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Kultur: Als die Perser frech geworden

Berlins Theater-Traumpaar: Samuel Finzi und Wolfram Koch über Regie, Almosen und alte Platten

Als Samuel Finzi und Wolfram Koch vor zweieinhalb Jahren in Dimiter Gotscheffs „Iwanow“-Inszenierung an der Volksbühne zu ihrem tragikomischen Rampenveitstänzchen ansetzten, war für die Feuilletons das „neue Traumpaar der Bühne“ geboren. Der Befund erhärtete sich in den folgenden Inszenierungen unter dem aus Bulgarien stammenden Regisseur, mit dem beide seitdem immer wieder zusammenarbeiten, gewaltig: Gotscheffs herausragende Aischylos-Produktion „Die Perser“ mit Finzi und Koch in tragenden Rollen wurde in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zur Inszenierung des Jahres gekürt. Heute Abend haben die beiden mit Heiner Müllers Shakespeare-Kommentar „Anatomie Titus Fall of Rome“ Premiere im Deutschen Theater Berlin. Regie führt: Dimiter Gotscheff.

Sie gelten momentan als das „Traumpaar der Bühne“ schlechthin. Herr Koch, was qualifiziert Herrn Finzi denn zum Traumpartner?

WOLFRAM KOCH: Samuel hat einen alten Benz, einen Laptop . . .

SAMUEL FINZI: . . . dafür hat Wolfram eine Bahncard 100, Groove, einen Sinn für Humor und Selbstironie, sieht gut aus, ist komplett uneitel und hat außerdem nicht das Bedürfnis, sich groß zu formulieren. Und das verlangt er auch von mir nicht. Da treffen wir uns ziemlich schnell.

Und umgekehrt?

KOCH: Ich unterschreibe alles, was Sancho gesagt hat. Außerdem hat er eine gigantische Intuition, eine ganz große Ahnung von Wirkung und eine großartige Naivität, mit Sachen auf der Bühne umzugehen. Und: Wir können uns gegenseitig kritisieren!

Wie sah Ihre erste Begegnung aus?

KOCH: Wir haben uns vor vier Jahren kennengelernt, bei den Proben zu „Kampf des Negers und der Hunde“ in der Volksbühne, und spontan improvisiert. Dann waren plötzlich zwei Stunden vorbei, und Mitko . . .

– Dimiter Gotscheff –

. . . hat sich ausgekotzt vor Lachen.

In welcher Konstellation treten Sie in „Anatomie Titus“ auf?

KOCH: Als einsame Antipoden: Titus Andronicus und Aaron. Hassgegner, die irgendwann, aus ganz unterschiedlichen Gründen, beide aus der Gesellschaft ausgeschieden sind.

FINZI: Wir spielen diesmal miteinander über Bande. Der Bühnenbildner Mark Lammert behauptet, das sei erotischer als bei den „Persern“. Darüber haben wir unterwegs gerade diskutiert.

KOCH: Haben wir? Wir haben beide telefoniert!

FINZI (lacht): Okay, wir haben telefoniert. Aber dazwischen haben wir zwei Sätze über Heiner Müller gesprochen.

Den Gotscheff sehr verehrt. Sie auch?

KOCH: Was sagen wir immer?

KOCH & FINZI: Oh, fuckin’ GDR is coming back!

KOCH: Es gibt einige Müller-Texte, die ich toll finde, und andere, wo ich das Gefühl habe, von denen bekommst du den Staub gar nicht mehr weg.

FINZI: Wobei du nicht vergessen darfst: Es ist 80er-Jahre! Und die Sprache entfesselt trotzdem große Energien!

KOCH: Klar. Trotzdem haben wir uns die Hand drauf gegeben, dass das erst mal der letzte Horst Müller für die nächste Zeit war.

Wer?

KOCH: Wir nennen ihn Horst Müller. Oder H & M. Ich empfinde ja schon manchmal einen Humor bei ihm. Der ist ein bisschen forciert, und da rutscht oft die Volkshochschule rein, leider auch beim „Titus“ – aber man kann ihn durchaus entdecken.

Gotscheff zitiert gern den Müller-Satz: „Der Regisseur ist ein Penner, der von den Almosen der Schauspieler lebt“. Was geben Sie ihm denn?

FINZI: Energie, Impulse.

KOCH: Spaß, Blödeleien.

FINZI: Wir sind Co-Regisseure, und Mitko ist Mitspieler.

Wie hat man sich das konkret vorzustellen?

KOCH: Als wir „Die Perser“ probten, sagte Mitko auf einmal (Koch imitiert Gotscheffs Akzent): „Ich brauch’ Satyrspiel jetzt. Irgendwie Krieg. Entweder Texte, oder ihr prügelt euch oder so.“

Und dann kamen Sie auf die geniale Idee, durch leichtes Verschieben von Mark Lammerts Bühnen-Wand die archetypischsten Grenzstreitigkeiten vom Zaun zu brechen.

KOCH: Glücklicherweise! Sonst hätten wir, glaube ich, ganz peinliche Soße da getrieben!

Was für Almosen bekommen Sie denn umgekehrt von Gotscheff?

FINZI: Mitko hilft einem, sich selbst zu überraschen. Er lässt nie locker. Der Schauspieler ist ja an sich erst einmal faul. Mitkos Theater läuft über das Machen, über den Körper. Erst, wenn du Sachen ausprobiert hast, weißt du, ob sie funktionieren oder nicht; du darfst nichts voreilig verwerfen. Er achtet sozusagen auf die kriminelle Energie des Schauspielers.

KOCH: Mitko hat eine unglaubliche szenische Intuition und ist sehr warm: Er nimmt Schauspielern die Angst. Außerdem ist er wesentlich jünger in der Birne als viele halb so alte Regisseure, die ich kenne.

Ist Gotscheff bei Ihnen in die Lehre gegangen, als er im Deutschen Theater selbst Müllers „Hamletmaschine“ spielte?

KOCH: Klar; wir mussten wochenlang als Regie-Einheit auftauchen; immer einen Tag Sancho, einen Tag ich. Mit anderthalb Stunden Kritik danach. Ich habe zwei DIN-A4-Seiten vollgeschrieben!

(Kollektives Gelächter).

FINZI: Mitko hat praktisch alles, was er uns immer verbietet, selbst gespielt.

KOCH: Aber volle Lotte!

FINZI: Also hat er auch alles zu hören gekriegt, was er sonst uns predigt. Und das Wichtigste: Er hat zugehört!

Was haben Sie ihm denn gesagt?

KOCH: Zu dicke, zu sehr gespielt, erklär nicht alles, wir haben’ s verstanden...

FINZI: ...Du genügst!

Als Boten in den „Persern“ sprechen Sie 25 Minuten lang synchron einen Kriegsbericht. Stimmen Sie sich darauf speziell ein?

FINZI: Ja, das sprechen wir vor jeder Vorstellung durch, da sind wir total diszipliniert.

KOCH Es gibt ja nur zwei verabredete Pausen und einen leichten Ellenbogenkontakt. Der Rest ist Free Jazz.

FINZI: Jazz!

KOCH: Und Sancho weiß nie, auf welcher Seite der Wand er stehen muss!

(Ausdauerndes Gelächter).

KOCH: Wir treiben immer totalen Blödsinn hinter der Wand, bevor wir rausgehen.

FINZI: Erzählen uns Witze. Oder was wir so in den letzten Tagen erlebt haben.

Was denn?

KOCH & FINZI (springen auf und singen): „Zwei rote Lippen und ein weißer Tarragona, das ist das Schönste in Barcelona“.

KOCH: (schüttelt sich vor Lachen): Gut, oder? Samuel hat eine Wohnung in Sofia, wo wir kurz waren, als wir mit den „Persern“ in Bulgarien gastiert haben. Und er hat auch ein altes Grammofon und einen Stapel noch nie gebrauchter Schellackplatten. Ich ziehe eine raus, wir legen die auf, und was isses?

FINZI: Wir fahren am nächsten Tag nach Plovdiv, sehen einen Leierkastenmann, und was spielt der?

FINZI & KOCH (summen mit zugehaltenen Nasen): „Zwei rote Lippen . . .“

KOCH: Ich schwör’ s! An so einem Schwachsinn haben wir totalen Spaß!

Wann sind Sie mit einem Abend unzufrieden?

FINZI: Wenn wir es uns zu einfach machen, genehm werden.

KOCH: Also aufweichen.

Das Gespräch führte Christine Wahl.

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