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Kultur: Altersheimspiel „Wind in den Pappeln“

am Renaissancetheater

Von den Segnungen des Alters, von Weisheit und Seniorenrabatt sprechen nicht mehr viele. In der meist männlichen Bekenntnisliteratur über Lebensabende wird fast ausschließlich der Verlust von jugendlicher Frische und einstiger Potenz bejammert. Kurzum, es geht um Körperklagen, nicht um Geistesgröße. Aber es stimmt natürlich, selbst die klügsten Köpfe sehen dem Verfallsdatum entgegen, oder, in den Worten Jean Amérys: „Der Atem wird schwerer, die Muskeln schwächer, das Hirn blöder.“

Zwischen den Polen des präsenilen Aufbegehrens und der Lethargie bewegen sich die traurigen Helden in Gérald Sibleyras’ „Wind in den Pappeln“, einer französischen Boulevardtragikomödie aus der geriatrischen Anstalt, die am Berliner Renaissance-Theater zur heftig beklatschten Premiere gebracht wurde. Tröstliches erfährt man nicht über die Jahre jenseits der 60, Gebrechen bestimmen den Szenenlauf. Dafür schaut man drei Recken des Ersten Weltkriegs beim letzten Gefecht gegen die Sinnkrise zu. Der süße Vogel Jugend ist den Kämpfern längst davongeflattert, statt seiner beobachten sie auf der Terrasse des Seniorenstifts Gänse mit dem Feldstecher.

Das Stück ist das, was man gemeinhin Schauspielerfutter nennt, und sicherlich könnte der Text dazu verführen, dem Affen reichlich Zucker zu geben. Aber das Trio Harald Dietl, Jörg Pleva und Jürgen Thormann spielt nuanciert. Die dankbarste Rolle in der von Torsten Fischer inszenierten Herbstsonate hat Thormann als grantelnder Gustave, der sich das Mittagssüppchen mit Zynismus würzt und seine Angst vor der Welt hinter Etikette verbirgt. Sein Widersacher ist René, ein hinkender Oberst a.D., den Harald Dietl als würdebemühten Sehnsuchts-Pragmatiker am Stock gibt.

Zwischen die Fronten schließlich fällt Fernand, bei Jörg Pleva ein vom Granatsplitter im Kopf geplagter, paranoider Schöngeist, dessen Ohnmachtsattacken Choreografien des Selbstverlusts sind. Diese wackeren Mannen beschließen nun, einen straff organisierten Ausflug in Richtung des entfernten Hügels zu unternehmen, wo jene Pappeln stehen, die vom Fenster aus zu sehen sind. Um Selbsttäuschung und Todesfurcht geht es dabei, und Fischer unterschlägt die ernsteren Töne nicht, verkitscht sie bloß manchmal. Patrick Wildermann

Wieder heute bis 23. 10., 30. 10. – 4. 11., 6. – 11. 11. sowie 20. –25. 11.

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