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Kultur: Alsterflair an der Chausseestraße

Neues Bauen in Berlin: Die ungewöhnliche Modernisierung eines wilhelminischen HausesVON CLAUS KÄPPLINGERErst ist es ein schmales Wohnhaus, dann ein gläserner Quader, die den Blick gefangen nehmen.Was an der Chausseestraße Aufmerksamkeit auf sich zieht, kann und will nicht in das gewohnte Bild der Architektur von Berlins zweiter Gründerzeit passen.

Neues Bauen in Berlin: Die ungewöhnliche Modernisierung eines wilhelminischen HausesVON CLAUS KÄPPLINGERErst ist es ein schmales Wohnhaus, dann ein gläserner Quader, die den Blick gefangen nehmen.Was an der Chausseestraße Aufmerksamkeit auf sich zieht, kann und will nicht in das gewohnte Bild der Architektur von Berlins zweiter Gründerzeit passen.Was sich hier beiderseits eines Gewerbegebäudes der Jahrhundertwende erhebt, ist ein Wohnhaus, das überraschend große Holz- und Fensterflächen sowie imposante Betonrahmen zeigt, aber auch einen schwerelosen Glasvorhang.Beides strahlt Modernität und Leichtigkeit aus, wie sie angesichts der vielen Historizismen in Berlins Mitte kaum mehr möglich schienen.An der Ecke Chausseestraße und Zinnowitzer Straße war es eine rein Hamburgische Trias - die Investmentgruppe DWI, die Architekten Holger Schmidt und Robin Limmroth sowie die Albingia Versicherung -, die derart ungewöhnlich ein wilhelminisches Gebäude wiederherstellte.Das Eckgebäude, das im Krieg teilweise zerstört worden und in den Jahrzehnten danach allmählich verfallen war, verwandelte sich dabei nicht nur in die Hauptniederlassung Ost der Versicherung, sondern wurde auch zu einem Lichtblick im grauen Häusermeer.Wo andere zur historisierenden Mimikry gegriffen hätten, scheuten sie nicht davor zurück, die alte Fassade mit uneingeschränkt zeitgenössischen Konstruktionen und Materialien fortzuführen.An deren Gliederung mit schmalen Pfeilern und Brüstungsbändern knüpfen nun die vortretenden Geschoßdeckenränder und Stützwände des Wohnhauses an.Finden dort, obgleich formal auch sehr reduziert, die massiven Elemente der wilhelminischen Fassade eine Fortführung im Material Beton, so pflegt entlang der Zinnowitzer Straße eine über zwei Büroetagen reichende Aufstockung einen zweiten, noch gewagteren Dialog mit dem Vorgefundenen.Hier wurde die Auflösung der massiven Wand, die bereits das Eckgebäude mit seinen überaus großen Fenstern in Nachfolge von Messels berühmten Wertheim-Bauten angestrebt hatte, mit einer völlig rahmenlosen, nur von gering dimensionierten Punkthaltern gehaltenen gläsernen Außenhaut bis zur Grenze des Möglichen getrieben.Ein neues Satteldach stellt aber darüber nicht nur die historische Silhouette des Gebäudes wieder her, sondern erlaubte auch dank großflächiger Atelierverglasungen die Einrichtung neuer, ungemein großzügiger Bürosäle.Zweigeschossig und mit einer großen eingestellten Galerie versehen, läßt sich dort offensichtlich sehr angenehm arbeiten.Traten im Zuge der Renovierung des Altbaus die feinen Profilierungen der Fassade wieder hervor, so erstrahlen im Inneren im alten Glanz Stuckfelder und Holzvertäfelungen, edle Wandfliesen und massive Türrahmen.Nur dort, wo das Wilhelminische bereits verloren war, entstand eine völlig neue Büroorganisation.Das mit sechzehn Metern sehr tiefe Gebäude wird dort von Mittelgängen erschlossen, in denen wechselweise vor- und zurückspringende Kuben platzsparend alle Archiv- und Sonderräume aufnehmen.Der angenehmen Weite und der wechselnden Primärfarbigkeit jener Mittelgänge stehen denn auch die Büros in nichts nach, die Komfort mit großzügigen Ausblicken auf die Stadt verbinden.Der Wohnanteil des Bauprojekts wurde hingegen zu einem eigenständigen neuen Gebäude an der Chausseestraße genutzt, das deutlich eine niederländisch geprägte Handschrift trägt.Waren es beim Altbau die Art der Raumkonzeption und so manches technisch versiertes Detail, die auf Holger Schmidts Ausbildung an der renommierten Londoner Architectural Association hindeuteten, so verweisen beim Wohnhaus dessen vierzehn sehr kompakte, lichte Wohnungen und ein recht unorthodoxer Materialeinsatz auf Robin Limmroths Studienjahre am Amsterdamer Berlage Instituut.Konstruktivistisch gibt sich das schmale Wohnhaus, zeigt alternierende Felder aus Glas und Holzpaneelen, die von schweren Betonrahmen eingefaßt werden.Was jedoch in den Niederlanden unmittelbarer Ausdruck eines besonders kostengünstigen Wohnungsbaus mit Betonfertigteilen ist, sticht hier allein aus einer gemauerten Hauskonstruktion hervor.Vorgehängt sind die Betonrahmen ein rein gestalterisches Mittel, das nun einerseits die einzelnen Wohnungen hervorhebt, andererseits aber auch das Haus zu einer unverwechselbaren Einheit zusammenbindet.Daß sich die beiden obersten Geschosse aus diesem Rahmen lösen, widerspricht keinesfalls der Logik des Hauses, das dem Passanten deutlich seine Wohnnutzung vermittelt, denn schließlich befinden sich dort über der Traufe die beiden einzigen Maisonetten des Hauses.Eher an der Alster als an der Spree, so scheint es, hat sich ein Bewußtsein für den besonderen Wert einer gehobenen Baukultur bewahrt.Im Gegensatz zur gewohnten Berliner Mentalität begnügt man sich dort nämlich nicht mit oberflächlichen Effekten und überkommenen Standards, sondern setzt immer häufiger auf anspruchsvolle neue Architektur, wenn es gilt, den Wert einer Immobilie zu steigern - ein Bewußtsein, das sich in Hamburg bis zur Qualität der Details erstreckt, für die Berlins Bauherren zumeist noch jeder Sinn fehlt.Hier wird auf dem Wege zur maximal vermehrten Wertschöpfung anspruchsvolle Architektur oft nur als Hindernis gesehen.

CLAUS KÄPPLINGER

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