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Kultur: Als die Linie tanzen lernte

Späte Werke, frühes Schaffen: Überraschendes von Paul Klee in Köln und Brühl

Wer glaubte, seinen Klee zu kennen, sah sich überrascht. Die Abbildung auf der Einladung für die Ausstellung mit Paul Klees späten Papierarbeiten befremdete die Freunde des Kölner Museums Ludwig jedenfalls derart, dass sie sich beim Museumsdirektor Kasper König über das „Hungrige Mädchen“ beschwerten: zu ungelenk, zu wolfsartig die Figur mit dem blauen Kopf, den verrutschten Augen und den fürchterlichen Zähnen. Das 1939 gemalte Mädchen steckt seine rote Tatze in den Mund: vielleicht um anzudeuten, wie hungrig es ist, vielleicht aus Furcht vor den Gespenstern der Nazi-Ära.

Den Direktor freuten die skeptischen Reaktionen, zeigen sie doch, dass in Klee immer noch Erregungspotenzial steckt. Bislang galten die späten Zeichnungen, Kleisterfarbenbilder und Aquarelle häufig als nicht vollgültige Werke des bereits schwer kranken Künstlers. Auch Klees Sohn und Nachlassverwalter Felix sah den Fokus ungern auf diesen Werkkomplex gerichtet. Erst 1990, zu Klees 50. Todesjahr, gab es in Stuttgart eine große Ausstellung mit späten Werken. Über 15 Jahre dauerte es, bis dieser Teil des Œuvres, darunter die zauberhafte Engel-Serie (neben „vergesslichen“ kannte Klee „hässliche“, „unfertige“ und „im Schreiten noch unerzogene“ Engel), wieder in Deutschland zu sehen ist.

Klee litt unter Sklerodermie, einer Krankheit, die mit Versteifungen der Finger einsetzt und zu einer Verpuppung der Haut, zuletzt auch der inneren Organe führt. Paradoxerweise gelangte Klee ausgerechnet in diesen letzten Jahren zu einer neuen Freiheit des Ausdrucks. So führte er die autonom gewordene Linie spazieren, ließ sie tanzen und die eigenwilligsten Verdrehungen vollführen. Die Ähnlichkeit mit Kinderzeichnungen war dem nach „Primitivität“ als letzter Erkenntnis Strebenden willkommen. 1939 kulminierte Klees Schaffensdrang in einer Jahresproduktion von über tausend Blättern. Er taufte ein Blatt „Süchtig“ und vermerkte in seinem Werkverzeichnis einen Satz von Plinius dem Älteren: „nulla dies sine linea“. „Kein Tag ohne Linie“ lautet auch der Ausstellungstitel.

Nur eine halbe Autostunde von Köln entfernt hat der Kunsthistoriker Werner Spies im Brühler Max Ernst Museum eine weitere Klee-Ausstellung eingerichtet. Sie stellt dessen Werk in Beziehung zu Max Ernst und legt den Akzent auf die frühen Papierarbeiten: im Format meist winzige Zeichnungen. Der junge Klee schöpfte seine nachtseitigen Bildvisionen aus der deutschen Romantik – aber erst im Alter gelang es ihm, zeichnend zu träumen.

Über 100 000 Besucher zählte das junge Museum in Ernsts Heimatstadt bisher. Die Zugkraft des Dadamax allein genügt jedoch nicht; Direktor Achim Sommer sorgt mit Leihgaben und Sonderschauen für zusätzliche Attraktionen. Weitere Ausstellungen mit Picasso, Neo Rauch und Sigmar Polke sind geplant, doch es fehlt an Geld. Die Stadt hat sich mit dem Museum übernommen. Nun hofft man auf den potenten Landschaftsverband Rheinland, der vielleicht schon im Frühjahr die Trägerschaft des Hauses übernehmen wird. Und die Brühler träumen mit Hilfe von Klee.

Museum Ludwig Köln, bis 4. März, Katalog 20 Euro; Max Ernst Museum Brühl, bis 4. März, Katalog 34 Euro

Johanna di Blasi

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