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Kultur: Amüsieren Sie sich - jetzt!

Einmal so richtig das innere Rampenschwein rauslassen, sich ranschmeißen, bis die Schwarte kracht, dem Publikum ganz ungeniert die eigenen Eitelkeiten auftischen, eine nette kleine Lustspielsauerei anrichten und man selbst mittenmang, ein feister Appetithappen, umringt von lauter subalternen Sättigungsbeilagen: Davon, so geht die Sage unter den professionellen Naserümpfern, träumt er insgeheim, der gemeine Homo ludens.Ausgerechnet Kritiker!

Einmal so richtig das innere Rampenschwein rauslassen, sich ranschmeißen, bis die Schwarte kracht, dem Publikum ganz ungeniert die eigenen Eitelkeiten auftischen, eine nette kleine Lustspielsauerei anrichten und man selbst mittenmang, ein feister Appetithappen, umringt von lauter subalternen Sättigungsbeilagen: Davon, so geht die Sage unter den professionellen Naserümpfern, träumt er insgeheim, der gemeine Homo ludens.

Ausgerechnet Kritiker! brüllt Maccario, der arbeitslose Dichter aus Carlo Goldonis Welt der Zwangskomödianten und Stegreiftragöden - diese gedungenen Schreiberlinge, was wissen die schon! Dass eine Inszenierung, die zwei Wochen vor der Premiere von ihrem Regisseur verlassen wird, zum Scheitern verurteilt ist, na klar! Man sieht ja schon die Schlagzeilen vor sich, "Das Inferno von Smyrna". Und überhaupt, was soll das ganze Theater, wenn das Publikum versagt, also: "Amüsieren Sie sich - ab jetzt!"

Lachen auf Befehl, Erfolg um jeden Preis, das ist das Gebot der Stunde. Nicht nur in Goldonis venezianischer Kulturbetriebssatire, die von den Revierkämpfen und Prostitutionszwängen einer zur Selbstvermarktung genötigten Künstlerschar erzählt. Sondern auch an Volker Hesses Maxim Gorki Theater, das nach einer bislang eher enttäuschenden Spielzeit äußerst profilierungsbedürftig dasteht. Im November erwies sich Lavinia Freys Inszenierung von Vladimir Sorokins "Dostojewskij Trip" kurz vor der Premiere als künstlerischer Fehlschlag und musste vom Spielplan gestrichen werden.

Verstellungskrieger

Nun hat Jo Siska, der Regisseur des "Impresario von Smyrna", in der Endprobenzeit die Segel gestreckt und es seinem Ensemble (mit Unterstützung von Uwe Eric Laufenberg) überlassen, die Flucht nach vorn anzutreten. Eine verbissene, zähneknirschende, zur tapferen Bajazzo-Grimasse hingebogene Der-Lappen-muss-hochgehen-Mentalität prägt demzufolge diese Aufführung.

Und das ist gar nicht so übel, denn genau darum geht es in Goldonis Stück: das Theater als kommerzgesteuerter Animierbetrieb, die Kunst herabgewürdigt zum hungerleidenden Gunstgewerbe, der Künstler ein sich schamlos zur Schau stellender Verstellungskrieger in der Subventionsverteilungsschlacht. Alle wollen nach Smyrna. Sich anpreisen bei dem reichen türkischen Sponsor Ali (Hilmar Baumann als mafiöser Menschenhändler), der sich in Venedig ein Opernhaus zusammenkauft. Sich verscherbeln lassen vom profitgeilen Grafen Lasca, den Burghart Klaußner mit schiefmäuliger Raffzahn-Visage spielt: ein panisch-narzisstischer Falsettist (Tilo Nest), drei exaltierte Möchtegern-Primadonnen (Jacqueline Macaulay, Ruth Reinecke, Ursula Werner), ein blasierter, zu eruptiver Gewalttätigkeit neigender Tenor (Thomas Bischofberger) und Maccario (Norman Schenk), der cholerische Kritiker- und Publikumsbeschimpfer. Und alle beugen, spreizen, verkrümmen sich zu diesem Zweck, dass einem vom bloßen Hinschauen das Rückgrat wehtut.

Während das Bühnenbild mit Plastikmarmorboden und Wartezimmerstühlen in ernüchternder Unscheinbarkeit verharrt (auch die Bühnenbildnerin Penelope Wehrli hat sich vorzeitig aus dem Staub gemacht), tobt sich in den Kostümen ein augenbetäubender Hang zur Indiskretion aus. All das Kunstseidene und Großgeblümte, das Üppiggerüschte und Steilgeschlitzte ist typisch für diese Aufführung, die sich hat anstecken lassen von der Gefallsucht, dem Selbstdarstellungsdrang ihrer Figuren.

Zwangslustspieler

Nicht immer lässt sich unterscheiden, ob es nun Goldonis exzentrische Zwangslustspieler sind, die ihre Haut zu Markte tragen oder Hesses sichtlich unter Erfolgsdruck stehende Schauspieler. Aber komisch ist es schon, dieses hysterische Hinterbühnengerangel um den besten Platz am Futtertrog, manchmal böse - und immer ein bisschen zu breit, zu dick, zu bunt, zu laut. Aber schließlich, sagt Carluccio, war Michelangelo ja auch kein Miniaturmaler. Und selbst ein hinkendes Argument kann noch ein wackeres Zirkuspferd abgeben. Das Maxim Gorki Theater beweist es.

Meike Matthes

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