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Nur Liegen ist schöner. Die Herren der Company in Aktion.

©  promo/Andrew Eccles

Alvin Ailey American Dance Theater: „Das hier ist unsere Geschichte“

Ein Besuch beim New Yorker Alvin Ailey American Dance Theater. Beim Gastspiel vom 12. bis 17. Juli in der Deutschen Oper Berlin werden 50 Jahre Tanzgeschichte zu erleben sein.

Von Sandra Luzina

„Wenn hier einer behauptet, dass wir eine schwarze Company sind, verlasse ich sofort den Raum“, erklärt Judith Jamison und blickt herausfordernd in die Runde. Die langjährige künstlerische Leiterin des Alvin Ailey American Dance Theater ist eine Tigerin – und dass lässt sie die anwesenden Journalisten auch gleich spüren. Ihrer Kämpfernatur verdankt die Company, dass sie heute, mehr als 20 Jahre nach Alvin Aileys Tod, so gut dasteht.

Eigentlich will Miss Jamison ihren Nachfolger Robert Battle vorstellen. Aber dann blickt sie doch kurz auf die Anfänge der Company zurück. Alvin Ailey gründete sie 1958, weil schwarze Tänzer im etablierten Kulturbetrieb keinen Platz hatten. „Wenn Sie auf die Bühne gehen, ist das ein politisches Statement?“ wurde Ailey oft gefragt. Er antwortete: „Natürlich! Ich bin ein Schwarzer. Sobald ich da stehe, hast du eine Meinung von mir.“

Diskussionen über Rasse und Hautfarbe spielten heute keine Rolle mehr, beteuert Judith Jamison. Ihre Tuppe, kurz AAADT genannt, die das afro-amerikanische Erbe mit der Tradition des „modern dance“ verbindet, versteht sich als multi-ethnisches Ensemble. „Jeder ist bei uns willkommen.“ Beim Gastspiel vom 12. bis 17. Juli in der Deutschen Oper Berlin werden 50 Jahre Tanzgeschichte zu erleben sein. Von Robert Battle, der sein Amt ab 1. Juli angetreten hat, sind gleich zwei Arbeiten zu sehen: „The Hunt“ zur Perkussionsmusik von Les Tambours du Bronx und „Takademe“ zu Sheila Chandras indisch inspiriertem Jazzgesang.

Das AAADT ist das Flaggschiff unter den amerikanischen Companies. Als Modern-Dance-Company mit einem Repertoire von 250 Choreografien - 79 Werke allein von Ailey - steht es einzigartig da. Der Name Alvin Ailey steht zudem für ein Tanzimperium, wie es hierzulande unvorstellbar ist. Judith Jamison empfängt die Besucher im Joan Weill Center for Dance, seit 2005 das Domizil der AAADT im Herzen Manhattans, an der Ecke 55th Street und 9th Avenue. Der achtstöckige Bau mit der Glasfassade ist das größte Tanzzentrum der Vereinigten Staaten. An diesem Samstagvormittag springen viele Kinder durch die Flure, der Zumba-Kurs ist schon belegt, aber wer will, kann dafür eine Klasse in westafrikanischem Tanz wählen.

An der Ailey School werden jährlich 5000 Studenten ausgebildet. Unter Jamisons Ägide wurde ein Bachelor-Programm in Fine Arts mit der renommierten Fordham University eingerichtet. Die Alvin Ailey American Dance Foundation macht sich zudem für kulturelle Bildung stark und engagiert sich für die Community. Eine tolle Einrichtung sind die AileyCamps: In den Sommerlagern werden Kinder im Alter von 11-14 Jahren aus sozial schwachen Verhältnissen unterrichtet. „Wir ermutigen sie, ihre eigene Kreativität zu entfalten“, erklärt Nasha Thomas Smitt, die Leiterin des „Arts and Education Program“. „Ailey liebte die Menschen, er war sehr offen und großzügig“, erklärt die frühere Ailey-Tänzerin, eine hinreißende Schönheit, die sich nun mit Elan in das pädagogische Abenteuer stürzt. Egal, mit wem man spricht: Alle sind sich ihrer Verantwortung bewusst, alle teilen Aileys Vision. „Jeden Samen, den Alvin säte, habe ich mit Wasser begossen“, fasst Jamison zusammen. „Und sehen Sie, daraus ist ein Baum mit vielen Zweigen gewachsen!“

Dem Erbe Aileys verpflichtet fühlt sich auch der 37-jährige Robert Battle, der an der berühmten Juilliard School ausgebildet wurde. Er ist genau der richtige Mann, um die Company in die Zukunft zu führen. Denn er steht auf eigenen Füßen, hat einen eigenen Stil entwickelt. Seine Choreografie „The Hunt“ ist eine Feier maskuliner Energie. Die sechs Tänzer in langen Wickelröcken entfesseln eine wahre Tanzwut, das Stück gleicht einem archaischen Stammesritual. Zugleich scheinen die sechs sich mit geschärften Sinnen durch einen Großstadtdschungel zu bewegen.

Als er die Nachricht von seiner Berufung erhielt, sei er erst mal geschockt gewesen, erzählt Battle. „Das ist mehr als nur ein Job. Das AAADT repräsentiert unsere Kultur, es erzählt etwas über die Geschichte dieses Landes. Auch vom Kampf von uns Afro-Amerikanern, gesehen und gehört zu werden.“

Battle ist sich bewusst, dass er in große Fußstapfen tritt. Als er die Company zum ersten Mal sah, mit 12 Jahren, habe es ihn umgehauen. „Ich kenne die Power. Ich weiß, was es für einen jungen Menschen bedeuten kann, das zu sehen.“ Sein Credo lautet darum: „Ich denke nicht ans Verändern, sondern an Ausdehnen. Das ist der Spirit von Alvin Ailey. Das lernen wir auch im Modern Dance. Du streckst den Arm aus, aber du fliegst nicht weg, sondern bleibst verwurzelt.“

Ob er an der Choreografie von „Revelations“, Aileys Meisterwerk, etwas ändern würde? Battle lächelt sanft und antwortet: „Mein Großvater pflegte immer zu sagen: If it ain't broke, don't fix it.“ Die Befürchtung, dass die Ailey-Company zu einem Tanz-Museum erstarrt, ist allerdings unbegründet. Davon kann man sich bei einer Vorstellung der Truppe im New Jersey Performing Arts Center überzeugen.

Dem Klassiker „Revelations“, der wie immer als Finale gezeigt wird, wird anlässlich des 50-jährigen Jubiläums ein kurzer Dokumentarfilm von Judy Kinberg vorangestellt, der über den historischen Hintergrund informiert. Seine blood memories seien eingeflossen in das Werk, erzählt Ailey. Erinnerungen an eine Kindheit im Süden der USA, an die Baumwollpflücker in ihren weißen Gewändern und an die baptistischen Gottesdienste. „Revelations“ zeichnet den Weg aus der Sklaverei nach, es ist ein Gebet mit dem Körper und zugleich eine überschwängliche Feier des Lebens. Zu dem Spiritual „Rocka my soul“ jubelt der ganze Saal.

„Die Tänzer tanzen ,Revelations' heute anders, als ich es damals getanzt habe“, verrät Judith Jamison. „Sie bringen etwas Neues ein. Das hält es frisch.“ Jamison ist stolz auf ihre 30 Tänzer, die beides in die Waagschale werfen: body und soul. Die Geschichte des Alvin Ailey American Dance Theater ist eine wunderbare Lovestory – die immer noch weitergeht.

Das Gastspiel an der Deutschen Oper Berlin findet vom 12. - 17. Juli statt.

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