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Kultur: Als Schubert seine Doppelgänger fand

TANZTHEATER

Bewegungsgleichklang gilt im Tanz als Ausweis technischer Bravour. Mit der neuen Choreographie Isson beweisen Toula Limnaios und Lena Meierkord, dass Synchronizität weit mehr bedeuten kann als nur Trainingsfleiß: nämlich den absoluten Einklang zweier getrennter Sphären, zweier Körper und „Wesen“ (auf griechisch: „isson“). Zu Beginn stehen die Tänzerinnen im matten Dämmer der leeren Bühne an der Rückwand, das Gesicht nach hinten gewendet: zwei identische Figuren auf zwei weißen Tanzflächen. Die folgende Stunde wird sie nach vorn führen, ganz dicht vor die erste Zuschauerreihe im Theater am Halleschen Ufer. Sie werden sich bis auf wenige Passagen vollkommen gleichförmig bewegen und dabei ihren Tanzraum nicht verlassen. In der dunkel abgetönten Dynamik, den fein nuancierten Stimmungswerten der Choreographie verschmälert sich der Abstand zwischen beiden. Im Synchronen wird nicht Virtuosität demonstriert, sondern das Verschmelzen zweier Wahrnehmungszustände dargetan.

Aus der Klanglandschaft von Ralf Ollertz schält sich zuletzt Franz Schuberts todesstarrer „Doppelgänger“ heraus. Das Lied beschreibt mit tonloser Dichte das Haus der Geliebten, in dem sie schon längst nicht mehr wohnt, das als Hülle aber noch vom vergangenen Glück kündet. Derweil stehen LimnaiosundMeierkord regungslos, ein wenig verzerrt, wie windschief und altersschwach da. Wer bewohnt jetzt noch die Bewegung? Welches Wesen haust im Tanz? Dieses auskomponierte Decrescendo ist eines der berührendsten, einleuchtendsten Schlussbilder im Tanztheater, das seit langem zu sehen war. (noch bis 16. März, jeweils 20 Uhr)

Franz Anton Cramer

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