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Kultur: Amerikanische Seele

Soziale Landschaft: der amerikanische Fotograf Alec Soth in der Berliner Galerie Wohnmaschine

Auf einer Länge von annähernd 4000 Kilometern durchquert der Mississippi die USA in nordsüdlicher Richtung: von Minnesota nahe der kanadischen Grenze bis zum Golf von Mexiko. Alec Soth ist an dem Fluss geboren, in Minneapolis. Und bis heute ist er nicht davon losgekommen. Nicht nur, dass der Fotograf nach wie vor in der Stadt lebt und arbeitet, längst hat er den Mississippi auch zum Thema seiner fotografischen Recherchen gemacht. „Sleeping by the Mississippi“ nennt Soth das fotografische Extrakt von mehreren Reisen entlang dem Fluss. Die Werkgruppe vereint Porträts, Interieurs und Landschaften. 29 teils großformatige Aufnahmen sind jetzt in der Galerie Wohnmaschine zu sehen (Preise je nach Größe und Auflage zwischen 2200 und 5800 Euro).

Auf seinem Weg von Minneapolis südwärts hat Soth die bekannten Wahrzeichen und großen Städte ausgelassen. Stattdessen hat er versucht, mit seinen eher unscheinbaren Motiven die Atmosphäre am Fluss einzufangen. Eine wichtige Rolle spielt für ihn dabei die Farbe. Anders als bei seinem Vorbild William Eggleston sind bei Soth die Farbtöne eher gedämpft und gebrochen. Viele Motive sind im Winter bei Schnee oder frühmorgens aufgenommen worden. Diffuser Nebel umgibt etwa das Hausboot, dessen Besitzer seine Wäsche über dem Wasser aufgehängt hat. Der Friedhof am Berghang hinter der erleuchteten Tankstelle liegt im Dämmerlicht. Auch sonst scheint kaum einmal die Sonne auf den Bildern von Soth. Selbst die orangefarbene Montur der Arbeiter, die mit Kettensäge und Schaufel unter einem riesigen Gedenkkreuz stehen, wirkt matt.

Der Eindruck der Gebrochenheit überträgt sich beim Betrachten der Serie unwillkürlich auf das Land und seine Bewohner. Da wäre zum Beispiel die ältere Frau auf dem Sofa mit der Betonfrisur, die das Bild eines Engels in Händen hält, oder die junge Schwarze aus Memphis im knappen Zweiteiler auf einem Hotelbett, die wegen ihrer Lage ein wenig an Goyas „Maja“ erinnert. Der christliche Glaube scheint ein gemeinsamer Nenner unter all den Leuten zu sein, die Soth fotografiert hat: Etwa beim kleinen Mann im viel zu großen Sonntagsanzug mit dem Palmblatt oder beim weiß gewandeten „Preacher Man“ im Gefängnis. Aber auch andere schräge Persönlichkeiten reizen den Fotografen, wie ein Mann, der Modellflugzeuge sammelt, oder William Eggleston selbst, den Soth zusammengesunken vor dem E-Piano zeigt.

„Social Landscape“ hat man in Amerika dieses Sujet einmal genannt, dem Soth nun eine zeitgemäße Variante hinzufügt. Er blickt mit einer gewissen Kühle aber nicht ohne Sympathie auf Land und Leute am Fluss. Zu der scheinbaren Distanz trägt vor allem die großformatige Plattenkamera bei, mit der Soth arbeitet. Schnelle Momentaufnahmen sind mit der aufwändigen Kameratechnik nicht möglich. Sie macht aus dem Motiven – ob Land, ob Ding, ob Mensch – Arrangements. Der Fotograf muss dafür mit seinem Modell in Dialog treten und zumindest eine kurzfristige Verbindung eingehen. Das Bild ist grundsätzlich gestellt, verrät aber oft mehr als ein Schnappschuss.

Auf der diesjährigen Whitney Biennale in New York gehörten die präzisen Fotografien von dem 1969 geborenen Alec Soth zu den Entdeckungen. Im September werden die Arbeiten auf der Biennale in São Paulo ausgestellt. Es scheint so, als würde das Medium Fotografie den Ansprüchen der Kunst sehr entgegenkommen, gerade weil es eine so enge Verbindung mit der Realität hat. Galt einst der fotografische Realismus als Mangel an künstlerischem Ausdruck, hat sich heute der gegenteilige Effekt eingestellt: Bei dem Verlangen der Kunst, dem Leben näher zu kommen, erweist sich die Fotografie als eines der besten Mittel. Intimität im Zugriff bei gleichzeitiger Feinheit der fotografischen Form, das ist es, womit Soth die Möglichkeiten des Mediums virtuos auskostet.

Galerie Wohnmaschine, Tucholskystraße 35, bis 14. August; Dienstag bis Sonnabend 11–18 Uhr. Fotos von Alec Soth sind auch unter www.alecsoth.com zu sehen.

Ronald Berg

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