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Alvis Hermanis, hier auf einem Bild von 2012, ist wegen seiner Absage an das Hamburger Thalia Theater als vermeintliches "Refugee Welcome Center" in die Kritik geraten.

© dpa

Alvis Hermanis, das Theater und Flüchtlinge: Die Bühnen haben sich im Konformismus eingerichtet

Die Institution Theater hat sich in die Kissen gespielt. Ein Debattenbeitrag zu Alvis Hermanis und zum Flüchtlingsengagement der Bühnen.

Die aktuell größte Provokation des Theaters geht davon aus, dass kein Theater gemacht wird. Der lettische Regisseur Alvis Hermanis hat aus Protest gegen das Eintreten des Thalia Theaters für Flüchtlinge eine für April 2016 geplante Inszenierung in Hamburg abgesagt. Er halte das humanitäre Engagement für falsch und wolle damit nicht in Verbindung gebracht werden, begründete Hermanis seine Absage. Die deutsche Begeisterung, die Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, sei extrem gefährlich für ganz Europa, weil unter ihnen Terroristen seien, sagte Hermanis.

Sätze, gesprochen draußen vor der Tür. Dort werden sie auch bleiben. Notfalls werden die Türen von innen zugehalten. Es herrscht Totenstille im Bühnenraum, selbst wenn gespielt wird. Das Theater ist das fröhlichste Krematorium dieser Tage.

Die Theaterhauptstadt Berlin zum Exempel. Abend für Abend geht in den zahlreichen Spielstätten der Lappen hoch. Sehr gut sind sie besucht, die Theater. Es gehört zu den verlässlichsten Glücksgefühlen, Karten für den „Hamlet“, Karten für „Bella Figura“ zu bekommen. Tolle Kunst von tollen Künstlern für ein tolles Publikum. Kein Witz: Es ist wirklich tolle Kunst von tollen Künstlern für ein tolles Publikum. Unzerstörbar sind die Bande, unerhört ist die Langeweile. Die Institution Theater hat sich in die Kissen gespielt. Nora, ein Puschelheim.

Die Irritation, die von Alvis Hermanis ausgeht, ist doch die: Er ziseliert Theater, feinstverfugter kann Inszenierungskunst kaum sein. Es herrscht tiefstes Einverständnis zwischen Bühne und Parkett über diese Kunstwelt. Jetzt ist der lettische Regiestar aus der WG ausgetreten.

Das ist nicht unerhört, das ist notwendig. Theater hat sich in einem, seinem Konformismus eingerichtet, wo das Gute und das Böse immer feststehen. Pegida und Vergleichbares – das ist dann viel Böses. Siehe „Fear“ von Falk Richter an der Schaubühne, aktuell ein Fall fürs Gericht. Hedwig von Beverfoerde, AfD-Politikerin und Koordinatorin des Aktionsbündnisses „Demo für alle“, hat eine einstweilige Verfügung erwirkt, sie will nicht länger mit Fotos und Bildern ins Bühnenbild integriert werden.

Das Theater legte Widerspruch ein, am Dienstag wird vor dem Berliner Landgericht verhandelt. Die Schaubühne hat sich aus dem „Bella Figura“-Kosmos heraus- und ins eminent Politische hineingetraut. „Fear“ und die Umstände, das ist ein bisschen Hermanis und doch nicht genug Hermanis. Wenn nicht Hamburg, dann muss Berlin ran: Holt den Letten-Ungeist auf die Bühne. Die Flüchtlinge, die Stadt und den Tod inklusive.

Die letzten Großtaten von Berlins Theaterhelden liegen bedenklich lange zurück. Claus Peymann war es ein Anliegen, den Kultursenator Michael Müller und dessen Kulturstaatssekretär Tim Renner zu dissen. Mit der Berufung von Chris Dercon werde aus der Volksbühne eine „Eventbude“. Werter Claus Peymann, da liegt ein Irrtum vor: An der Volksbühne, beim Berliner Ensemble, an der Schaubühne wird längst Eventbüdchentheater betrieben, Selbstbestätigung bis Selbstbefriedigung.

Frank Castorf geht, seine Volksbühnen-Hood geht mit. Das passiert in Zeitlupe, wird noch quälend lange dauern. Was sich am Lehniner Platz am Cashmere wärmt, das kuschelt sich am Rosa-Luxemburg-Platz in den Seesack. Die letzte Großtat der Castorf-Brigade war es, auf die Streichholzschachteln „Fuck off“ drucken zu lassen. Die Bereitschaft zum Risiko wird – und da wird’s ironisch – mit der Höhe der Subvention heruntergepegelt. Die Kohle muss stimmen, sonst wird der örtliche Theaterdirektor öffentlich böse und sieht das Abendland schon am Bühnenrand untergehen.

Nein, das Theater ist nicht tot. Es ist auch nicht scheintot, es liegt eine ganz andere Transformation vor: Das Theater hat sich den Feinkostabteilungen dieser Gesellschaft anverwandelt. Deliziöse Kost, gerne nach Shakespeare, nach Ibsen kredenzt, für die Avancierten wird Molekularküche kreiert. Koch und Kellner sind nicht immer greifbar, sie sind mit dem Flugzeug nach Frankreich. Dort wird wieder gedreht, für Film und Fernsehen. Beide Künste profitieren ungeheuer von den Bühnenkapazitäten.

Wenn Hermanis ein Stück zu seiner Haltung gegen Flüchtlinge inszenieren möchte, dann soll er das machen [...]. Deswegen ergibt es aber noch lange keinen Sinn, Theatern den Vorwurf der Weltferne zu machen, wenn sie Position gegen Fremdenfeinde beziehen.

schreibt NutzerIn nunJaAlsoAeh

Das zeitgenössische Erzählfernsehen war nie besser, weil die Tukurs, Matthes, Hoss, Finzis, Peschels das Fernsehen nie besser gemacht haben. Und die Drehstoffe sind sowieso prickelnder als die aktuelle Dramaturgie. Auch die Gagen stimmen, am Theater wird die Miete verdient, der SUV bei Film und Fernsehen. Geht klar: Spielplan geht nach Drehplan. Das gab es noch nie, jetzt ist es so weit: Das bessere Fernsehen muss sich nicht länger vor dem Theater schämen.

Ach und ach. Wenn der Alvis Hermanis doch mit seinem Elektroschocker dazwischenhaute, seine wüsten Thesen auf die Bühne wuchten wollte. In diese noble und nobel ausstaffierte Abschottungswelt namens Theater hinein, wo die Semperoper in Dresden aus Protest das Licht ausschaltet, wenn Pegida protestiert.

Wo die Staatsoper im Schillertheater 30.000 Euro für die Flüchtlinge sammelt. Das ist sozial, das ist solidarisch, das ist eines nicht: Theater, das die Zeit braucht; Theater, das die Zeit aufsaugt; Theater, das die Zeit ein- und ausatmet; Theater, das kein Zeitvertreib ist.

Bisher zur Debatte erschienen: „Auf der Flucht vor Flüchtlingen“ von Rüdiger Schaper (9.12.)

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