zum Hauptinhalt

Kultur: American Pie

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen über ein leeres und schweres Wort Was meint Madonna eigentlich genau, wenn sie „American Life“ sagt? Vor allem, was ist „American“ an diesem Leben, das sie bilanziert, außer dass die, die es gelebt hat, USBürgerin ist?

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen über

ein leeres und schweres Wort

Was meint Madonna eigentlich genau, wenn sie „American Life“ sagt? Vor allem, was ist „American“ an diesem Leben, das sie bilanziert, außer dass die, die es gelebt hat, USBürgerin ist? Man könnte es ein typisches Künstlerleben nennen. Oder ein typisches Popstarleben. Aber was ist so besonders amerikanisch daran?

Vor ein paar Monaten hatte ich dieselbe Frage an Eminem, als der in seinem eindrucksvollen Album „White America“ seine an Wendungen und Wundern reiche Karriere in dialektische Beziehung zu „America“ setzte. Dabei ist für Eminem das Amerikanische an Amerika der Konformismus, die Millionen gleichartiger Motherfucker mit identischen Ansichten und Werten, für Madonna hingegen das zweifelhafte Paradies unendlicher, aber in letzter Instanz unbefriedigender Wahlmöglichkeiten. Am Ende sucht sie etwas Wesentlicheres und findet es im Familienleben. Das ist natürlich auch typisch amerikanisch, dass das Gegenteil von Amerika auch immer Amerika ist.

Wer erinnert sich noch an den Hit „Monster“ der deutsch-kanadisch-US-amerikanischen Band Steppenwolf? In der Albumfassung wird ein 15-minütiger manichäischer Gigantenkampf zwischen Demokratie und Rassismus, Gerechtigkeit und Kapitalismus, freier Liebe und Völkermord aufgebaut, der mit der weinerlichen Klage endet: „America where are you now, don’t you care about your sons and daughters?“ Interessant, dass auch hier auf beiden Seiten der Barrikade Amerika steht. Unvergesslich auch die Anarchopunkband aus Brooklyn, die mir in den Achtzigern verwundert erzählte, dass sie bei europäischen Linken mit ihren USFlaggen-Aufnähern als Nationalisten aneckten: Sich auf „Amerika“ und die Flagge beziehen, hieße für sie nur, „unsere Verbundenheit mit der Arbeiterklasse auszudrücken.“ Dass die bekanntlich kein Vaterland hat, konnte sie nicht irritieren. Amerika, und da hatten sie Recht, sei nicht der Name einer Nation.

Nein, Amerika ist eine Pathosformel, und deren Inhalt ist in der Popmusik seit dem Ende des Vietnamkrieges leer. Man kann alles damit meinen, wichtig ist nur die Funktion der Formel: den gewaltigen, Horizonte füllenden, selbstaufblähenden Hintergrund einer begeisternden, narzisstischen Narration zu liefern. Ein Amerika, über das sich der Star ausbreitet, in das er sich ergießt. Oder aber: das falsche und dumpfe Kollektiv von dem sich das coole Pop-Ego gerade abhebt, absolut unterscheidet – wie Eminem. Doch der und Madonna benutzen beide Bedeutungen oft im selben Satz. „American Pie“ – man kann das Video als Feier der Multikultur ebenso lesen wie als vergeblich aufzählenden Konkretionsversuch von etwas absolut Unkonkreten.

Als Iggy Pop sich vor einiger Zeit zum „American Caesar“ erklärte, meinte er nicht etwa nur, dass das US-Imperium nach dem Vorbild des alten Roms auch einen Cäsar brauche, zu dem er freilich gut geeignet wäre. Die Konjunktur der Vergleiche zwischen den Imperien ist jünger und schwillt erst seit George Dubya Bush und der neuen Präventiv- und Erstschlagsdoktrin. Iggy kommentierte vielmehr, was die Bezeichnung „American“ aus jeder Sache, insbesondere aber aus Personen macht: Sie bläst sie auf bis zur Cäsarengröße, ohne sie auf etwas Konkretes zu verpflichten. Auffällig ist ja, dass Amerika immer dann auftaucht, wenn es autobiografisch wird. Es scheint mit Identifikation zu tun zu haben, aber einer Form von Identifikation, die keineswegs einen rein affirmativen Charakter haben muss. Sie ermöglicht, was andere Adjektive verweigern, nämlich durch eine Festlegung noch ambivalenter und schillernder zu werden.

Problematisch und besonders reizvoll wird dieses Spiel mit dem Namen des Kontinents, seitdem dieser Name wieder zu einem politisch historischen Kampfbegriff geworden ist. Dabei profitieren beide Seiten in unguter Weise voneinander. Die US-Propaganda von der Pathosformel der Pop-Kultur, der Pop-Gebrauch von der neuen politischen Brisanz. Dabei ist beiden Seiten eigen, mit „Amerika“ eine Metaphysik zu verbinden, die sich mit Händen und Füßen gegen den Schritt vom Proto-Politischen zum Politischen sperrt, zum Benennen dessen, was heute in einem konkreten Kontext amerikanisch genannt und diskutiert werden kann. Vgl. auch Anti-Amerikanismus.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false