen sich stachelige Fingergymnastikbälle in den kosmischen Reigen. Oder sind es Viren? Die Tafeln des Zyklus „Das ohnmächtige Modell“ (1994) umkreisen den Betrachter. Eine Fiebervision glüht in diesem Kabinett der Galerie September. Das Foto mit der nackten Titelfigur zeigt die Dachwohnung des Berliner Künstlers Nikolaus Utermöhlen – mitsamt einigen Objekten, die in den Bildern der Ausstellung wieder auftauchen (Preise: 2000–26 750 Euro). Sogar das Fachwerk hat Oliver Koerner von Gustorff nachbauen lassen. Der Galerist war mit Utermöhlen zusammen, bis der Künstler 1996 an den Folgen von Aids starb. Das Paar ist auf einem Foto seiner Freundin Nan Goldin zu sehen, das dieser Tage in der Berlinischen Galerie gezeigt wird.

Utermöhlens Kunst wurzelt im Gattungsgrenzen ignorierenden Werk der Performance-Band Die Tödliche Doris, die er 1980 gemeinsam mit Wolfgang Müller gründete. Nach Auflösung der Gruppe sieben Jahre später machte Utermöhlen als Maler weiter. Wobei Malerei und der Einsatz fotomechanischer Verfahren in dieser konzeptuellen Kunst miteinander verschmelzen. Eine Kunst, die erstaunlich aktuell wirkt. Eine Viererserie mit Fotogrammen farbiger Lichtverläufe nimmt abstrakte Arbeiten von Wolfgang Tillmans vorweg. Licht und Spektralfarben spielen eine zentrale Rolle, wobei Utermöhlen zwischen Newtons und Goethes Farbenlehre steht, zwischen Aufklärung und Mystik.

Das vierteilige Bild „Vor dem Tempel der Ungerechtigkeit“ (1991) ist wie mit ätzender Farbe gemalt. Die Collage aus Kopien auf Aluminium zeigt eine kitschige Tempelkulisse, die sich in ihrer eigenen giftigen Farbigkeit zu zersetzen scheint. Im linken Vordergrund stehen sich zwei Männer gegenüber, einer nackt und einer in Ritterrüstung. Utermöhlens Schaffen strebt nach der Auflösung solcher Gegensätze zwischen empfindsam und martialisch, verletzbarer Haut und undurchdringlichem Panzer. Schwerter mutieren bei ihm zu Ornamenten. Ein in zwölf Tafeln geteiltes Bild („Untitled“, 1991) zeigt Männer, die während einer Razzia auf dem Boden liegen. Grauer Polizeialltag, den der Künstler mittels Übermalungen und aufgeklebtem Glitter ins Auratische verklärt. Farbige Akzente setzt Utermöhlen häufig mit bemalten Bildkanten, deren Reflex die wandweißen Zwischenräume illuminiert. In dem Diptychon „Zwei Freunde“ geht die Lücke mitten durch einen fotokopierten Jüngling mit erigiertem Penis. Ein Schlitz aus rosa Licht trennt Unterleib und den denkenden Rest. Zwei, die sich selten einig sind.

Nüchtern betrachtet: ein schmales Gesamtwerk, Fake-Malerei, billige Materialien und triviale Inhalte. Man braucht Zeit, um der minutiösen Kalkulation und Gedankentiefe in Nikolaus Utermöhlens Bildern auf die Spur zu kommen. Doch immer ist er da, dieser Schimmer von Unsterblichkeit. Jens Hinrichsen

Galerie September, Charlottenstr. 1;

bis 5. Februar, Di–Sa 12–18 Uhr.

Jens Hinrichsen

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