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Kultur: Alles war ihm eine Lust

Zum Tod des poetischen Universalisten und Gründers des Literarischen Colloquiums Berlin Walter Höllerer

Von Gregor Dotzauer

In welcher Rolle er auch auftrat – er dilettierte in keiner. Walter Höllerer war ganz Literaturwissenschaftler, ganz Dichter, ganz Herausgeber, Entdecker und Mentor, ganz gewiefter Organisator – und dadurch von allem etwas mehr. An der Technischen Universität Berlin, wo er seit 1959 eine Professur für Germanistik, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft inne hatte, nahm er die Studenten mit seinem unakademischen Gestus für sich ein, ohne deshalb der philologischen Akribie abzuschwören. Als Lyriker, der 1952 mit dem unlängst neu aufgelegten Band „Der andere Gast“ debütierte, war ihm bewusst, dass ein mönchisches Schreiberleben nicht ausreicht, um Texten ein Publikum zu verschaffen. Als Begründer der bis heute bestehenden Zeitschriften „Akzente“ (1954 zusammen mit Hans Bender) und „Sprache im technischen Zeitalter“ (1961) glaubte er zugleich an die Avantgarde des Minoritären. Und als Einflüsterer von Hans Werner Richter für dessen „Gruppe 47“-Einladungen besaß er nicht weniger Überzeugungskraft denn als kulturpolitischer Trommler auf der kommunalpolitischen Bühne: Fast auf den Tag genau vor vierzig Jahren installierte er in einer Kaiserzeit-Villa am Wannsee das Literarische Colloquium Berlin (siehe Tagesspiegel vom 16. 5.), die auf ihrem Gebiet viele Jahre lang einflussreichste Institution der Stadt.

Walter Höllerer – eine Epochengestalt, die zahlreiche dankbare Schüler, aber keine Nachfolger hinterlässt – war ein Tausendsassa, den niemand im Verdacht haben konnte, eine Betriebsnudel zu sein. Davor bewahrte ihn schon sein mitreißender Enthusiasmus. In seinem literarischen Universalismus fehlte auch jede Berechnung: Alles war ihm Bedürfnis, alles war ihm eine Lust. Das überzeugte auch Leute, die sein dem Fortschrittsdenken der Moderne verhaftetes Literaturverständnis nicht teilten. Man musste sich weder für Konkrete Poesie noch den nouveau roman oder gar strukturalistische Linguistik interessieren, um seine Autorität als Zeremonienmeister ernst zu nehmen.

Dabei kam er aus der Provinz. Höllerer wurde am 19. Dezember 1922 im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg geboren, einer Stadt, zu der er die Zuneigung nie verlor. 1977 übergab er ihr, nachdem er den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß von seinem Projekt überzeugt hatte, sein Literaturarchiv ( www.asamnet.de/~literata/ ) – darunter das „Blechtrommel“-Typoskript seines Freundes Günter Grass. Auch die süddeutsche Sprachmelodie legte er nie ab. Seiner Weltläufigkeit und Neugier auf internationale Literatur, besonders amerikanische Lyrik, die er mit Protagonisten wie Gregory Corso, Lawrence Ferlinghetti und Robert Creeley früh nach Berlin holte, hat das nicht geschadet. Die Geschichte des LCB ist auch die Geschichte dieser Entdeckungen.

Von der Statur her ein kleiner, ebenso fragiler wie beweglicher Mann, fühlte er sich, wie die Metaphorik vieler seiner Texte zeigt, Vögeln so nahe wie Elefanten. Für die luftige Freigeisterei steht unter anderem die Komödie „Alle Vögel alle“ (1978), für die bodenverhaftete Weisheit sein großer Roman „Die Elefantenuhr“ (1973). Sowohl die Wendigkeit wie die Standfestigkeit hatte er in den letzten Jahren allerdings stark eingebüßt: Der schwerkranke Höllerer zog sich mehr und mehr zurück und war schon zu seinem 80. Geburtstag im vergangenen Dezember für keine öffentliche Ehrung mehr zu gewinnen.

„Ein Boot ist immer versteckt an Ufern“, beginnt eines seiner frühen Gedichte. „Bist du nicht hastig, / Stehst du vor ihm. Die Ruder / Liegen unweit. Immer auf Fahrt gestellt und / Unbesorgt um das viele / Nützliche in den zurückge- / Lassenen Hütten!“ In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat er für immer den Styx überquert.

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