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Kultur: Am wunden Punkt

New York, 11. September 2001 und 2002: Als die Zeit sich teilte, die Stadt ihren Duft verlor – und die Toten den Neuanfang predigten

Von Mario Kaiser

Der Tag, an dem sie es taten, war wunderschön. Der Himmel, bevor Menschen aus ihm fielen, spannte sich wie ein blaues Laken über der Stadt, eine Leinwand, vor der sich New York erhob, scharfkantig, brillant schimmernd im Licht des neuen Tages. Die Stadt erwärmte sich, aber sie begann bereits nach Herbst zu riechen. An den Bäumen färbten sich die ersten Blätter. Die Kinder liefen mit nassen Haaren zur Schule.

Es ist meine letzte Erinnerung an New York, bevor es passierte. Ich war spät ins Bett gegangen in der Nacht zuvor, eingeschlafen über dem Manuskript einer Reportage. Ich hatte einen Traum: Ein Flugzeug flog über mein Haus, so tief, dass die Scheiben meines Schlafzimmers vibrierten und das Dröhnen der Turbinen mich erstarren ließ. Ich glaube, es war kein Traum. Ich glaube, es war American Airlines 11, das erste Flugzeug, das die Türme traf. Aber ich weiß es nicht. Es war schwer zu unterscheiden an diesem Morgen, was Traum war und was Wirklichkeit.

Ich weiß, dass meine Mutter anrief, bevor die Redakteure es taten, und ich verstand nicht, warum sie weinte. Sie regt sich schnell auf, und in meiner Vorstellung sah ich eine Propellermaschine, die einen der Türme gestreift hatte. Als ich die Bilder sah, verstand ich. Ich stieg auf mein Fahrrad und fuhr zu den Türmen. Als ich ankam, waren sie fort.

Ich erinnere mich an den Staub. Wo die Türme gefallen waren, stieg eine Säule schwefligen Rauchs in den Himmel. Graubraune Asche bedeckte die Straßen und die Menschen, die durch sie irrten wie lebende Statuen, stumm und benommen. Sie hinterließen Fußabdrücke zwischen weißen Fetzen Papier, die im Staub lagen wie das Laub eines nuklearen Winters. Ein bitterer, metallischer Geschmack füllte meinen Mund. Es ist meine letzte Erinnerung an die Türme. Der Geschmack ihrer Asche.

Ich erinnere mich an den Geruch. Er wehte noch Wochen später aus der schwelenden Wunde, in der die Türme versunken waren. Es war der Geruch von Eisen, von Beton und Kunststoff und Körpern, verschmort zu einem Geruch des Todes. Manchmal glaubte ich, nur die Körper riechen zu können.

Ich erinnere mich an den Regen. Er fiel zwei Tage danach, und er kam mit einem Gewitter in der Nacht. Ein Donner, der den Klang von Bomben hatte, weckte mich. Ich sah Ground Zero in jener Nacht. Ich sah Arbeiter, die über grotesk verrenkte Stahlträger kletterten und Hunden folgten, die in den Trümmern schnüffelten und ihr nasses Fell schüttelten. Sie waren in violettes Licht getaucht, in dem sie feucht glänzten.

An die Worte erinnere ich mich nicht. Es gab keine Rede, die mich berührte. Ein einziger Satz ist mir im Gedächtnis geblieben. Rudolph Giuliani, der damalige Bürgermeister, sprach ihn am ersten Tag, als ein Reporter ihn fragte, wie viele Tote man am Ende unter den Trümmern finden werde. Giuliani überlegte einen Moment und sagte: „Es werden mehr sein, als wir ertragen können.“ Ich höre diesen Satz noch. Ich sehe Giuliani noch, wie er unter der silbernen Uhr im Krisenzentrum steht, bleich und entschlossen. Die Uhr hatte keine Ziffern, nur schwarze Striche, zwischen denen die Zeit zerrann. Worte verloren ihre Bedeutung in jenen Tagen. Sie reichten nicht aus, um eine Katastrophe zu beschreiben, die sich in Bildern in das Gedächtnis der Stadt brannte. Sie mussten missbraucht werden, um die Maschinerie zu befeuern, die Opfer zu Helden veredelte und die Helden unter den Trümmern eines blauweißroten Mythos begrub. Ich traue dem Wort „Held“ nicht mehr. Es ist verkommen zu einem Ritterschlag für jeden, der mit dem Tod in Berührung kam.

Ich erinnere mich an Joseph Haydn. Es war der Sonntag danach, und ich saß auf einer Bank in der Saint Patrick’s Cathedral. Polizisten, deren Ohren verkabelt waren und deren Jacketts sich über Waffen wölbten, patroullierten die Gänge und beobachteten misstrauisch die Betenden. Auf den Dächern vor dem Portal standen Scharfschützen. Die Streicher hoben ihre Bögen und spielten das Adagio aus Haydns Symphonie Nummer 44 in e-Moll.

Ich hatte notiert und berichtet. Ich hatte funktioniert. Jetzt legte ich den Stift aus der Hand, schloss mein Notizbuch, und eine Traurigkeit überkam mich, die ich in den Tagen zuvor nicht gespürt hatte. Ich hörte die Symphonie, die Haydn für seine eigene Beerdigung komponiert hatte, und jetzt erst begriff ich, was wir verloren hatten. Die Stadt war verwundbar geworden. Ich höre die Violinen noch. Sie klangen, als schmerzte es sie, für die Toten zu spielen.

In der Nacht hörte ich die Kampfflugzeuge, die den Himmel über der Stadt patroullierten. Ihr Klang war beruhigend und beängstigend zugleich, und bald gehörte er zur Melodie der Stadt. Jetzt höre ich ihn wieder. Seit ein paar Tagen beschützen Jets den Himmel über der Stadt, Tag und Nacht.

Der 11. September hat die Zeit geteilt, es gibt jetzt eine Zeit davor und eine Zeit danach, und er hat mein Leben gespalten. Ich erinnere mich, wie kostbar die Zeit plötzlich wurde. An den Freund, den ich fand, und eine Liebe, die ich verlor. Ich erinnere mich an Andrea. Sie meditierte in einem Kloster in Indien, als es passierte. Als sie herauskam, Tage später, erzählte ihr ein Mann auf der Straße, was geschehen war. Ich höre noch, wie sie weint am anderen Ende einer statischen Leitung.

Musik weht durch die Stadt

Ich erinnere mich an Robert McMahon. Er lag in einem hellbraunen Sarg neben mir. Seine Frau Julie stand hinter ihm, ihren Sohn im Arm und ihr ungeborenes Kind im Bauch. Ich stand allein zwischen den Feuerwehrmännern, die ihren toten Kameraden in weißen Handschuhen salutierten, und ich war der einzige, dessen Hand nicht zur Stirn fuhr. Ich erinnere mich an den Klang der Dudelsäcke. Er weht durch die Stadt wie der Geruch der Wunde. Dann klingelten vor der Kirche die Telefone der Feuerwehrmänner. American Airlines 587 war auf die Stadt gestürzt.

Ich kannte diesen Flug. Ich hatte ihn ein Jahr zuvor genommen. Platz 19A. Jetzt stand ich an der Absturzstelle und erinnerte mich an die Landung in Santo Domingo. An die Passagiere, wie sie klatschten und jubelten und „Gracias a dios“ riefen, als wären sie Touristen. Aber sie kamen nach Hause, und es erfüllte sie mit Glück, die Erde ihrer Heimat zu berühren. Jetzt lagen die Körper ihrer Landsleute in einem Garten in Queens.

Der Fotograf an meiner Seite hat in dieser Nacht ein Bild von mir gemacht. Ich stehe hinter einer Polizeiabsperrung, zwischen einem Löschwagen und einem Polizeiwagen. Schläuche winden sich über die Straße. Da ist ein entfernter Blick in meinen Augen. Es ist die Art von Bild, das man betrachtet und sich fragt: Was sieht er? Was denkt er? Ich weiß nicht mehr, was ich dachte in diesem Moment. Aber ich erinnere mich, was ich sah. Männer in weißen Overalls, Forensiker, die nach den Spuren suchen, die vom Leben bleiben nach einer Katastrophe.

In der Finsternis hinter mir leuchten helle Punkte. Es ist das weiße Licht der Scheinwerfer, das ich jetzt mit Katastrophen verbinde wie den Klang der Stromaggregate. Sie summten überall in dieser Zeit, an der Absturzstelle in Queens, an Ground Zero und vor der Gerichtsmedizin in der First Avenue, wo die Fragmente der Toten in weißen Kühlcontainern lagerten.

In meiner ersten Erinnerung sehe ich die Türme in der Nacht. Es war vor sieben Jahren, ich war nach New York gekommen, um schreiben zu lernen. Ich verbrachte die Nächte in einer Bücherei am Washington Square Park. Es war eine Zeit großer Angst. Ich war fremd in dieser Stadt, und ich schrieb in einer Sprache, die nicht meine war. Wenn ich in den frühen Morgenstunden nach Hause ging, durch grandios stille Straßen, blickte ich hinüber zu den Türmen, die wie Laternen im Himmel über der Stadt leuchteten. Ich sah sie, für einen Moment nur, und hatte das Gefühl, dass die Türme und die Stadt auch mir gehörten.

Sie waren nicht schön. Aber jetzt fehlen sie uns wie die Toten. Für jene, die die Türme nie gesehen haben, wird es sein wie für die Kinder, die noch in den Bäuchen ihrer Mütter wuchsen, als ihre Väter schon verschwunden waren. Sie werden Bilder sehen. Sie werden Geschichten hören. Und sie werden ein Gefühl dafür bekommen, dass ihr Vater ein besonderer Mensch war. Aber sie werden nie wissen, wie es war, ihn lächeln zu sehen. Seinen Atem zu hören. Die Wärme seiner Hände zu spüren.

Sie werden nie wissen, wie es war, die Spitzen der Türme zu sehen, wie sie aus dem Nebel ragten und leuchteten in der Nacht und ergrauten im Regen und schrumpften, wenn die Staten Island Ferry ablegte und sich von Manhattan entfernte. Sie werden nie wissen, wie es war, im 107. Stock zu stehen und die Hand an die Scheibe zu halten und zu fühlen, wie kühl sie ist, und nach der funkelnden Stadt zu greifen und sich umzudrehen und Paare Swing tanzen zu sehen.

Ich erinnere mich an den Moment, in dem die Türme zurückkehrten. Es waren Türme des Lichts, die in den Himmel über der Stadt ragten wie silberne Säulen. Ich stand auf der Staten Island Ferry in der Nacht, in der die Türme zum ersten Mal leuchteten. Ich blickte auf die gebrochene Skyline der Stadt, und ich wünschte mir die alten Türme zurück. Ich sehnte mich nach etwas, das dieses Loch im Himmel füllte.

Ich sitze in einem leeren Appartement, während ich diese Zeilen schreibe. Es ist dasselbe Appartement, in das ich vor einem Jahr einzog. Meine Vermieterin sagte damals, sie habe Gott um Rat gebeten, und er habe sich für mich entschieden. Es war meine erste eigene Wohnung in New York, und ich glaubte, mein Leben in der Stadt hatte erst begonnen. Es dauerte elf Tage. Jetzt stehen in meinem Schlafzimmer zwei Koffer. Ich hänge noch an der Stadt. Aber das Land ist mir fremd geworden.

Es ist wie vor einem Jahr. Die Stadt erwärmt sich noch, aber der September hat die Hitze aus ihr geweht. Die Luft ist kühl und klar in den ersten Stunden des Tages und die Flugzeuge malen Kondensstreifen in den Himmel. Der Baum vor meinem Fenster verliert die ersten Blätter und der Eismann fährt durch die Straße, bimmelnd den Sommer beschwörend. In der U-Bahn stehen die Broker mit nassen Haaren und lesen gebetshaft das Wall Street Journal.

Dort, wo sie aus der Erde steigen, ist nichts mehr wie vor einem Jahr. Fünf Straßenblöcke von Ground Zero entfernt versammelt sich der US-Kongress erstmals seit 212 Jahren wieder in New York. In der Federal Hall legen Senatoren und Repräsentanten die Hand aufs Herz, wo George Washington 1789 die Hand auf die Bibel legte und als erster Präsident der Vereinigten Staaten seinen Amtseid schwor. Damals besiegelten die Abgeordneten das Ende des Krieges um Amerikas Unabhängigkeit. Jetzt geloben sie, dass der Krieg um Amerikas Freiheit erst begonnen hat.

Die Stadt wirkt langsamer an diesem Abend, und mit jedem Tag wird sie stiller. In einer Synagoge in Brooklyn feiern die Juden Rosh Hashana und essen Äpfel mit Honig und beten, dass es ein süßes Jahr werde. In einer Moschee in Harlem ruft der Muezzin zum Gebet. Auf der Wiese im Bryant Park stehen Reihen leerer Stühle. Manchmal lag ich auf dieser Wiese und trank Wein und aß Trauben und wartete, dass es dunkel wurde. Dann flimmerten Filme von Woody Allen und Billy Wilder über eine Leinwand, und ich wünschte, ich könnte die Stadt umarmen. Jetzt stehen 2 819 leere Stühle auf dieser Wiese. Einer für jeden Toten.

Die Gesichter sind überall

Ich erinnere mich an die Gesichter. Sie lächelten uns an. Von Laternenpfählen, Telefonzellen, Türen, Wänden, Zäunen, in der U-Bahn, am Zeitungskiosk. Sie waren überall. Bilder in Alben, aus denen sie herausgerissen wurden wie aus den Leben ihrer Geliebten. Ihre Familien flehten. Sie gaben uns Größen, sie gaben uns Farben. 1,76 Meter, blaue Augen. Sie gaben uns Koordinaten. Turm 1, 101. Stock. Sie gaben uns Merkmale. Clown-Tätowierung auf der rechten Schulter. Sie gaben uns all die Dinge, die nicht mehr wichtig waren, die nur die Hülle waren für das, was sie verloren hatten.

Nach einer Weile erkannte ich sie wieder. Im Union Square Park. In Grand Central Station. An der Wand des St. Vincent’s Hospital. Das Lächeln von Giovanna Gambale. Der graue Bart von Roger Mark Rasweiler. Das seidige Haar von Sneha Ann Philips. Ich schreibe ihre n, ohne sie nachzulesen.

Am Anfang waren sie nur Gesichter. Dann erfuhren wir ihre Geschichten. Wir sahen Giovanna als kleines Mädchen, so zielstrebig, dass sie ihre Lehrer bevormundete. Wir sahen Roger in einem Kanu über den Fluss gleiten. Wir sahen Stephen Hoffman, einen Zwilling, der in den Twin Towers starb, im Arm seines drei Minuten älteren Bruders. Wir sahen Gordy Aamoth. Joon Koo Kang. Rahma Salie. Igor Zukelman. Ein Alphabet der Opfer, in dem nur das X fehlt. Namen, die sich in den Händen des Poeten Billy Collins zu einem Gedicht fügten.

Wir sahen ihre Gesichter, und wir sahen die Demokratie des Todes. Sie lebten 20 Jahre, sie lebten 50 Jahre. Sie waren verlobt, sie waren geschieden. Ihre Haut war schwarz, ihre Haut war weiß. Sie bewegten Millionen und sie putzten Fenster. Sie glaubten an den Koran und sie glaubten an die Bibel. Sie waren so verschieden wie die Straßen der Stadt. Als die Türme fielen, waren sie alle gleich. Sie waren die Gesichter einer Stadt, die den Neuanfang predigt wie eine Religion und ihre Toten in der Peripherie begräbt.

Jetzt sah der Tod aus wie wir. Dies waren keine Leichen in Ruanda, keine Knochen in der Erde von Srebrenica, keine Schädel in Kambodscha. Es war nicht dort, es waren nicht die. Es war hier, und das waren wir. Und so sehr wir um Tote trauerten, die wir nicht kannten, so sehr trauerten wir um uns, die wir unsere eigene Sterblichkeit sahen.

Ich ging noch einmal zurück. Auf dem Friedhof der Saint Paul’s Chapel, der in meiner Erinnerung von Asche bedeckt war, wuchs wieder Gras. Ich überquerte die Straße und stand am Zaun um Ground Zero. Die Wunde war in das weiße Licht getaucht, das mir aus der Nacht des 11. Septembers in Erinnerung geblieben ist. Damals hatte ich das sterile Licht eines Operationssaals gesehen, in dem verstaubte Männer die Trümmer der Türme obduzierten. Jetzt schien es wie das Flutlicht einer Sportarena. Ground Zero hatte die Banalität einer Baustelle, eine Aufgeräumtheit, die so surreal war wie die Trümmerlandschaft der ersten Nacht. Ich blickte in das Loch und fragte mich, wo all die Körper geblieben waren.

Von der Hälfte der Toten fehlt jede Spur. Die Hoffnung ihrer Hinterbliebenen ruht in den Kühlräumen der Gerichtsmedizin, in denen 19 000 Körperteile darauf warten, identifiziert zu werden. Ein Fingernagel, ein Stück Haut, mehr ist es oft nicht. Manche Familien haben bis heute keine Todesurkunde beantragt. Sie trösten sich mit dem Gedanken, dass ihre Geliebten noch vermisst werden. Andere wurden in leeren Särgen verabschiedet. Dann rief der Gerichtsmediziner an und sagte, er habe noch ein Stück des Toten identifiziert. Sie beerdigten es, und dann rief der Gerichtsmediziner wieder an.

Ein Jahr, nachdem es geschah, nahm ich die U-Bahn nach Ground Zero. Es war so still, dass ich das Schlürfen der Klimaanlage hörte. Ich blickte auf die Uhr des Mannes, der neben mir stand, und ich sah das Datum, das zur Chiffre dieses Tages wurde: 9-11. Vor mir saß ein Sikh mit schwarzem Turban. Ein Geschäftsmann las die Zeitung mit der schwarzen Schlagzeile der neuesten Bedrohung. Eine schwarze Frau schlief mit der Bibel in der Hand. Das Funkgerät eines Polizisten krächzte. Hier war New York in einem Abteil.

Der Präsident an der Rampe

Ich stand an Ground Zero, als die Stadt in Stille verharrte. Es war 8 Uhr 46. Aus dem Grund der Grube hallten die Namen der Opfer. Es dauerte über eine Stunde, sie zu nennen, und es war, als verkehrte sich der Tag ein Jahr später. Dort, wo die Menschen aus dem Himmel gefallen waren, stiegen jetzt ihre Namen auf.

Der Präsident kam am Nachmittag, und ich folgte ihm in seinem Pressetross durch die Stadt. Er ging die Rampe in Ground Zero hinunter, an deren Ende ihn die Angehörigen der Opfer erwarteten. Sie scharten sich um einen Kreis Blumen und hielten die Bilder ihrer Geliebten. Die Rampe neigte sich sanft über 150 Meter, bevor sie den Boden berührte, und als ich sie hinab ging, bekam ich ein Gefühl für die Dimension von Leere.

Ich stand, wo der Nordturm seinen Fußabdruck hinterlassen hatte. Die Bilder der Toten lagen im Staub. Fitzroy St. Ross. Vincent M. Litto. Curtis Terrence Noel. Steine und Blumen rahmten ihre Gesichter. Der Präsident küsste ihre Witwen. Ich ging die Rampe hinauf und drehte mich um. Und ich sah, wie klein und verloren die Angehörigen in der Leere der Grube standen. Der Wind wehte Staub in ihre Gesichter.

Die Kolonne des Präsidenten schlängelte sich wie eine Anaconda schwarzer Limousinen durch die Stadt. Wir erreichten den East River in der Dunkelheit und bestiegen die Boote nach Ellis Island. Bush schritt über die Insel, auf der so viele vor ihm das Ufer Amerikas erreicht hatten. Er trat an sein Pult und sprach zur Nation. Hinter ihm leuchtete die Freiheitsstatue und reckte ihre Fackel empor. „Das Licht scheint in der Dunkelheit“, sagte er, „und die Dunkelheit wird es nicht überschatten.“ Es war ein hübsches Bild, aber es war nicht der schönste Satz, den er sprach. „Morgen“, sagte der Präsident, „ist der 12. September.“

Wir stiegen zurück in die Boote, und vor uns funkelte die Stadt. Über der Freiheitsstatue leuchtete ein goldener Halbmond. Das Empire State Building schimmerte rot, weiß und blau. In der Skyline klaffte eine Lücke, aber die Stadt sah wundervoll aus.

Es war nach Mitternacht, als ich von Bord stieg und den Broadway hinauf ging. Ich stoppte an der Liberty Street, wo Monate nach den Anschlägen noch immer das Fahrrad eines Kuriers an einem Laternenpfahl gelehnt hatte. Jetzt war es verschwunden. Wie Felipe, der es gefahren hatte. Es schien, als erinnerte nichts mehr an den Tag, an dem die Türme gefallen waren. Die Ampel blinkte, und ich sah, dass etwas in dem Gitter ihr Licht verdunkelte. Der Staub des 11. September steckte noch immer in ihr.

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