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Kultur: Alles nur Theater - oder wie funktioniert die Börse ?

Wer rastet, der rostet - und kriegt vom Aktienkuchen kein Stück mehr ab. Jetzt wollen 20 Millionen Deutsche T-Online kaufenMichael Zapf John Maynard Keynes, der große Ökonom und erfolgreiche Börsenspekulant, erklärte seine Erfolge damit, dass es an der Börse zugehe wie bei einer Modenschau.

Wer rastet, der rostet - und kriegt vom Aktienkuchen kein Stück mehr ab. Jetzt wollen 20 Millionen Deutsche T-Online kaufenMichael Zapf

John Maynard Keynes, der große Ökonom und erfolgreiche Börsenspekulant, erklärte seine Erfolge damit, dass es an der Börse zugehe wie bei einer Modenschau. Man brauche nicht zu wissen, wer die Schönste im ganzen Land sei - sondern wer von der Mehrheit der anderen für die Schönste gehalten werde. Die seither bei Börsenkennern gebräuchliche Metapher der "keynesianischen Modenschau" kommt also ohne jene öknomischen Kriterien aus, die ernsthafte Anleger zur Chancen-Analyse einer Aktie bemühen.

Ist an der Börse folglich alles nur Theater, Mache, Volksverdummung: ein Kasino mit Regeln der Werbebranche? Aber nicht doch, es könnte ja sein, dass genau jeneMehrheit eine sehr kluge Mehrheit ist, zum Beispiel, wenn es sich bei ihr um abzählbar wenige, aber auf besonders großen Wertpapier-Portfolios sitzende Vermögensverwalter handelt, die für die Pensionskassen der industrialisierten Welt global agieren. Denn diese haben sehr wohl ausgefeilte Kriterien der Beurteilung, und damit muss der Teilnehmer an der "Modenschau" sich diese Kriterien eigentlich aneignen, will er mitspielen. Wenn da nicht die Tatsache wäre, dass diese Profis im Durchschnitt auch nicht besser sind als der Durchschnitt, aber das ist wohl eher tautologisch: Wenn sie nämlich die dominanten Kräfte am Markt sind, dann definieren sie auch den durchschnittlichen Erfolg - und im Durchschnitt können sie diesen logischerweise nicht schlagen. Augenblicklichist das auch nicht so wichtig, denn so, wie es an den Aktienmärkten gerade läuft, ist auch durchschnittlicher Erfolg ein Gewinn. Ein Gewinn, der zur Zeit alle anderen Anlagen schlägt.

Die Halbleiterlogik von heute

Fragt man jemanden auf der Straße, was er von Aktien hält, dann kann er heute zumindest "Infineon" buchstabieren. Infineon? Diese Halbleiter-Sparte von Siemens, über die alle Analysten seit Jahrzehnten nur gelästert haben, dieses Fass ohne Boden, dessen Produkte immer dann, wenn sie gerade auf den Markt kamen, veraltet waren und im Preis verfielen, diese Sparte ist plötzlich die Schönste im Land? Und wer hat Halbleiter, die der zyklische Rohstoff des Computerzeitalters sind, mit entsprechenden Preisschwankungen wie Stahl oder Zement in früheren Zeiten, wer hat sie so rausgeputzt, dass sie die Aura der mit ihnen geschaffenen Endprodukte bekamen? Richtig - eine Werbeagentur. Aber, werden Sie fragen, es können doch wohl nicht dieselben Profis, die sonst so scharf rechnen, plötzlich zu denen gehören, die auf schiere PR reinfallen?

Einer der größten und berühmtesten Anleger ist Warren Buffett. Gerade hat er seinen Rechenschaftsbericht für das Jahr 1999 vorgelegt. Buffett ist einer der reichsten Männer der Welt, und er ist dies mit einem Anlagekonzept geworden, das langfristig innere Werte in unterbewerteten Aktien identifiziert. Seiner Firma Berkshire Hathaway gehören unter anderem 11 Prozent von American Express, 8 Prozent von Coca Cola, 9 Prozent von Gillette, 18 Prozent der "Washington Post". Und genau dieser grundsolide Anleger, dessen theoretische Bücher zur Pflichtlektüre für vorbildliches Handeln am Aktienmarkt gelten, den alle imitieren wollen und nie erreichen, dieser Buffett hat im Jahr 1999 gründlich schiefgelegen, mit einem Wertzuwachs pro Anteil von gerade einmal 0,5 Prozent. und er ist nur die Spitze des Eisberges einer ganzen Reihe von Vermögensverwaltern, von denen viele in letzter Zeit wegen mangelnder Leistung gefeuert wurden.

In was für einem Theater sind wir hier eigentlich? Wer agiert hier eigentlich für wen, und mit welchen Motiven?

Zum ersten wären da die klassischen Vermögensverwalter, die für Versicherungen, Fonds und Pensionskassen agieren. Diese Vermögensverwalter haben ein spezifisches Geschäftsrisiko: indem sie eine Konkurrenz schlagen müssen, die wiederum behauptet, sie könne den Aktienindex schlagen. Denn wenn man den Index, also das "naive" Portefeuille, nicht schlagen kann, dann bekommt man kein Geld zur Verwaltung anvertraut, denn den Index kaufen kann der Kunde auch ohne fremde Hilfe. Und damit wird der Index zur Messlatte, der sogenannten benchmark. Und deshalb werden durchschnittliche Vermögensverwalter dazu tendieren, den Index zu kaufen. Dies hat den zusätzlichen Vorteil, dass zu genau diesem Index in der Regel Derivate existieren, mit denen man die Anlage absichern kann, was weniger Sinn machte, wenn man gar nicht in Indexaktien investiert hätte. Damit aber werden Indexaktien systematisch mehr gekauft als andere - und sie werden relativ überbewertet, was mit innerem Wert gar nichts, aber sehr viel mit so genannter Indexgewichtung zu tun hat. Exemplarisch war dies Anfang 1999 zu sehen, als mit Einführung des Euro plötzlich die Heimatwährung für europäische Versicherungen auf einem größeren Territorium galt: Hatte man vorher eine in DM auszuzahlende Summe mit Anlagen in DM-Wertpapieren abgesichert, konnte man dies nun euro-weit tun. Damit wurde der Euro-Aktienindex zur Messlatte, und die in ihm enthaltenen 50 Aktien wurden zu den Star-Performern.

Der Euro-Index schlug sofort alle nationalen Indices wie den Dax, mit der einzigen Ausnahme des finnischen Indexes, dies aber nur deshalb, weil der finnische Index von einer einzigen Aktie, nämlich Nokia, dominiert wird, und die wiederum war in genau diesem Euroindex als einzige finnische Aktie enthalten. Aber mehr noch, indem eine im Euroindex enthaltene Aktie, z. . die deutsche Telekom, so stark stieg, erhöhte sie auch ihr Gewicht in dem nationalen Index, in dem sie enthalten war: in diesem Falle dem Dax. Dies wiederum bedeutete, dass Fonds, die auf Anlagen in deutschen Aktien spezialisiert waren, Telekom zukaufen mussten, um nicht untergewichtet zu erscheinen. Was wiederum den Preis der Aktie antrieb, womit sie ihr Gewicht im Euroindex erhöhte, was wiederum die Anleger in europäischen Aktien und so weiter und so fort.

Man muss den zuständigen deutschen Gremien zugute halten, dass sie diesen Zirkel erkannt haben und dass deswegen das Indexgewicht der Telekom auf 15 Prozent begrenzt wurde. An dem grundsätzlichen Kurzschluss dieses benchmarkings ändert das aber nichts: Als Mannesmann nach der Übernahme durch Vodafone aus den Indices verschwand, konnte man als Euro- oder DM-Anleger mit den eingetauschten Vodafone-Aktien wenig anfangen, denn diese waren ja in britischen Pfund notiert, und das britische Pfund ist keine Eurowährung. Also musste umgeschichtet werden, und die eine kleine Aktie, die Mannesmann im Dax ersetzte, stieg sofort um 20 Prozent. Mit inneren Werten hat all dies gar nichts zu tun.

Nach Vodafone der T-Online-Trick

Zum anderen ist da das Privatpublikum, das, vorsichtig wie es immer war, nach zwei Dekaden Börsenhausse jetzt endlich überzeugt ist, dass Aktien eine solide Anlage sind. Deutschland ist ein Land der Aktienanleger geworden. Und offensichtlich ist es vor allem die ältere Generation, die sich engagiert. Dies hat demographische Gründe, der Vollerbe ist heute 55-60 Jahre alt, also selbst kurz vor der Verrentung, und er erbt das von seinen Eltern in der Nachkriegszeit aufgebaute Vermögen. Dieses besteht in der Regel aus Immobilien und Rentenanlagen, und da letztere derzeit wenig Zinsertrag bringen, wird umgeschichtet. Ansteckungseffekte kommen hinzu, jeder kennt irgendjemanden, der an der Börse schnell Geld verdient hat, und so nährt die Hausse die Hausse. Und wieder ist es wichtig, modisch korrekt zu agieren - man fasst an, was geht, und man engagiert sich in Fortschrittlichkeit, in start-ups von jugendlichen Menschen mit Touch für moderne virtuelle Umgangsformen. Es ist immer wieder dasselbe Bild, das man sieht, wenn das Fernsehen über eine Neuemission berichtet: Ältere Damen, die verschmitzt gestehen, "dabei" zu sein, und junge Männer mit schicken Frisuren und schwarzen Anzügen, die nervös darauf warten, wie hoch der erste Kurs über dem Emissionskurs liegt.

Es sind aber diese jungen Männer, die die einzig sicheren Gewinner des Spiels sind, sie sind die Kassierer am Eingang des Theaters, bei denen für das Vergnügen bezahlt wird. Es gibt eine alte saloppe Börsianererklärung für steigende Kurse: dass es mehr Käufer gibt. Dies ist natürlich Unfug, denn genau so viel, wie der Käufer zahlt, bekommt ja der Verkäufer; das heißt, bei der normalen Transaktion ist der Nettobetrag, der in das System Börse geht, Null. Das einzig wirklich neue Geld ist das, das in neue Emissionen respektive Kapitalerhöhungen geht. Und man braucht nur diesen Betrag in Relation zu setzen zu den ungeheuren Buchgewinnen, die gleichzeitig an der gesamten Börse anfallen, um zu sehen, wie gewaltig die Hebelwirkung dieses neuen Geldes ist. Es sei denn, dass die Anzahl der Kassierer so sehr steigt, dass das eingeforderte Eintrittsgeld die Portemonnaies des Publikums überfordert. Dann wird die Vorstellung abgeblasen, und die Lichter gehen aus.

Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um diesen Zeitpunkt ziemlich bald zu erwarten, weil die Schlange der Kassierer derzeit schnell anwächst. Die Emittenten wollen schnell noch ihre Strategien unter Dach und Fach bringen, bevor die Musik zu spielen aufhört. Alle haben aus dem Fall Vodafone-Mannesmann eines begriffen: Es ist nicht notwendig, mit Geld einzukaufen (das hatte Vodafone nicht), man braucht nur genehmigtes Aktienkapital zu haben. Wie viel die Aktien wert sind, entscheidet ihr Kurs, und mit ihnen kann man sich dann die Aktien eines Konkurrenten einverleiben. Dessen Aktien verschwinden dann vom Markt, das ausstehende Aktienkapital der neuen fusionierten Firma ist danach genau so groß wie vorher, mit dem Unterschied, dass einem jetzt der Konkurrent gehört. Und die Geldschöpfung dieser Währung, mit der man den Deal gemacht hat, wird von keiner Zentralbank überwacht, im Prinzip hat man sie selbst gedruckt, und wenn sie akzeptiert wird, dann kann man damit auch einkaufen. Altmodische Barzahler sind diejenigen, die für reales Geld Neuemissionen kaufen, deren einziger Zweck es ist, dem Emittenten solche Währung zu verschaffen. Der Telekom zum Beispiel. Sie bringt 10 Prozent von T-Online an die Börse, und dieser Anteil soll auch bei 10 Prozent bleiben. Damit ist diese Aktie knapp, das ist Absicht, denn was knapp ist, steigt im Kurs. Und damit steigt auch der Wert der 90 Prozent T-Online-Aktien, die bei der Telekom verbleiben: als Währung für Einkäufe.

Das Geheimnis des Multiplikators

Alles in Ordnung, solange die Kurse in eine Richtung gehen. Aber dafür brauchen sie letztlich immer neue Liquidität. Und die kommt von zwei Enden in die Zange: Einmal, weil der Emissionsdurst steigt, zum anderen, weil über dem Atlantik etwas Neuartiges passiert. In den USA trocknet der Rentenmarkt in langen Laufzeiten aus, weil die öffentliche Hand keine Defizite mehr macht. Zu den Börsenregeln gehört, dass sinkende Zinsen gut für Aktien sind, weil sie anzeigen, dass überschüssige Liquidität vorhanden ist. In Amerika sinken die langfristigen Zinsen aber, weil die Kreditnachfrage zurückgeht, und das ist neu. Hinter jeder Geldschöpfung steht ein Kredit, und jeder Volkswirtschaftsstudent kennt das Phänomen des Kreditmultiplikators: dass ein einmal gewährter Zentralbankkredit sich multipliziert, weil er auf Einlagen landet, gegen die die Bank dann wieder Kredite gewähren kann, die wieder auf Einlagen landen. Und Einlagen sind "Geldmenge". Aber dieser Prozess dreht sich um, wenn Kredite getilgt werden, dann läuft der Multiplikator rückwärts.

Hoffentlich reicht das Geld dann noch für ein Lachsschnittchen nach der Vorstellung.Der Autor ist Beirat einer internationalen Investmentbank und studiert Cembalo an der Musikhochschule in Frankfurt am Main.

Michael Zapf

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