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Kultur: Alles, was wir leben mussten

So Yong Kim erzählt in „Treeless Mountain“ von einer harten Kindheit in Korea.

Das Sparschwein leuchtet orange wie die erste Morgensonne. Auch sonst ist das Licht warm, die Kinderkleider sind lustig bunt. Doch der Eindruck täuscht. Die kleinen Körper, die in den Kleidern stecken, bewegen sich wie mit Ritalin oder anderen Substanzen stillgestellt, und ihr Blick ist nachdenklicher, als man es bei Kindern im Grundschulalter gemeinhin vermuten würde.

Gerade erst war die Regisseurin So Yong Kim mit „For Ellen“, ihrer Beschreibung einer vorsichtig entstehenden VaterTochter-Beziehung, im Forum der Berlinale zu Gast. Jetzt kommt der nach „In Between Days“ zweite, 2008 realisierte – und auf der Berlinale ein Jahr später mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnete – Spielfilm der in Korea geborenen New Yorkerin endlich ins Kino: Die autobiografisch inspirierte Geschichte von „Treeless Mountain“ erzählt von kindlicher Verstörung und mütterlichem Verrat.

Eines Tages werden die sechsjährige Jin und ihre kleine Schwester Bin ohne Vorwarnung aus ihrem zwischen Schule und häuslichen Pflichten eng geordneten Seouler Hochhausalltag zu einer kinderlosen Tante verfrachtet. Die Mutter hat angeblich Dringendes zu erledigen und verschwindet in einem Bus. Zum Trost lässt sie ein Sparschwein zurück – und ein Versprechen: Wenn das Schwein bis oben mit den von der Tante regelmäßig spendierten Münzen gefüllt ist, sei auch sie selber zurück.

Also füttern die beiden sehnsüchtigen und von der alkoholkranken Tante nicht gerade verhätschelten Mädchen das Sparschwein zusätzlich fleißig mit Cent-Stücken, die sie mit dem Verkauf selbstgemachter Heuschreckenspieße verdienen. Doch das hilft nichts: Die baldige Rückkehr der Mutter bleibt ein leeres Versprechen. Stattdessen geht es für die Mädchen weiter zu den Großeltern aufs ärmliche Land. Hier erwartet sie harte Arbeit, doch zum ersten Mal auch Fürsorge und Anerkennung, gegeben von der Großmutter – und für die kleine Jin die Möglichkeit, an der massiven Herausforderung auch zu wachsen.

So Yong Kim erzählt ihre Geschichte von Trauer, Einsamkeit und früher Reife in behutsam komponierten Close-Ups auf Augenhöhe ihrer kindlichen Heldinnen, die mit großer Delikatesse geführt werden. Dazwischen verwendet sie immer wieder atmosphärische Totalen, die sich von städtischen Wolkenhimmeln bis zum Fernblick über Reisfelder im Gegenlicht erweitern. Das Ergebnis ist – schöne Abwechslung – Gefühlskino einmal ganz ohne schluchzende Geigen, dafür mit geduldig mitfühlendem Blick, präzise gesetztem Licht und in einer Intimität, die nie aufdringlich ist. Das Wichtigste und Größte dieses Films aber sind die – in einer Grundschule und einem Kinderheim gecasteten – kleinen Darstellerinnen Hee Yeon Kim und Song Hee Kim. Ja, und ein paar treffsicher platzierte Lieder gibt es auch.

fsk am Oranienplatz (OmU)

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