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Kultur: Alles rennet, rettet, flüchtet

Nach der Flut: Dresdens Skulpturensammlung wirbt in Berlin um Unterstützung

Hilfesuchend reckt der „Betende Knabe“ die Arme gen Himmel. Der kolorierte Gipsabguss nach einem Original aus dem Jahre 320 vor Christus, in diesem Jahr in der Berliner Gipsformerei für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden angefertigt, reißt die Emotionen an, die sich im folgenden Saal („Bewegung“) auffächern: Erregung, Entsetzen, verzweifeltes Flehen. Da kämpfen Laokoon und Herkules verzweifelt mit Schlangen, reißt der Kentaur Nessus die Herkulesgattin Deianeira an sich, schleppt man Lasten weg, ringt die Hände oder flieht in Auflösung.

Dramatik war angesagt im August dieses Jahres, als das Elbehochwasser in Dresden auch die rund 11000 Objekte aus den Depots der Skulpturensammlung bedrohte. Innerhalb weniger Stunden retteten die Mitarbeiter des Museums in einer herkulischen Anstrengung einen Großteil der Schätze in die große Antikenhalle - nur rund 150 für den Transport zu schwere Objekte verblieben im Kellerdepot und wurden durch stetes Abpumpen des Wassers gerettet.

Die Bilder aus Dresden wird auch der Besucher, der durch die sich so zurückhaltend und nobel präsentierenden Räume des Gropius-Baus (Einrichtung: Günter Krüger) geht, nicht los. Dresdens Museumsgeneral Martin Roth tut daher gut daran, mit einer Fotostrecke zu Beginn der Ausstellung noch einmal jener dramatischen Stunden und des unschätzbaren Einsatzes aller Beteiligten zu gedenken: Nicht Voyeurismus sei es, der die Erinnerung diktiere, so Roth, sondern die Erkenntnis, dass die eindrucksvolle Präsentation, die für Berlin in nur zwei Monaten auf die Beine gestellt wurde, nicht denkbar wäre ohne die vorangegangene Katastrophe.

Und doch: Auch ohne das Vorwissen, auch ohne den ersten Saal im Gropius-Bau, der 150 der rund 4800 Gipsabgüsse aus Dresden in eben jener flutbedingten Zufälligkeit präsentiert, wäre die Ausstellung der Skulpturensammlung in Berlin ein Lichtblick im müden hauptstädtischen Kunstherbst. Nicht nur, weil es das erste Mal ist, dass sich Dresden so umfassend in einer anderen Stadt präsentiert. Auch nicht, weil sich von der Berliner Antiken-Sammlung Bellori über die „Große Kniende“ von Wilhelm Lehmbruck, deren Berliner Pendant im Krieg unterging, bis hin zu Klingers Büste des in Berlin tätigen Psychologen Wilhelm Wundt vielfältige Verbindungslinien zwischen Elbe und Spree finden lassen. Sondern, weil die von Kurator Moritz Woelk nicht chronologisch, sondern phänomenologisch zusammengestellte Ausstellung kluge Korrespondenzen zwischen den rund 200 Werken aus fünf Jahrtausenden findet: etwa, wenn sie Lehmbrucks existenzialistisch gelängte Figuren mit Wieland Försters zusammengekauertem Torso von 1989 kombiniert oder den ägyptischen Grabbeigaben Martin Schoenholtz’ Skulptur „Adam und Eva“ an die Seite stellt, die an ein antikes Grabtor erinnert.

Eine bessere Werbung für die Unterstützung der Aufbauarbeit in Dresden hätte sich Roth kaum ausdenken können – zumal, weil die Dramatik in Dresden selbst schon gar nicht mehr augenscheinlich ist (Tagesspiegel vom 11.11.). Die Schauräume der Museen funktionieren drei Monate nach dem Hochwasser wie zuvor. Was fürs Erste verlorenging, war der Unterbau, die Depots, die nun an nicht hochwassergefährdeter Stelle neu installiert werden sollen – die Kosten dafür schätzt Roth auf 30 Millionen. Dafür sammelt die Ausstellung „Nach der Flut“ in Berlin, die mit 140 Werken der Gemäldegalerie im Alten Museum ab 18. Dezember noch eine Fortsetzung finden wird. Dafür sammelt aber auch eine – für jedermann zugängliche – Versteigerung in der Neuen Nationalgalerie am kommenden Sonnabend, für die 45 Künstler von Gerhard Richter bis Andreas Gursky aus alter Verbundenheit zur Elbestadt Werke gestiftet haben. So viel Dresden war in Berlin noch nie.

Nach der Flut. Die Dresdner Skulpturengalerie in Berlin, Martin-Gropius-Bau, bis 10. Februar, täglich außer Dienstag 10 - 20 Uhr. Der Katalog kostet 14,90 Euro.

Künstler helfen Alten und Neuen Meistern, Auktion in der Neuen Nationalgalerie, 30 11., 18 Uhr. Vorbesichtigung: 27.-30. 11., Mi und Fr 10-18, Do 10-22, Sa 11-18 Uhr.

Christina Tilmann

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