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Kultur: Also sprach es

Nietzsche wusste, warum: „Mein Lieblingswort“ (3) Von Julia Franck

Der „Deutsche Sprachrat“ und das GoetheInstitut haben in einer Publikumsumfrage das „liebste, schönste, kostbarste deutsche Wort“ gesucht. Aus aller Welt gingen bis August über 22000 Vorschläge ein, die jetzt ausgewertet werden.

In zehn Folgen, initiiert vom Kulturradio des RBB, schreiben hier deutsche Schriftsteller über ihre eigene Wort-Wahl. Bisher erschienen Beiträge von Brigitte Kronauer (31. 7.) und Wladimir Kaminer (3. 8.).

Also fangen wir an. Das schönste Wort ist zweifellos dieses viel versprechende und alles verheißende, das nichts verratende und doch so wohlklingende Wort also. Zweifelhaft ist es also – also zum Verzweifeln. Ein Partikel nur? Der Auftakt schlechthin. Wer also sagt, der sagt also, er hat etwas zu erzählen. Der möchte kundtun und überzeugen. „Unaussprechbar ist und namenlos, was meiner Seele Qual und Süße macht und auch noch der Hunger meiner Eingeweide ist“: Also sprach Zarathustra von Freuden – und von Leidenschaften. Doch wusste Nietzsche es besser und stellte dem Unaussprechbaren, vielleicht gar Undenkbaren jenes Wort voran: Also. Also gibt es das also? Und nicht erst seit heute, schon gestern im Mittelhochdeutschen, selbst letzte Woche im Althochdeutschen: ein durch al verstärktes so. In den Schatztruhen und Grabkammern und Schlupflöchern unserer Sprache, unserer Welt also. Und nicht nur im Deutschen, auch im Englischen und Niederländischen, also verzweigt und in Familien.

Ganze Banden also. Bloß in jeder Familie ein anderes also und in jedem Satz und jeder Betonung ein wieder ganz anderes. Mein Kind umgarnt mich mit Fragen, allen voran und mit Dringlichkeit – Neugier hatte es im Nacken, Schalk in den Augen und das Verlangen nach eines Rätsels Lösung, als es fragte „Also, was heißt also?“ – und doch mitten im Satz, in Erwartung meiner Antwort, die Luft anhielt, also nicht mehr ausatmen wollte und konnte, bevor ich ihm also geantwortet haben würde. Wie konnte ich angesichts eines so erhabenen schönen Wortes nicht ins Stottern geraten? Verrat sollte ich üben an diesem Wort, meinem Kind zuliebe. Geschah es nicht also? Von vorne, von hinten und mitten hindurch – nichts als also, also überall: Laos, so, und als, das All, all das, ganz zu schweigen von sao und los und las, auch so lala und wann und wie, das alles steckt darin, und noch mehr also: Also war es – und also ist es. Also verstehst du? Du weißt also? Rede ich also vergebens, ist also alles umsonst?

Was für eine Sprache also hätten wir, die nur in ihrer Funktion taugte und also kaum im Klang ihre Lieblichkeit offenbarte? Eine mathematische also? Also das also als x. Warum dann nicht gleich x? Also, so was, also. Ganz bestimmt nicht.

Also selbst wenn es nicht bis ins Letzte erklärbar und gerade weil es das also ist. Natürlich könne ich ohne das also leben. Also lebensnotwendig ist es nicht. Man kann ja auch ohne das Wort „piefig“ leben, zumindest der Duden glaubt das. Na also. Also nichts leichter als das? Doch ist es ja mein teuerstes, und warum sollte ich, selbst wenn ich könnte, ohne dieses Wort leben?

Wie sollte ich wollen? Was könnte es nicht alles bedeuten, wie nicht alles sagen. Ein fragendes also? Ein kopfschüttelndes also, ja ein wütendes also! Ein bescheidenes also, meine ich, ginge so gut als ein pathetisches also, und nicht zu vergessen das unsichere, kaum vorhandene also, ich weiß nicht, also – etwa schon erschöpft? Also was jetzt? Ein zärtliches lockendes, ein aufforderndes: also, also zu flüstern: also.

Julia Franck, 1970 in Ost-Berlin geboren, 1978 nach West-Berlin gezogen, siegte 1995 beim Berliner „Open Mike“-Wettbewerb und erhielt 2004 den Marie-Luise- Kaschnitz-Preis. Letztes Jahr erschien im DuMont Verlag ihr zweiter Roman „Lagerfeuer“.

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