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Kultur: Alles, was der Ball ist

Ein Hamburger Tanzabend eröffnet das Kulturprogramm zur Fußball-WM

Von Sandra Luzina

Fußball und Tanz: Die Gemeinsamkeiten liegen auf der Hand – oder vielmehr dem Fuß. Selbst hartgesottene Fußballreporter sprechen angesichts eines geschickten Dribblings gern davon, dass der Angreifer seine Gegner „ausgetanzt“ habe. Wenn Deborah Colker schwärmt, „Fußballer sind die besten Tänzer der Welt“, dann hat die Brasilianerin sicher die Ballästheten ihres eigenen Landes – des amtierenden Weltmeisters – vor Augen.

Die Choreografin aus Rio de Janeiro will nun demonstrieren, dass auch umgekehrt ein Schuh draus wird: Sie hat 16 brasilianische und deutsche Tänzer aufgestellt für das kühne Vorhaben eines Fußball-Balletts. Mit der in der Hamburger Kampnagel-Fabrik uraufgeführten Produktion „Maracana“ – benannt nach dem Stadion von Rio – startete das Kunst- und Kulturprogramm der Bundesregierung zur Fußball-Weltmeisterschaft. Große Namen sollen noch folgen: William Forsythe, Robert Wilson, Alain Platel. Ein Tanz um den heiligen Ball.

Colker kapriziert sich zumeist auf Zweikämpfe – freilich ohne Ball. Der Clou von Gringo Cardias Bühnenbild ist die perspektivische Verschiebung, das horizontale Spielfeld setzt sich in der Vertikalen fort. Die Tänzer an Gurten bespielen auch die Rückwand, malen mit den Füßen geometrische Muster und scheinen eher zu fliegen als zu laufen. Der Zuschauer schaut aus dem Stadionblickwinkel von oben auf das Geschehen, eine auch dem Sofa-Fußballer vertraute Perspektive. Viel gewonnen ist damit aber nicht. Das Spiel mit der Überwindung der Schwerkraft hat Colker in früheren Stücken fantasievoller gestaltet. Und das Koordinatensystem Fußball wird so auch nicht neu interpretiert.

Colker hat sich bei dem Versuch, die fußballerischen Aktionen mit Humor und sportlichem Drive tänzerisch umzudeuten, zwar alle Freiheiten genommen. Eingefallen ist ihr jedoch wenig. Menschenleiber kugeln wie Bälle über die Bühne, Tore gleiten wie von Geisterhand bewegt vorbei. Doch aus dem Spiel mit den runden und eckigen Formen wird hier kein abstraktes Ballett. Andererseits: ein Fallrückzieher ohne Ball ist nun mal wie Trockenschwimmen. Als endlich die Bälle ins Spiel kommen, offenbaren die Tänzer mangelndes Ballgefühl. Immer wieder rollt die Kugel ins Leere. Was kann noch kommen, nachdem die Luft schon raus ist? Freistoßmauer und Mannschaftsaufstellung zum Gruppenbild, Macho-Gehabe und erotische Vereinigung im Fahnenmeer – das reicht nicht für den kollektiven Rausch. Was dem Abend fehlt: der Kick des Unvorhersehbaren.

Colker feminisiert den Fußball. Sie steckt die Tänzer in apart dekolletierte Trikots, trimmt sie auf brasilianische Sexyness. Nach noch nicht mal einer Stunde ist Schluss. Uwe Seeler, WM-Held von 1966, der in der ersten Reihe Platz genommen hat, verzieht keine Miene. Fußball und Tanz – an diesem Abend hinkt der Vergleich. So zahm und clean fällt diese Eröffnung des Kulturprogramms aus, dass man sich heftig nach Blutgrätschen und Grasnarben sehnt. Sogar nach Männerschweiß.

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