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Kultur: Alles shoppt

n Kürze steht die größte Eröffnung bevor, die Berlin seit langem gesehen haben dürfte.Die debis-Stadt am Potsdamer Platz wird zeigen, ob sie den erwarteten Publikumsmagneten abgibt.

n Kürze steht die größte Eröffnung bevor, die Berlin seit langem gesehen haben dürfte.Die debis-Stadt am Potsdamer Platz wird zeigen, ob sie den erwarteten Publikumsmagneten abgibt.Auf jeden Fall im Angebot: Läden über Läden.Shopping steht auch am Potsdamer Platz obenan.

Eine sichere Methode, etwas über das Denken und Fühlen einer Zeit zu erfahren, besteht darin, sich die wichtigste Bauaufgabe der jeweiligen Epoche anzusehen.Als jene Sorte von Gebäuden, die die Menschen unserer Tage am meisten umtreibt, wurden in den letzten Jahren immer wieder Kultureinrichtungen genannt: vom Museum über das Theater bis hin zur multifunktionalen Anlage à la Centre Pompidou.

Der Musentempel als Goldenes Kalb zeitgenössischen Bauens - das hätte man natürlich gern.Die Realität spricht eine andere Sprache.Bahnhöfe und Flughäfen werden reihenweise zu Einkaufszentren umgewandelt, die BVG würde am liebsten auch mit jeder größeren U-Bahnstation so verfahren.Entstehen neue Kinokomplexe, so meist nicht mehr als eigenständige Anlagen, die entsprechend als architektonische Subjekte im Stadtbild in Erscheinung treten, sondern als Anhängsel von Shopping Malls.Das Rathaus Friedrichshain ist in einen Einkaufskomplex umgezogen, die Hauptstelle der Stadtbücherei Neukölln - einen recht hübschen Bau aus den fünfziger Jahren - hat man jüngst abgerissen: Sie erhält ein neues Domizil in dem an ihrer Stelle entstehenden Einkaufscenter.Kein großes Museum kommt heute mehr ohne "Shop" aus, in dem neben Büchern, Postkarten und Plakaten auch allerlei Tand verramscht wird, und der Gipfel des Vergnügens (und des Marketings) wäre erreicht, wenn es im angeschlossenen Museumsbistro vielleicht noch Schlemmereien nach Originalrezepten von Picasso oder van Goghs Mutter gäbe.

Kulturtempel und Eisenbahnpaläste, stolze Postämter und Rathäuser - alles wird in Einkaufszentren umgewandelt oder verschwindet in diesen.Wie sehr dies dem Weltbild und Wertesystem unserer Gesellschaft entspricht, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß all dies nicht etwa unter einem entsetzten Aufschrei der Öffentlichkeit oder wenigstens der letzten Reste des Bildungsbürgertums geschieht, sondern unter allgemeinem Beifall.Angesichts dessen muß man den Bauherren und Betreibern der neuen Einkaufsparadiese schon dankbar sein, wenn sie sich damit bescheiden, ihren Konsumtempel nur "Forum" zu taufen und nicht gleich "Agora" oder "Akropolis".Was freilich der Realität eher entsprechen würde.Und es ist nur konsequent, daß man beim Umbau des Bahnhofs Zoo eine Verkaufsstelle für S-Bahn-Fahrkarten vergaß und in Berlin demnächst der erste U-Bahnhof nach dem benachbarten Konsumtempel umbenannt werden soll.Der Bezirk hat schon begeistert zugestimmt, nur die zuständige Senatsverwaltung ziert sich noch.Zum Dank wollen die Herren des Warenzirkusses dann vielleicht ein bißchen Geld zur Instandsetzung der mit Steuermitteln errichteten Station stiften.

Die zentrale Bauaufgabe zeigt stets auch, was die Menschen einer Epoche bis zur Besessenheit umtreibt: Im Mittelalter war es der Gedanke an das Jenseits, im Absolutismus die Verherrlichung der eigenen Macht, am Ende des Industriezeitalters ist es das Einkaufen.Wobei es kein Widerspruch ist, daß einerseits die Umsätze im Einzelhandel seit Jahren schrumpfen, die Kaufkraft beständig sinkt, andererseits allerorten an der Vermehrung der Handelsfläche gearbeitet wird.Die ökonomische Abstrusität belegt vielmehr, wie benebelt man mittlerweile von der Idee ist, immer und überall einkaufen zu können und zu müssen, wogegen alle anderen Gebäudefunktionen nebensächlich werden.Und eine der wenigen Institutionen, die noch nicht in den Strudel des Dauershoppens geraten ist, demonstriert gerade damit, wie sehr sie den Anschluß an die Gegenwart verpaßt hat: Andernfalls hätte die Kirche schon längst ihre oft großen, prachtvollen und exponiert gelegenen Gotteshäuser in Shoppingcenter verwandelt.Schließlich haben diese Bauten zumindest in den Städten ihre Funktion weitestgehend verloren, und unterhalten kann sie die von akuten Finanznöten geplagte Kirche bekanntlich auch kaum mehr.Am Rande des bunten Treibens könnte sie dann ja Betecken (zeitgemäß: "Praying Corners" oder "Salvation Centers") einrichten - natürlich mit angeschlossenem "Jesusshop".Und sich wie die Bahn damit trösten, daß ihre stolzen Bauten auf diese Weise wenigstens noch in irgendeiner Form und ganz am Rande ihrem ursprünglichen Zweck dienen.

JAN GYMPEL

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