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Früher, sagt Freund K., soll der Rolls mit der berühmten Kühlerfigur und dem Lenkrad auf der rechten Seite dem Beatles-Filmregisseur Richard Lester gehört haben.

© privat

Alltagskultur: Silberschatten im Bötzowviertel

Ein Zahnarzt, ein depressiver Pathologe und Richard Lester: die ungewöhnliche Geschichte eines Rolls Royce Silver Shadow in Prenzlauer Berg und seines Besitzers. Gar nicht so einfach, so ein Auto zu verkaufen.

Wer in den vergangenen zwei Jahren regelmäßig durch das Bötzowviertel in Prenzlauer Berg gefahren oder gelaufen ist, dem muss der Wagen einfach aufgefallen sein: ein dunkelbrauner Rolls-Royce Silver Shadow mit beigen Ledersitzen und dem Lenkrad auf der rechten Seite. Ob in der Liselotte-Hermann-, der Bötzow- oder der Hufelandstraße: Immer war er eine Idee zu lang für die engen Parklücken. So lugte die Schnauze mit dem „spirit of ecstasy“, der berühmten Rolls-Royce-Kühlerfigur, neben den anderen Autos hervor, was sich zwischen den für Prenzlauer Berg mittlerweile typischen Angeber-SUVs und Spießer-Minivans seltsam ausnahm.

Der Rolls-Royce gehörte meinem Freund K. Warum er ihn 2010 überhaupt gekauft hatte, konnte er nie überzeugend erklären. Natürlich hat K. ein Faible für alte Autos, schraubt und bastelt gern an ihnen herum, ganz zu schweigen vom Fahren. Aber als regelrechten Autonarren würde man ihn nicht bezeichnen wollen, dafür lassen ihm sein Beruf als Architekt und das typische Prenzlauer-Berg-Familienleben mit zwei Kindern kaum Zeit. Viele Jahre stand bei ihm ein Simca Talbot vor der Tür, ein eher hässliches altes Gefährt aus französischer Produktion, der im Viertel nicht weiter auffiel. Den Simca tauschte K. später gegen einen knallblauen Volvo aus den achtziger Jahren aus, heute sein Zweitwagen. Und immer wieder schwärmte er in Gesprächen von bestimmten, der Vergessenheit anheimgefallenen und für Oldtimerfans eher uninteressanten Autotypen wie dem Renault Nevada und dem Renault Safrane, dem Fiat Tempra oder dem Fiat Chroma. Der Rolls Royce wollte in diese Reihe nicht wirklich passen. Ein längerer Englandaufenthalt aber ließ K. wohl keine andere Wahl, zumal die Kosten überschaubar waren, auch die des Imports und der Neuzulassung in Deutschland.

K. erzählte gerne davon, dass der 1974 gebaute Wagen einst von dem Beatles-Filmregisseur Richard Lester gefahren worden sei, zumindest habe das der englische Vorbesitzer behauptet. Und wie es sich anfühle, mit so einem Auto durch Berlin und Umgebung zu schaukeln: An jeder Ampel habe man ihm in den Wagen geschaut. Er habe den anderen Autofahrern regelrecht ansehen können, wie es in ihren Köpfen arbeitete, wie sie sich über ihn Gedanken machten. Denn was sie sahen, passte nicht recht zusammen: Ein Mann wie K., Anfang vierzig, zu jung für dieses Auto, zu wenig soigniert dafür, mit Spleens, die eigentlich jeder hat, die jedoch erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind, wenn überhaupt. K. merkte schnell, dass das Auto nichts für ihn ist. Die Blicke nervten ihn; genauso die Gespräche, die er des Öfteren mit älteren, tatsächlich soignierten Herren (gern mit Hut und ledernen Autofahrerhandschuhen) über den Rolls führen musste. Auch die Pflege und Wartung standen schließlich in keinem Verhältnis mehr zum Spaß an seinen Spazierfahrten. Selbst an der hübschen Cocktail-Ablage mit den originalen Kristallgläsern hatte er sich irgendwann sattgefreut.

Großes Alltagstheater: Der Verkauf ging in drei Akten über die Bühne

Zu den Extras gehört eine Minibar zum Aufklappen.
Zu den Extras gehört eine Minibar zum Aufklappen.

© privat

Also machte er sich daran, den Wagen wieder zu verkaufen. Nur erwies sich das schwerer als gedacht: „Es gibt dafür überhaupt keinen Markt“, klagte er bei einem unserer Treffen: keine Angebote, keine Interessenten, nichts. So ging das über Monate, und immer wieder bot K. mir (nicht ganz uneigennützig) an, den Wagen doch einmal zu fahren, er sei versichert, ein Unfall kein Problem. Kurz vor Weihnachten aber berichtete er mir enthusiasmiert: Der Rolls ist verkauft! Der Verkauf ging in drei Akten über die Bühne.

Erster Akt, Auftritt „irgendein Frankfurter Zahnarzt“, so K. Als er mit dem durch die Stadt gefahren sei, habe ihm der Arzt unentwegt von seinem eigenen Wagenpark vorgeschwärmt, von „mindestens vier Jaguars und einem Bentley“. Auf die Details eines Autos komme es ihm an, klar, sagte der Zahnarzt zu K., aber bei seiner Erfahrung mit Oldtimern sehe er über viele kleine Macken hinweg, auch über die Lackmängel am Dach von K.s Rolls-Royce. „Der redete und redete“, so K., „er schien irgendeinen nervösen Tick zu haben, zwinkerte immer so mit dem einen Auge, bemühte sich aber, entspannt zu wirken. Als wir nach der Probefahrt wieder vor dem Auto standen und er sich den Motor anschaute, fing er auf einmal an, an den Zündkerzen herumzuschrauben und Dreck zu entdecken. Die seien nicht wirklich sauber, rief er empört, und dann reichte es mir: Schluss, du Zwangsneurotiker! Aus. Klappe zu, weg. Ich habe den regelrecht angeschnauzt und ihn sonst wohin gewünscht.“ K., das muss man an dieser Stelle vielleicht erwähnen, ist ein eher gut- und langmütiger Mensch. Zu Zornesausbrüchen neigt er nur in besonderen Fällen.

Im zweiten Akt des Autoverkaufs kam dann eher seine fürsorgliche Seite zum Tragen. Auftritt nun: „ein depressiver Pathologe und kleiner Mann“, ebenfalls aus Frankfurt am Main, der ihm während der Probefahrt sein Leid klagte. „Kein Wunder bei so einem Job. Ich hatte das Gefühl, dass er nur zum Reden gekommen war und sich gar nicht für das Auto interessierte. Ich habe dem immer wieder beruhigend auf die Schulter geklopft. Von dem Rolls und ob er ihn kaufen wollte war überhaupt nicht mehr die Rede.“

Dann passierte einige Wochen gar nichts. Bis bei K. in kurzen Abständen das Handy zu läuten begann – der dritte Akt. Die Protagonisten waren diesmal „irgendwelche Osteuropäer“, so K., dessen Vater aus Chile stammt. „Manche konnten Deutsch, manche nicht, ich wusste eigentlich nie, mit wem ich gerade sprach.“ Eines Tages kamen drei Männer rumänischer Abstammung vorbei. „Die haben mich zwar von 11 000 Euro auf 8000 Euro heruntergehandelt, aber das war mir egal, ich wollte den Wagen endlich loswerden. Wie die drei sich gefreut haben: Die tanzten um das Auto herum, fotografierten es in einer Tour und waren richtig glücklich. Genau so will man so ein gutes Stück verkaufen!“

Luxusgefährt. Vom feinsten auch die beigen Ledersitze.
Luxusgefährt. Vom feinsten auch die beigen Ledersitze.

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Warum er sich den Rolls-Royce zugelegt hat, konnte mir K. auch an diesem Abend kurz vor Weihnachten nicht überzeugend erklären. Vielleicht sei es sein Wunsch gewesen, wenigstens für kurze Zeit einmal ein ebenso „schwieriges“ wie „extravagantes“ Auto zu besitzen. Was seine Frau zu der ganzen Geschichte gesagt habe, wollte er lieber nicht erzählen. Außerdem hatte er schon wieder neue Sorgen mit einem anderen Wagen: ein Peugeot 407, ein Familienauto, „von so einem Fähnchenhändler irgendwo in Rudow, diverse Vorbesitzer, zuletzt ein Moldawier“. Auch ein starker Raucher muss dabei gewesen sein. „Meine Frau hat noch nicht dringesessen. Und bei der Herfahrt sind schon die Klimaanlage und die digitalen Anzeigen ausgefallen.“ K. lacht, er hat ja noch seinen Volvo. Der sei zuverlässig, wenn auch nicht unbedingt etwas für eine vierköpfige Familie, die im Sommer vielleicht nach Skandinavien fahren will.

Der Rolls-Royce steht übrigens schon wieder zum Verkauf. Die Annonce findet sich auf einer polnischen Website, mit K.s Verkaufstext in deutscher Sprache (inklusive Richard-Lester-Verweis) und K.s in Prenzlauer Berg aufgenommenen Fotos. Das Auto kostet jetzt 62 000 Zloty, das sind 15 500 Euro.

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