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Kultur: Alles so schön düster hier

Schräge Blicke auf die Stadt: die Ausstellung „Ortsbegehung“ im Neuen Berliner Kunstverein

Bibi ist ein lustiges Kerlchen, eine Art R2D2 („Star Wars“) für Arme. Und er beherrscht eine Menge Kunststücke. Nicht nur, dass er seine roten Leuchtdiodenaugen wundervoll theatralisch rollen lassen kann, der kleine Roboter verfügt auch über profunde kunsthistorische Kenntnisse: Auf Knopfdruck imitiert er Bruce Naumans Performance „Walking in an Exaggerated Manner around the Perimeter of a Square“ aus dem Jahr 1968. Mit anderen Worten: Bibi geht im Quadrat, wobei er es tatsächlich etwas übertreibt mit der Exaltiertheit, wie er so starr und steif um die Ecken biegt.

Bibi ist ein Geschöpf des 1968 in Bukarest geborenen Künstlers Daniel Knorr. Dieser nimmt derzeit im Neuen Berliner Kunstverein an einer Ausstellung teil, die den Beweis antritt, dass die seit der letzten Documenta in Kassel etwas in Verruf geratene reflexive, politisch orientierte Kunst ganz und gar nicht spröde und unsinnlich sein muss. Sondern im Gegenteil sehr fesselnd ist, zumindest wenn man sie so arrangiert und kombiniert wie der Berliner Kritiker, Essayist und Kurator Marius Babias, der die Schau „Ortsbegehung 11 – Handlungsformate“ auf Einladung des NBK zusammengestellt hat.

Dabei täuscht der etwas kompliziert klingende Titel darüber hinweg, dass hier beste Unterhaltung geboten wird – sofern man darunter mehr versteht als nur den Kick für einen Augenblick. So präsentiert die finnische Künstlerin Laura Horelli, Jahrgang 1976, eine Serie von knapp 80 Fotos, die eine Art Vergleich darstellen zwischen den Städten Kiew und Berlin. Horelli beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit damit, das Verhalten von Menschen privat und in der Öffentlichkeit zu analysieren, um daraus Schlüsse über die Verfasstheit und die Möglichkeiten innerhalb einer Gesellschaft im großen Ganzen zu ziehen. Ob ihre Vorgehensweisen dabei immer so zwingend erhellend sind, wie sie es selber gerne hätte, sei hier einmal dahingestellt. Doch dies ändert nichts daran, dass man ihre Fotos gern anschaut: Die Karl-Marx-Allee in Berlin ist leer, eine Kulisse, die eher für Filmproduktionen taugt, wenn man sie in Relation setzt zum wuseligen Treiben auf dem Kiewer Kreschtschatik-Boulevard.

Auf Anhieb etwas sperrig wirkt auch der Film der in Kopenhagen und Berlin lebenden Katya Sander (geboren 1970). Sander hat im ehemaligen Olympiadorf in München Architekten, Bewohner und Passanten zum Thema „Was ist für Sie Öffentlichkeit?“ befragt – und bereits nach kurzer Zeit entwickelt das aus kunstvoll schrägen Perspektiven aufgenommene Frage-und-Antwort-Spiel einen ziemlich unwiderstehlichen Sog. Am Ende ist der Betrachter quasi selber Teil des Films, denn auch er formuliert nun unablässig neue Antworten und Thesen.

Das eindrucksvollste Werk in der Ausstellung stammt jedoch von Daniel Knorr, und – Bibi möge es verzeihen – besteht aus einer Reihe von 27 Fotografien, die der Künstler mit einer so genannten Nassplattenkamera in seiner Geburtsstadt Bukarest hat machen lassen. Diese in der Frühzeit der Fotokunst entwickelte Technik bewirkt, dass die Bilder aussehen wie aus dem 19. Jahrhundert: menschenleere Straßen, düstere Gebäude, es ist insgesamt eine furchterregende Atmosphäre, die diese Fotos verbreiten. Bis man bemerkt, dass man gerade im Begriff ist, Knorr mächtig auf den Leim zu gehen. Denn was er vorführt, entspricht so sehr den eigenen Vorstellungen von der dunklen Seite der rumänischen Hauptstadt, dass diese Deckungsgleichheit eigentlich kein Zufall sein kann. So konfrontiert Knorr den Betrachter mit dessen persönlichen Klischees, bis deren peinliche Oberflächlichkeit sich in voller Pracht vor ihm entfaltet hat.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, bis 14. August.

Ulrich Clewing

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