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Kultur: Am offenen Herzen

Die Maler und Bildhauer der Berliner Akademie der Künste stellen gemeinsam aus

Sechzehn Jahre ist es her, dass der Akademie der Künste die Wiedereinigung um die Ohren flog. Vor allem die bildenden Künstler setzten sich gegen eine Fusionierung der Akademien Ost und West zur Wehr; es hagelte Austritte aus Protest gegen die Aufnahme von Mitgliedern aus der ehemaligen DDR. Mit den „Staatskünstlern“ von drüben wollten zumal die einst in die Bundesrepublik Emigrierten nicht zusammensitzen.

Darüber ist längst die Zeit hinweggegangen. Doch die Zerrissenheit der Sektion bildende Kunst hat nicht zuletzt darin ihren Ausdruck gefunden, dass seitdem keine gemeinsame Ausstellung der Mitglieder mehr zustande kam. So kann es kein Zufall sein, dass sich im Jubiläumsjahr des Mauerfalls die Maler, Bildhauer, Konzeptkünstler doch noch zusammengerauft und endlich einen kollektiven Auftritt organisiert bekommen haben. Zumindest steckt darin eine schöne Koinzidenz, denn der Vorsatz liegt schon vier Jahr zurück. So lange laborierte das Kuratorium an einem Konzept, das am Ende doch über Bord geworfen wurde.

Geblieben ist das Thema Zeichnungen, auf das man sich als kleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnte. Die Entdeckungen in den Ateliers und Archiven von 66 Mitgliedern, darunter 18 verstorbenen, fügen sich wie von selbst zu einer fünf Jahrzehnte umspannenden Ausstellung zusammen. Das erstaunliche Ergebnis: So divers die einzelnen Positionen sind, so fremd sich die verschiedenen Ansätze einander gegenüberstehen, so anregend und aufschlussreich ist doch ihre Präsentation. Die ausgeprägten Individualisten der Sektion bildende Kunst werden es immer schon gewusst haben: Ihre Abteilung ist so stark, wie die einzelnen Mitglieder es sind.

Und plötzlich kommen diese widerspenstigen Akademiemitglieder einander so nah, wie sie es sich selber vermutlich nicht vorgestellt haben. Denn Zeichnen ist wie offenes Denken. Der Betrachter schaut dem Künstler dabei über die Schulter, wie sich seine Imagination verfestigt. Der suchende Stift scheint nur den Bruchteil einer Sekunde vorher vom Blatt abgehoben zu haben. Für jenen Gestus der Unmittelbarkeit steht die größte Gruppe der insgesamt 450 Arbeiten: Armandos zartes Krakelee, Emil Schumacher spontane Schraffuren, Bernhard Heiligers enthusiastischer Linienschwung zeigen den Aufbruch ins Freie, die Kunst als Demonstration einer ungebändigten Selbsterfindung.

Dieser Zustand der Ungebundenheit lässt sich auch in der Ausstellung selbst ablesen. Nicht Chronologie bestimmt den Parcours auf 2000 Quadratmeter Schaufläche, sondern spannungsvolle Gegenüberstellungen. Auch wurde das Schubladendenken von Abstrakten hier, Figurativen dort und Konzeptualisten hinten vermieden. Der Chor der Akademiemitglieder erhebt sich mit einer Vielstimmigkeit, die beeindruckt. Dabei sorgt für besondere Aufmerksamkeit, wann immer sich ein Künstler dem Erwartbaren entzieht. In den fülligen Aktzeichnungen aus der Frühzeit Gotthard Graubners zeigt sich bereits die Lust an der Üppigkeit seiner erst sehr viel später entwickelten Farbkissen. Auch Ulrich Erbens Zeichnungen von einem Italienaufenthalt Anfang der sechziger Jahre verrät den späteren abstrakten Farbsensibilisten. Verblüffung löst Jim Dines monumentale Zeichnung eines römischen Hauptes aus der Kopenhagener Glyptothek von 1991 aus, die so gar nichts mit den klassischen Werken des amerikanischen Pop-Art-Künstler gemeinsam hat.

Natürlich mag so mancher nach dem alten Ost-West-Schema suchen, das die Sektion so lange paralysierte. Das Indiz Gegenständlichkeit greift nur bedingt. Die zauberischen Zeichnungen Dieter Goltzsches haben immer schon eine Zwischenwelt dargestellt, Hanns Schimanskys Bilder entzogen sich stets einer klaren Interpretierbarkeit. Die größten Versponnenheiten mit der Linie, die Entwicklung eines wahren Paralleluniversums auf dem Papier aber haben Gerhard Altenbourg und Carlfriedrich Claus kultiviert. Die Angst eines aus der ehemaligen Akademie Ost stammenden Mitglieds, dass seine Werke und die seiner Kollegen gleich neben der Toilette hängen würden, hat sich jedenfalls nicht bewahrheitet. Hier wurde weder nach Richtung noch Herkunft platziert.

So finden sich auch die konzeptuellen Ansätze zwischen die konservativen Auffassungen gestreut. Vis-à-vis von Frank Badurs präzisen Lineaturen hängen etwa Karin Sanders Reisebilder. Die Künstlerin expedierte weiß grundierte Leinwände ohne weiteren Schutz von einer Ausstellung zur nächsten. Schürfspuren, Kratzer dieser Reisen wurden für sie zur kostbaren Zeichnung. Auch Tacita Deans Arbeitsmaterial bleibt in der Ausstellung singulär: Sie gravierte in Alabasterplatten mit einem Radierstichel. Auf der marmornen Fläche bilden sich nun Landschaften, Gestirne, Kontinente ab, gerade so wie die Britin es im zart hautfarbenen Gestein vorgefunden hat. Zeichnung kann eben überall sein.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 14. 6.; Di.–So. 11–20 Uhr, Katalog 30 €

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