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Kultur: Am Ende der Schwerkraft

Stücke fürs Heute: Neustart am legendären Schauspielhaus Wien

Es begann mit einem Alpen-Aufstieg in dünnere Luftgefilde und endete in den unendlichen Weiten des Universums: grenzenlose Fantasie in der Schwerelosigkeit improvisierten Spiels. Am Ende eines zweitägigen Premieren-Marathons österreichischer Gegenwartsdramatik zur Eröffnung des Wiener Schauspielhauses unter der neuen Leitung von Andreas Beck blieb vom großen Paukenschlag allein die Geste des weiten Ausholens. Nach vier Inszenierungen hängt das junge Ensemble von sechs Darstellern über der kleinen Souterrain-Bühne in den Seilen.

Was dem 42-jährigen Deutschen Andreas Beck, der sich als Dramaturg in München, Stuttgart, Hamburg und zuletzt am Wiener Burgtheater stets für Gegenwartsdramatik stark gemacht hat, hier vorschwebt, ist bemerkenswert. Mit der Idee eines Autorentheaters schließt Beck an die Tradition des Schauspielhaus-Gründers Hans Gratzer an. Der hatte ab 1978 die verschlafene Theaterstadt Wien der Vor-Peymann-Ära mit einem innovativen „Regietheater“-Stil und neuen Autoren konfrontiert. Nachdem George Tabori von 1987 bis 1990 im Schauspielhaus sein Theaterlabor „Der Kreis“ installiert hatte, etablierte Gratzer in seiner zweiten Amtszeit dort ein Ur- und Erstaufführungstheater mit einem radikal zeitgenössischen Spielplan.

Er entdeckte Werner Schwab, spielte Stücke von Marlene Streeruwitz, Wolfgang Bauer, Thomas Jonigk, Tony Kushner und britische Entdeckungen wie Mark Ravenhill und Sarah Kane. Andreas Beck sieht sich sowohl Taboris prozessualem Laborbetrieb als auch Gratzers Theater der Zeitgenossen verpflichtet. Auf der Suche nach gegenwärtigen Inhalten stehen in dieser Saison zwölf Stücke österreichischer Gegenwartsdramatik, darunter fünf Uraufführungen, und eine Schreibwerkstatt auf dem Programm.

Klaustrophobe Düsternis und bleierne Trauer verbinden die ersten vier Stücke heutiger Bestandsaufnahmen, die Beck in die Hände junger Regisseurinnen gelegt hat. Mit Schauspielstar Viviane de Muynck von Jan Lauwers belgischer Needcompany und dem zum „Autor des Jahres“ 2006 gekrönten Tiroler Klaus Händl bildet dessen „Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen“ einen arrivierten Anfang. Doch von Daniela Kranz fantasielos als szenische Lesung arrangiert und mit de Muynck durchwegs durch den Kontrapunkt der Ironie in Schach gehalten, bleiben Klaus’ manieriert-verstiegene Alpen-Sehnsuchts-Todes-Monologe im verhaspelten Vortrag unerfüllt.

Als wirkliche Entdeckung entpuppte sich Ewald Palmetshofers Familientragödie, „hamlet ist tot. keine schwerkraft“, die einzige Uraufführung dieser Premieren-Tetralogie. Das Stück des 1978 geborenen Autors versammelt je ein Eltern-, ein Geschwister- und ein mit diesem befreundetes Ehepaar am Tag eines Begräbnisses und einer Geburtstagsfeier, der mit dem Mord an der gefeierten Großmutter und am Sohn durch die Eltern endet. „Gott ist tot“, heißt es bei Palmetshofer, der zur Zeit Theologie und Philosophie studiert, „so transzendent wie die Maschine war Gott nie“.

In ihrem Zwang zur stakkatoartigen Wiederholung abgebrochener Sätze taumelt das inzestuöse Geschwisterpaar Dani und Mani zwischen inneren Befindlichkeits-Monologen und Dialogen, deren kommunikativer Sinn längst verloren ist. „Wenn jemand spricht, wird es hell“, dieser Satz Palmetshofers bewahrheitet sich durch die präzise schwebende Lebendigkeit des Ensembles. Es beweist, welche Glücksmomente das Theater durch die pure Behauptung des Seins einer medial verstellten Welt entgegen zu halten vermag.

„Schlafengehn“, das zweite bemerkenswerte, sprachlich viel homogenere, stattdessen ins Märchenhaft-Surreale abdriftende Stück der erst 24-jährigen Gerhild Steinbuch muss nach seiner österreichischen Erstaufführung durch die Schweizerin Barbara-David Brüesch theatral noch wachgeküsst werden. Steinbuchs Familiendrama um Missbrauch und Flucht aus Abhängigkeitsverhältnissen wurde kaum greifbar, weil sich Brüesch allein auf poetische Bilder, Suspense-Sound aus der Konserve und einen langatmigen Erzählfluss beschränkte, ohne den Figuren Kontur zu verleihen.

Die österreichische Erstaufführung von Johannes Schrettles „wie ein leben zieht mein koffer an mir vorüber“ improvisierte das Ensemble mit dem Text in der Hand als halblustig-trashiges Satyrspiel um Piroschka, die in einem Koffer durch die Welt geschickt wird. Ein „anonymer Astronaut“ wirft Grillwürstchen ins Publikum und die Schauspieler reden auf Videos über ihre Wohnsituation, um schließlich in den Bühnenhimmel zu entschweben. Auch wenn das Ensemble diese Inszenierung buchstäblich verscherzte, so ist es doch eine Basis für Becks mutige Pläne und die acht Gegenwartstücke, die diese Saison noch folgen.

Christina Kaindl-Hönig

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