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Als Regisseurin zur Berlinale: Angelinas Blick auf die Welt

Angelina Jolie stellt ihr Regiedebüt "In the Land of Blood and Honey" auf der diesjährigen Berlinale vor. Und spricht über ihre Verantwortung als Hollywoodstar und Filmemacherin. Dabei enthüllt sie, was sie sinnvoll findet - und warum.

Die Augen der Frau sind rot, sie schaut gequält. Vielleicht wegen des grellen Lichts, vielleicht wegen dem, was sie sieht: arbeitende Kinder. Kinder, die Ziegel zu wenden haben, hunderte Ziegel aus rotem Lehm, die in der Sonne Pakistans trocknen sollen.

Und weil die Frau Angelina Jolie ist, ist eine Kamera dabei, die alles filmt, und deshalb kann die ganze Welt sehen, was in Pakistan los ist. Dass dort Kinder arbeiten müssen, weil ihre Eltern Schulden haben. Lumpige Schulden. Minibeträge.

Es gibt genug Geld auf der Welt, dass kein Kind arbeiten müsste, dass niemand hungern müsste, Geld genug, um alles Elend zu lindern. Doch die Güter sind nicht gleich verteilt, es geht ungerecht zu. Man kann das ignorieren, weil es sich ohnehin nicht ändern lässt. Oder man tut, was man kann. Angelina Jolie kann Aufmerksamkeit lenken. Und tut das.

Neben den Lehmziegeln hockend ist Jolie in ein schwarzes Cape gehüllt, und als sie weggeht, sieht man, dass sie Schuhe mit hohen Absätzen trägt. Was ein gutes Bild für ihren Spagat zwischen ganz oben und ganz unten ist.

Das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ führte sie 2011 auf Rang elf seiner Liste der 100 mächtigsten Stars. Das Magazin „Time“ zählte sie zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt. Sie gehört seit Jahren zu den weltgrößten Sexsymbolen und den weltschönsten Frauen.

„Berühmtheit ist etwas Seltsames“, hat Angelina Jolie einmal in einer US-Talksendung gesagt. Weil die ein Kleid, das sie trage, zum Gesprächsstoff mache. Das sei dumm und hohl und nichts, worüber sich zu sprechen lohne. In der Öffentlichkeit zu diskutieren lohne sich nur, „wenn man etwas Sinnvolles tut“.

Sinnvoll oder sinnlos. Das sind die Kategorien. Eine harte Unterscheidung.

Sie hat vor elf Jahren ihre Berühmtheit in den Dienst einer Sache gestellt, sie wurde Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerks. Da war sie 26 Jahre alt und hatte in Kambodscha „Lara Croft – Tomb Raider“ gedreht, der ihr internationaler Durchbruch werden sollte, und den Jungen in den Arm genommen, der ihr erstes Adoptivkind werden sollte.

Es kam also viel zusammen: Durchbruch in Hollywood. Die Familiengründung. Und die neue Aufgabe.

Sie hat es seitdem verstanden, zum gegenseitigen Nutzen die Balance zu halten zwischen Hollywood und Flüchtlingslager. So blieb sie für die People-Magazine interessant – und für die UN. Hätte sie auf einen Schlag ihr ganzes Vermögen gespendet und sich ganz den Elenden gewidmet, sie wäre kaum noch ein Star. Stattdessen drehte sie in den vergangenen elf Jahren 15 weitere Filme, darunter 2005 „Mr. & Mrs. Smith“, ihren größten kommerziellen Erfolg und den Film, der den mehrfachen „Sexiest Man Alive“, Brad Pitt, zu ihrem Lebenspartner machte, noch so eine Win-Win-Situation.

Eine Begegnung mit Angelina Jolie

Zusammen haben die beiden inzwischen fünf weitere Kinder bekommen, zwei adoptierte, drei leibliche. In derselben Zeit war Angelina Jolie in Pakistan, Afghanistan, im Tschad, in Sierra Leone, in Ecuador, in Ägypten, Darfur, Sri Lanka, Thailand, im Kongo, im Libanon, bei US-Truppen im Irak, in Kosovo, auf Haiti nach dem Erdbeben. Sie hat dort Kinder getröstet, Säcke mit Nahrung geschleppt, „Hi, I am Angie“ zu den Notleidenden gesagt und meist noch einen sechs- oder siebenstelligen Betrag gespendet. Manchmal war Brad Pitt dabei, dann war die gelenkte Aufmerksamkeit noch größer. 2011 galten die beiden als zweitmächtigstes Paar der Welt, gleich nach den Obamas.

Und jetzt gibt Angelina Jolie kurze Interviews im ersten Stock des Adlon-Hotels am Pariser Platz, Berlins erster Adresse. Es geht um den ersten Film, den sie selbst gedreht hat, und um dessen Schauplatz: Bosnien. Dabei steht doch viel brennender die Frage im Raum, ob sie wirklich wieder schwanger ist, und ob sie und Brad Pitt bald heiraten.

Sie betritt das Brandenburg-Zimmer, eine mittelgroße Frau mit einem cremefarbenen Top und schmalem Rock, und nimmt gleich auf dem ersten Stuhl Platz. Sie sitzt aufrecht wie eine Königin und ist wirklich sehr dünn. Von den 55 Kilogramm, die sie sich einst in einer Selbstbeschreibung zugemessen hat, sind mindestens zehn verschwunden. Gerader Rücken, lange Wimpern, große Augen, großer Mund, den Kopf leicht geneigt auf dem langen Hals. Sie trägt Perlenohrringe, einen Perlenring an der rechten Hand und wenn sie lacht, tritt auf der Stirn eine dicke senkrechte Ader hervor. Sie lacht, als sie erzählt, dass ihre Kinder in die Adlon-Lobby rannten und riefen: Oh, hier sind wir wieder!

Sie hat also einen Film gedreht über den Bürgerkrieg, der 1992 im Südosten Europas ausbrach. Es ist ein ziemlich vergessener Krieg, von dem allein der grausame Höhepunkt, das Massaker an 8000 bosnischen Muslimen durch serbische Paramilitärs in Srebrenica, in Erinnerung geblieben ist. Dass dieser Krieg gerade erst passiert ist, dass es ihre Generation war, die ihn führte, das habe sie interessiert, sagt Angelina Jolie, und sie habe festgestellt, dass sie nichts darüber weiß. Also habe sie Bücher gelesen, Menschen gesprochen und irgendwann sei die Idee entstanden, ein Drehbuch zu schreiben, und dann habe sie sich auf einmal als Regisseurin wiedergefunden. Sie lacht. So sei es gewesen, und wunderbar, hinter der Kamera zu verschwinden und das Licht auf andere scheinen zu lassen.

Wenn sie spricht, gestikuliert sie viel mit ihren hageren Armen und Händen, unter deren bleicher Haut blaue Aderbahnen entlanglaufen. Dann sieht man die großen Tätowierungen. Belege einer Wildheit, die heute so vergessen ist, dass Brad Pitt unlängst bemerkte, Jolie sei immer noch ein böses Mädchen.

Eine Ahnung von Härte gibt es auch im milden Kunstlicht des Adlon-Zimmers. Am runden Tisch sitzt neben Jolie eine serbische Journalistin, die extra aus Belgrad angereist ist, wo die Menschen sich aufregen, weil sie fürchten, im Film einseitig grausam und falsch dargestellt zu sein. Als die Journalistin Angelina Jolie fragt: „Fühlen Sie sich vor diesem Hintergrund gut mit Ihrem erstem Film?“, steht kurz die Welt still. Jolie wendet den Kopf, sie blickt die Journalistin direkt an, fokussiert sie, kein Meter liegt mehr zwischen den Frauenköpfen, und sie sagt sehr deutlich: „Yes.“ Dann nichts mehr. Die Frauen starren sich an. Und irgendwann spricht Angelina Jolie weiter, leiser, freundlicher. Sie wisse, der Film gefalle nicht allen, es sei aber ein Film über die bosnischen Opfer, und die Serben waren die Aggressoren. Ein Film über serbische Opfer wäre ein anderer Film. Hätte, wäre, könnte, und was ist schon dargestellte Wahrheit im Verhältnis zur echten? Davon weiß auch sie einiges. Jolie wird oft gefragt, ob sie die Magazine lese, die ihr Bild auf dem Titel haben. Nein, sagt sie dann, nie. Früher habe ihre Mutter immer nachgeguckt. Die ist inzwischen tot, sie starb 2007.

Wie Angelina Jolie aufwuchs und wie sie mit "Tomb Raider" berühmt wurde

Sie hat ihre Mutter als Vorbild gesehen, sagte sie vor kurzem. Auch für ihre eigene Mutterschaft, die sie wie einen Schild vor sich herträgt. Ich als Mutter, wir als Eltern, was die Kinder wollen, sollen, dürfen. Fragen nach einer Hochzeit mit Brad Pitt, die sie geduldig anhört, quittiert sie mit der Formel, wenn die Kinder drängen würden, dann vielleicht, ansonsten sei es eine größere Verpflichtung, zusammen sechs Kinder zu haben, als auf eine Frage „I will“ zu antworten.

Ihre Mutter, das Fotomodel Marcheline Bertrand. Ihr Vater, ein vielleicht noch weicherer Punkt: der Schauspieler Jon Voight. Angelina Jolie, das waren ihre beiden Vornamen. Voight war bis 2002 ihr Nachname, dann ließ sie ihn streichen.

Der Vater verließ seine Frau, da waren die zwei Kinder noch klein. Angelina wurde von ihrer Mutter daraufhin Babysittern überlassen. Sie sah ihrem Vater zu ähnlich, deshalb, sagte die Mutter, hätte sie es nicht ertragen, sie zu sehen. Erst später wurde Marcheline Bertrand eine Freundin und Vertraute für die Tochter. Ein Freund der Familie nannte die Voights mal „eine Familie im Kriegszustand“.

Andrew Morton, der nicht nur Prinzessin Dianas, sondern auch Angelina Jolies Biograf ist, schreibt, ihre ersten Erfahrungen hätten die weitreichendsten Konsequenzen gehabt. Der Vater ging, die Mutter wandte sich ab – das Kind fing an, sich zu hassen.

Sie wurde magersüchtig. Wurde von anderen ausgelacht, weil sie so dünn war und diese großen Lippen hatte. Sie fing an, sich mit dem Messer in die Haut zu ritzen. Sie nahm Drogen. Sie modelte, tanzte in Musikvideos, zeigte ihre Tattoos, fing an zu schauspielern.

„Mit 17 stand sie nackt vor der Kamera, den Blicken fremder Männer ausgesetzt. Ich begriff nicht, warum sie das tat, aber ich hatte das Gefühl, dass dieses Mädchen ein Ziel vor Augen hat“, zitiert Morton eine frühe Schauspielkollegin.

Als Angelina Jolie 17 war, hatte der Bosnienkrieg gerade angefangen.

1999 bekam sie eine Nebenrolle in dem Film „Durchgeknallt – Girl, Interrupted“. Sie spielte neben Winona Ryder eine Patientin in einer psychiatrischen Klinik und bekam dafür einen Oscar als beste Nebendarstellerin. Außerdem stellte sie fest, dass sie die verhängnisvolle Tendenz hat, zu sehr in ihren Rollen aufzugehen. Es war also weniger ein unglaublicher Zufall, dass sie nach „Mr. & Mrs. Smith“ ein Paar mit Brad Pitt wurde. Ebenso war es ihr zuvor bereits zwei Mal gegangen: 1996 mit dem Schauspieler Jonny Lee Miller, den sie während der Dreharbeiten zu „Hackers – Im Netz des FBI“ traf und für ein Jahr heiratete. Und vier Jahre später mit Billy Bob Thornton, den sie beim Drehen von „Turbulenzen – und andere Katastrophen“ kennenlernte, was spontan zur zweiten Hochzeit, einem großen Armtattoo und einem Bluttropfen im Kettenanhänger führte.

Dann kam Kambodscha. Der Junge Maddox. Die Aufgabe beim UNHCR. Und alles wurde anders. Sinnvoller. Und je mehr um sie herum zu sehen war an Kindern oder Mann, desto höher wurden die Preise. Die ersten Fotos von ihren Zwillingen verkauften Angelina Jolie und Brad Pitt für 14 Millionen US-Dollar an das Magazin „People“. Aber weil das Geld an eines ihrer Hilfsprojekte gehen sollte, wirkte auch dieses Geschäft gut und richtig statt obszön.

Auf ihren Reisen im Dienste des UNHCR kam Angelina Jolie an Orte, von denen sie sagt, man begreife dort, worum es im Leben wirklich geht. Sie hat darüber Tagebuch geführt. Sie schreibt: „Ich bin ganz sicher, wenn allen Menschen bewusst wäre, was sich in der Welt abspielt, gäbe es keinen Zweifel: Wir alle müssten handeln.“ Für sie selbst jedenfalls habe es geheißen: „Was denn sonst?“

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