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Kultur: Amerika, du hast es besser

Der transatlantische Blick auf Frankreichs Krawalle

Die Genugtuung ist nicht zu überlesen. Die Nation, die mit dem Finger auf die USA zeigte, dessen falsche Ideologie, das bemitleidenswerte Kulturverständis, steht selbst am Pranger. Integration à la française sei gescheitert, ja die ganze Staatsdoktrin, das Sozialmodell – so verkünden es Kolumnisten der US-Blätter. In Amerika funktioniere der „melting pot“, Einwanderer hätten eine Chance und nutzten sie. Doch hier habe man auch nicht solche Flausen im Kopf, der Sozialstaat könne das besser regeln als der Markt.

Anne Applebaum erinnert in der „Washington Post“ an die hämischen Stimmen zur späten Hurrikanhilfe der Bush- Regierung. Die „Le Monde“-Karikatur – ein fassungsloser Präsident vor dem Fernseher: „Was ist das für ein Land? Ist es weit weg? Wir müssen unbedingt etwas tun!“ – müsse man wieder drucken, nur Bush durch Chirac ersetzen. Der Hauptunterschied sei: Bush handelte mit zwei Tagen Verspätung, Chirac sei noch nach elf Tagen ratlos und untätig.

Über all dem Stolz auf „Liberté, Egalité, Fraternité“, schreibt Eugene Robinson im gleichen Blatt, habe Frankreich die „diversité“ ignoriert, habe sich geweigert, religiöse Unterschiede und kulturelle Spannungen ernst zu nehmen. Sie wurden per Staatsdoktrin wegdefiniert: strikte Trennung von Staat und Kirche, Religion sei Privatsache, also ohne Belang im öffentlichen Leben. Wer Französisch spreche und die Dogmen akzeptiere, dürfe mit gnädiger Aufnahme in die Kulturnation rechnen. „Aber sie haben keine Antwort für die Muslimfamilien, die trotz Kopftuchverbot weiter wollen, dass ihre Töchter Kopftuch tragen.“ Das Modell Frankreich sei gescheitert, das Land müsse seinen multikulturellen Charakter anerkennen und wie Amerika das Zusammenleben verschiedener Rassen, Religionen, Kulturen und Sprachen zum allgemeinen Wohl nutzen. Multikulti sei keine Harmonieveranstaltung, sondern mühsam und spannungsgeladen. Und im Grunde wie die Demokratie: das schlechteste Konzept, abgesehen von allen anderen.

Amerikas Kulturhegemonie zeige sich noch im Einfluss seiner Rebellen auf den Antiamerikanismus in aller Welt, meint David Brooks in der „New York Times“. In Frankreich reiche es nicht einmal zu einer französischen Gegenkultur der Vorstadtrevoluzzer. Den „Gangsta-Rap“ borgten diese sich aus den USA.

Die beste Solidarität sei Teilhabe am ökonomischen Erfolg, so das „Wall Street Journal“. Seit 1978 habe sich der Immigrantenanteil in den USA von 6 auf 12 Prozent verdoppelt, die Arbeitslosenrate aber sei auf 5 Prozent gesunken. Das Einkommen von Einwandererfamilien wachse jährlich um 10000 Dollar, nach wenigen Jahren wohnt die Mehrheit in eigenen vier Wänden. Von zwei Millionen Muslimen hätten 60 Prozent studiert, ein Drittel davon verfüge über ein Jahreseinkommen von mehr als 75000 Dollar. Die Gesellschaft sei durchlässig, nur 21 Prozent heirateten in der eigenen Gruppe. Dagegen die Bilanz des französischen Sozialsystems: doppelt so viele Arbeitslose, kaum Chancen für Zuwanderer, sozialer Aufstieg als Ausnahme. Das amerikanische Fazit: Ihr predigt Solidarität, wir leben sie.

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