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Diese Augen! Amanda Palmer im Burlesque-Kostüm – die Keyboardgitarre wird auch beim Konzert heute im Roten Salon zum Einsatz kommen.

© Andrius Lipsys

Amanda Palmer: Liebe ist das beste Label

Treffen in Berlin: Die tödlich charmante Sängerin Amanda Palmer und der Crowdfunding-Erfolg ihres neuen Albums "Theater is Evil".

Früher, als Amanda Palmer noch nachts als Stripperin gearbeitet hat, um tagsüber mit ihrer damaligen Band Dresden Dolls Musik machen zu können, war ihr Stripclubbühnenname: Berlin. Warum? „Weil es ein COOLER Name ist!“ Die Sängerin, 36 Jahre alt, ruft es durch den Raum, mit einer rauen, dunklen Stimme, die noch bis auf die Terrasse klingt. „Berlin – die geteilte Frau!“ Hier einsamen Männern die Illusion von Nichteinsamkeit geben, da Lieder schreiben und singen und auf Konzerten echte Gemeinschaftserlebnisse zelebrieren.

Das ist jetzt sicher zehn Jahre her, die Dresden Dolls sind Geschichte, 2008 löste sich das Duo auf. Dessen „Brechtian Punk Cabaret“, dramatische, pianolastige Lieder, ebenso düster wie augenzwinkernd, entwickelt Amanda Palmer seitdem als Solokünstlerin weiter. Diesen Donnerstagabend spielt sie ein winziges, längst ausverkauftes Konzert im Roten Salon der Volksbühne, um ihr neues Album „Theatre is Evil“ vorzustellen (auf dem der traurige Song „Berlin“ die Stripperinnenepisode verarbeitet). Ein paar hundert Meter weiter, in der temporären Platoon-Kunsthalle, sind noch bis Freitag die Werke von mehr als 30 Künstlern zu sehen, die sich von den Songs haben inspirieren lassen – darunter Street-Art-Legende Shepard Fairey (Schönhauser Allee 9, 12-20 Uhr).

Radiohead auf der Ukulele

Soweit die Aktualitäten. Aber die gebürtige New Yorkerin ist noch aus anderen Gründen eine bemerkenswerte Künstlerin. Da ist erst einmal ihre Musik, wilde Ohrwürmer, zähnefletschende Tiraden, schwarz geschminkte Partyhymnen, sexy Orchesterpunk. Amanda Palmer, die laute, fiese Kusine von Tori Amos. Obwohl: 2010 veröffentlichte sie das Album „Amanda Palmer Performs the Popular Hits of Radiohead on Her Magical Ukulele“, auf dem sie eben genau dies tat – selten hat eine Ukulele so herrlich depressiv geklungen.

Hier ein Porträt von Walter Sickert, das in der Platoon-Kunsthalle in der Schönhauser Allee gezeigt wird.
Hier ein Porträt von Walter Sickert, das in der Platoon-Kunsthalle in der Schönhauser Allee gezeigt wird.

© promo

Das neue Album ist dagegen wieder opulenter, Amanda Palmer lässt ihr „Grand Theft Orchestra“ – Michael McQuilken, Chad Raines und Jherek Bischoff – groß aufspielen. 18 Tracks, fast anderthalb Stunden Programm, dazu aufwendigstes Artwork – das komplett allerdings erst im September zu hören sein wird, wenn das Album offiziell herauskommt. Dann wird es auch eine richtige Tour geben, in größeren Hallen, komplett mit bizarren Vaudeville-Kostümen, choreografierter Bühnenshow – all dem, was Amanda Palmer, das Gesamtkunstwerk, ausmacht.

Bis dahin ist noch einiges zu tun: CDs und Schallplatten pressen, Videos drehen, die Show erarbeiten. Das alles kostet Geld – das Amanda Palmer bis vor Kurzem nicht hatte. Jetzt aber schon. Auf der Onlineplattform Kickstarter, einer Seite, über die sich Crowdfunding für kreative Projekte organisieren lässt, rief Palmer ihre Fans auf, zur Produktion und Distribution des neuen Albums beizutragen. Die Zielmarke lag bei 100 000 Dollar – „eine willkürliche Summe“, wie Palmer sagt, „schön rund“. Bereits nach sieben Stunden war das Geld da – und der Zähler stieg weiter. Endergebnis nach vier Wochen? Fast 1,2 Millionen Dollar. Zitat Palmer: „HOLY FUCK!!!!!!!!!!!!!!!!“

Donuts für 1000 Dollar

„Das Internet verändert die Welt, auch ohne mich“, sagt Palmer beim Gespräch in Berlin. Aber sie weiß, wie sie es für sich nutzt. Rund 25.000 Unterstützer habe sich mit Summen zwischen einem und 10.000 Dollar beteiligt. Hatten Albumdownloads oder exklusive CD-Versionen reserviert, hatten Hausparties mit der Band gekauft oder das Buch mit den musikinspirierten Kunstwerken. Die Künstlerin legt Wert darauf, dass diese Summen keine „Spenden“ sind – für jeden Dollar wird eine Gegenleistung geboten. Für 1000 Dollar gab es ein Donut-Essen backstage mit der Band, für 10.000 Dollar ein Dinner mit Amanda Palmer, in dessen Verlauf sie ein Porträt des Unterstützers anfertigte. Am beliebtesten war die CD-Edition für 25 Dollar.

Amanda Palmer ist ein Beispiel dafür, wie heute im Musikgeschäft ein selbstbestimmter Erfolg möglich ist – ohne Plattenkonzern im Rücken. Palmer hatte sich bei dem Majorlabel Roadrunner Records ausgebeutet und in ihren künstlerischen Entscheidungen eingeengt gefühlt; nach langem Rechtsstreit wurde der Vertrag 2010 aufgelöst. Seitdem ist Amanda Palmer frei, wie sie selbst sagt.

Zwei Punkte sind es wohl, die ihren Erfolg ausmachen. Einer ist Offenheit, man könnte auch Transparenz sagen. Der andere ist: Liebe.

Mund auf! Ein Amanda-Palmer-Porträt von Megan Howland.
Mund auf! Ein Amanda-Palmer-Porträt von Megan Howland.

© promo

Das klingt pathetisch, ist aber mit allem Beiklang von Irrationalität und Bauchgefühl genau das richtige Wort. „Ich habe klein angefangen, meine Fans waren meine Freunde“, sagt Amanda Palmer beim Gespräch in Berlin. „Und dann bin ich sehr langsam gewachsen.“ Dabei hat sie nie den Kontakt zu ihren Fans verloren, hat unzählige Konzerte gespielt und Performances gegeben, Mails beantwortet und Tweets abgesetzt. Fast eine halbe Million Menschen folgen ihr auf Twitter, zudem bloggt Palmer regelmäßig und ausführlich über ihre Arbeit und ihr Leben (sie ist mit dem Roman- und Comicautor Neil Gaiman verheiratet). Inzwischen beschäftigt die Künstlerin drei Mitarbeiter, die ihr bei der Online-Kommunikation helfen. „Man kann Leute nicht austricksen“, sagt Amanda Palmer, das ist ihr wichtig. Als die Million erreicht war bei der Sammelaktion, habe ihr ein Freund eine SMS geschrieben: „Wenn du die Leute genug liebst, geben sie dir alles.“ Darum gehe es: authentisch zu sein. Und darum, den Kontakt nicht zu verlieren.

Straßenkünstlerin, Stripperin, Domina

„Viele traditionelle Rockstars haben die Optionen nicht“, sagt Palmer. „ Sie haben all diese Leute, aber sie sind nicht mit ihnen verbunden. Es muss ein Scheißgefühl sein, vor 5000 Menschen zu stehen, die alle sagen: Ich liebe dich. Und nach dem Konzert geht man in die Garderobe – und ist allein.“ Ihr dagegen ging es immer um Verbundenheit. Als Performerin will sie dem Publikum nicht einfach etwas aufzwingen, sie muss sich auf die Menschen einstellen. Das hat sie immer getan, auf der Theaterbühne, als Straßenkünstlerin, als Stripperin und als Domina, auch einer ihrer früheren Nebenjobs, wie sie im Gespräch verrät. „Ich habe angefangen, Musik zu machen, weil ich Freunde haben wollte, weil ich mit coolen Leuten rumhängen wollte. Was nützt es dir, berühmt zu sein, wenn du einsam bist?“

Amanda Palmer ist beliebt – und reich. Was macht sie mit den 1,2 Millionen Kickstarter-Dollar? Drei neue Alben? Von wegen. Stichwort Transparenz: Auf ihrem Blog schlüsselt die Künstlerin auf, was sie mit dem Geld machen wird. Die vielen Gimmicks für die Unterstützer sind bewusst aufwendig und teuer. Band und Techniker müssen bezahlt werden, Anwälte und Manager ebenso, Musikvideos müssen gedreht werden. Das schöne sei, sagt Palmer: Sie erreicht ihre Fans direkt. Ohne die Labelmaschine. Sie bestimmt selbst, wie viel Geld sie wofür ausgibt. Sie macht ihre Geschäfte selbst, sie hat die volle Kontrolle. Und: Sie hat eine Tür geöffnet. In dem Video, in dem Palmer ihre Fans um Unterstützung bittet, hält sie ein Schild hoch. Darauf steht der Satz: „This is the future of music.“

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