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Kultur: Am längeren Hebbel

Hau auf diese Stadt: Das neue Kreuzberger Theaterkonsortium eröffnet mit „Kunst und Verbrechen“ – und trifft den Nerv Berlins

Am Tag der Haushaltsnotlage geschehen seltsame Dinge in einem Berliner Theater. Im Foyer bietet eine fiktive „Agentur für Auftragsmord“ ihre Dienste an. An den Garderoben aalen sich drei gut aussehende junge Männer hinter dem Schild einer Firma namens „Your Private Body Inc.“ Für 50 Cent stehen Henry, Dave und John dem Kunden zwei Minuten lang „für Experimente im zwischenmenschlichen Umgang zur Verfügung“. In dem schönen alten Theatergebäude sind die Sitzreihen entfernt. Vor dem Theater bewachen bedrohlich wirkende Bodyguards den roten Teppich, über den ein verlegen lächelnder Kultursenator, eben wie ein Kino-Pate aus der Stretch-Limousine gestiegen, gemeinsam mit dem Intendanten in das überfüllte Foyer geht – eine erste kleine Inszenierung in dieser Theater-Party-Nacht.

Später wird Thomas Flierl in einer Rede öffentlich darüber nachdenken, wie sich das „Überleben jenseits der Ökonomie“ organisieren lässt: „in informellen Netzwerken, jenseits des Staates, also eigentlich illegal.“ Ein Senator, der nur noch in der Illegalität einen Ausweg aus der Armut sieht, und als Werbeposter Bilder von jugendlichen Boxern, die etwa so aussehen, wie man sich den Berliner Landeshaushalt vorstellt: Schwer angeschlagen: Es sieht so aus, als würde der Neubeginn am Hebbel Theater, das jetzt „Hebbel am Ufer“, kurz HAU, heißt, zum gut gelaunt sarkastischen Kommentar auf die kollabierende Finanzlage der Stadt werden. Wenn gar nichts mehr geht, wird ein trotziger Anarchismus zur adäquaten Überlebensstrategie. Und das Theater zum Ort, an dem sich die Härten der Wirklichkeit gleichzeitig ins Extrem treiben, grell ausstellen und lustvoll auskosten lassen. All die glänzenden L’art-pour-l’art-Spiele, die Selbstfeier der Kunst, der hermetisch gegen die Zumutungen des Sozialen abgedichtete Raum des Ästhetischen, den man früher in den Theatern genießen konnte – das alles wirkt im Kontrast zu den Wirklichkeitsschocks, denen das HAU sich programmatisch aussetzt, plötzlich etwas blass und zeitfern.

Unter dem Motto „Kunst und Verbrechen“ veranstaltet das HAU ein Eröffnungswochenende, mit dem dieser neue Stil des Hauses unmissverständlich vorgestellt wird – und bei dem sich Theorie-Diskurs und Party, hartes Avantgardetheater und noch härterer russischer Undergroundrock zu einem explosiven Molotow-Cocktail mischen. Wobei die Übergänge zwischen dem Theater der Politik und der Politik des Theaters, zwischen Wirklichkeit und Fiktion fließend sind. Nach den Reden, mit denen Kultursenator Flierl, Thomas Krüger, der dem HAU verbundene Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung und Matthias Lilienthal, der neue HAU-Intendant, die Allianz zwischen Kunst und Verbrechen subversiv bis depressiv beschworen haben, tritt ein anderer Fachmann für Politik und Verbrechen ans Rednerpult. Es ist Vladimir Putin (dargestellt von Armin Dallapiccola). Und während er die Rede wiederholt, die er bei einem Staatsbesuch im Deutschen Bundestag gehalten hat, werden hinter ihm Zeugenaussagen zur Erstürmung des Moskauer Musicaltheaters eingeblendet, in dem tschetschenische Terroristen Theaterbesucher als Geiseln genommen hatten. Zwischen Passagen von Putins Rede, in denen er die „Allianz gegen den Terror“ beschwört, sind Berichte über Massaker im Tschetschenien-Krieg montiert, die von einer Stimme aus dem Off kommen.

Hans-Werner Kroesingers sprödes Dokumentar-Theater ist harter Stoff. Was der nächste Redner dem Publikum bietet, ist vielleicht noch etwas härter: Eine Art buddhistisches Reinigungsritual, eine Messe zu Ehren Richard Wagners mit kollektivem „Bim-Bam“-Gesang des Publikums und die Frage, weshalb in Berlin eigentlich dauernd Theater eröffnet werden – „hier könnte doch auch ein schönes Parkhaus stehen, verehrter Herr Kulturpräsident“. Christoph Schlingensief ist vom Wiener Burgtheater, wo er die Uraufführung eines Jelinek-Stückes probt, nach Berlin gekommen, um dem HAU seinen Segen zu geben: „Solange ich hier kein eigenes Theater habe, werde ich Matthias Lilienthal unterstützen.“ Dabei inszeniert sich Schlingensief ironisch als eitler Kulturbetriebs-Narziss, der eine Tonlage irgendwo zwischen Jürgen von der Lippe und Bazon Brock wählt, um etwas über Wagner, die SPD und Leute, die auch er nicht heilen kann, zu delirieren. Um dann abrupt die Tonlage zu wechseln und genau diese Kulturbetriebs-Eitelkeiten präzise zu vernichten – mit einer kleinen Zadek-Parodie: „Das ist ja ganz toll, da habe ich die Mutter Courage inszeniert, ganz toll, und jetzt sitze ich hier mit dem vielen Geld, was ich dafür gekriegt habe wieder in Italien, ganz toll, das ist doch ganz toll.“ Was einerseits lustiges Kabarett ist, andererseits aber auch genau die Gefährdungen vorführt, gegen die sich der zum Regie-Star avancierte Schlingensief zwischen Burgtheater und Bayreuth mit Polemik wehren will. Und ganz nebenbei wirkt der kleine polemische Ausfall wie eine Art Grundsatzerklärung darüber, was man am HAU in Zukunft nicht erwarten kann: Gediegenes Theater reicher Regie-Fürsten. Schlingensiefs Miniperformance, ein Geschenk für seinen Freund Lilienthal, war ein bösartig charmanter Höhepunkt der langen HAU-Nacht.

Die von Schlingensief verhandelten kulturbetriebsinternen Probleme gehörten ganz offenbar nicht zu den Fragen, die die lautstärksten und trinkfreudigsten Künstler auf der HAU-Bühne umtrieben: Die russische Undergroundband „Leningrad“ sorgte mit rasantem Punk-Folk zwischen Polka und Ska für beste Laune – und für ein ziemlich kulturbetriebsfremdes Publikum: Die Kultband hat in der russischen Community Deutschlands offenbar einen harten Fanblock. Kräftige junge Männer in Muskel-T-Shirts, die Pogo tanzen und euphorisch jedes Stück mitsingen, ein ungewohnter Anblick im guten alten Hebbel Theater. Frank Castorf, der sowieso lieber in Rockkonzerte als in Theateraufführungen geht, nickte beifällig und die Sicherheitsleute hatten Mühe, die Fans von der Bühne fern zu halten.

War diese Kombination aus exzessivem Rockkonzert, Politikerreden, im Foyer patroullierenden Soldaten der ruhmreichen Roten Armee, politischem Dokumentar-Theater, Schlingensief-Performance („Theater sind nur dazu da, dass wir den Unsinn nicht auf der Straße machen“) und geistigen Getränken schon verwirrend und hinreißend genug, sorgte nach Mitternacht eine Vorstellung der New Yorker „Big Art Group“ für großes Theater. Wie werden Bilder gefälscht – und funktioniert die Fabrikation der Fiktion, das war das Thema, welches in „Flicker“ mit atemberaubender technischer Perfektion virtuos durchdekliniert wurde. Die Bühne wird auf halber Höhe von Monitoren verstellt, die Schauspieler agieren dahinter und werden live gefilmt – und aus den fragmentierten Bewegungsabläufen entstehen vor den Augen des Publikums blutige Szenen, gleichzeitig vollkommen künstlich und gerade in ihrer Künstlichkeit erschreckend real: Auch das anstrengendes, bestürzendes Theater, das für die Zukunft dieser neuen Bühne die schönsten Erwartungen weckt. Was am Anfang des Abends, in Flierls Rede, noch wie eine etwas gewagte Spekulation gewirkt hatte, löste sich im Kaleidoskop der so unterschiedlichen, aber immer radikalen politisch-ästhetischen Manifestationen der ersten HAU-Nacht aufs Schönste ein: eine „symbolische Überproduktion in Zeiten öffentlicher Armut“.

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