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Esel

© Fotex

An der Krippe: Der stumme Zeuge

Er steht an seiner Krippen hier, staunt und beglaubigt das Wunder: Lob des Esels aus gegebenem Anlass.

Am Anfang war er prominenter als die Muttergottes. Auf der ersten Geburtsdarstellung der Christenheit, einem Elfenbeintäfelchen vom Anfang des 5. Jahrhunderts – heute im französischen Nevers zu besichtigen –, reckt er zusammen mit seinem Kollegen Ochs den langen Kopf aus einem Stall und betrachtet das bis zum Hals gebundene Christkind, während Maria noch unter Bildverbot stand. Erst als sie auf dem Konzil von Ephesos im Jahr 431 als „Gottesgebärerin“ anerkannt wurde, durfte auch Maria die Szene betreten. Erschöpft und unbeteiligt lag sie zunächst neben dem Christkind, doch auch als das Verhältnis zu ihrem Sohn über die Jahrhunderte immer inniger wurde: Esel (und Ochs) blieben im Zentrum des Geschehens, das gesamte Mittelalter hindurch.

In Giottos „Die Geburt unseres Herren“ (1304) streckt Maria ihren Sohn Ochs und Esel entgegen, so hoch, dass deren Schnauzen fast den goldglänzenden Heiligenschein berühren – und der Esel schaut so, als sei sein Blick besonders dazu prädestiniert, das Wunder zu beglaubigen. Und in Hieronymus Boschs Gemälde „Geburt Christi“ steht der Esel direkt zwischen den staunenden Eltern, schiebt seine neugierige Nase an den faltenwerfenden Gewändern hindurch nach vorn, so dass sein schnaubender Atem den nackten Bauch des Heilands kitzeln dürfte.

Erst im Barock, als die Darstellungen noch familiärer wurden, musste der Esel aus dem heiligen Wohnzimmer trotten. Da war es freilich längst zu spät. Ochs und Esel sind so sehr mit der Geburtsszene verbunden, dass sie aus keinem volkstümlichen Krippenspiel wegzudenken sind (auf dem diesjährigen Weihnachtsmarkt am Gendarmenmarkt war der geschnitzte Esel in Originalgröße eine Attraktion).

Nur: Was haben die Tiere da eigentlich verloren? In den Weihnachtsgeschichten der vier Evangelien kommen sie nicht vor. Dafür aber bei Jesaja (1,3), wo es heißt: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn. Israel aber erkennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht.“ Es ist die Stelle, die für die Anwesenheit der beiden Tiere verantwortlich sein soll und unter Theologen zu üppigen Interpretationen geführt hat. Für die einen ist das Volk Israel – da ohne Verstand – der Esel, während der Ochse die Heiden vertritt. Nach Ansicht des Kirchenvaters Augustinus ist es umgekehrt: Der Ochse steht für das jüdische Volk, weil es angeblich unter dem Joch des Gesetzes lebt, der Esel für die Unwissenheit der Heiden. Beide aber – obwohl unwissend – erkennen als potenzielle Christen an der Krippe instinktiv ihren Herrn.

Man kann die Stelle freilich auch wörtlich nehmen: Ochs und Esel sehen etwas, wo der Mensch nichts versteht, weil sie spirituell begabter sind! Dafür spricht zumindest, dass der Esel, auch wenn er in den Weihnachtsgeschichten nicht vorkommt, eins der Lieblingstiere der Bibel ist. Einige Male wird er zwar als Symbol ungehemmter Geschlechtslust gedeutet (Ezechiel 23, 20), aber meistens ist er ein Zeichen des Heils: Jesus reitet auf einer Eselin in die Stadt Jerusalem ein. 159-mal wird der Esel insgesamt lobend erwähnt, nicht nur als Träger von Mensch und Gut, sondern eben auch von Wissen.

So erkennt im 4. Buch Mose ausgerechnet eine Eselin den Willen Gottes: „Und die Eselin sah den Engel des Herrn auf dem Wege stehen mit einem bloßen Schwert in seiner Hand. Und die Eselin wich vom Weg ab und ging auf dem Felde; Bileam aber schlug sie, um sie wieder auf den Weg zu bringen.“ Dreimal wiederholt sich die Prozedur. Die Eselin hält an, weil sie den Engel Gottes sieht und wird dafür dreimal vom nichtsahnenden Bileam geschlagen – bis der Herr schließlich ein Einsehen hat und der Eselin den Mund „auftut“.

„Was hab ich getan, dass du mich nun dreimal geschlagen hast?“, fragt die Eselin. Weiter: „Bin ich nicht deine Eselin, auf der du geritten bist von jeher bis zu diesem Tag? War es je meine Art, es so mit dir zu treiben?“ Da muss der verdutzte Bileam zugeben: „Nein.“ Erst in diesem Moment öffnet Gott ihm die Augen, und sofort fällt Bileam „nieder auf sein Angesicht“. Nicht nur vor dem Engel Gottes mit dem blitzenden Schwert, sondern wohl auch reumütig vor der Hellsichtigkeit seines Esels.

Die sprichwörtliche Sturheit des Esels ist in Wahrheit seine Weisheit. Von der will der hochmütige Mensch aber nur bedingt etwas wissen. Er benutzt ihn zwar gerne als Lasttier, überzieht ihn aber trotzdem seit Jahrtausenden mit Häme, verteufelt ihn oder macht sich über ihn lustig. Im alten Ägypten wurde er mit dem Mörder des Osiris in Verbindung gebracht, und im alten Griechenland ritt auf ihm der Gott Dionysos, bekanntlich der Meister der Ausschweifung. In der romanischen Plastik wählte man Esel und Bock, wenn man Trägheit und Unzucht ausdrücken wollte, dementsprechend gab es im Mittelalter den Rechtsbrauch, dass verurteilte Ehebrecher gezwungen waren, öffentlich auf einem Esel zu reiten.

Freilich: Der Esel macht es dem Spottenden leicht. Verglichen mit dem Pferd, gibt er keine gute oder gar stattliche Figur ab. Sein graubraunes Fell schimmert nicht edel und majestätisch, sondern verwandelt sich der steinigen Landschaft seiner ursprünglichen nordafrikanischen Heimat an. Als hätte der Esel es darauf abgesehen, nicht wahrgenommen zu werden. Sein Schrei ist kläglich und atemlos, seine langen Ohren ragen lachhaft in die Luft und drehen sich ulkig, als hätte ein Comiczeichner sie erfunden.

Statt elegant zu tänzeln, steht er meist nur herum, statt wild auszuschlagen oder theatralisch zu scheuen, wendet er sich ab oder tut einfach gar nichts. Kurz: Der Esel ist schwer zu beeindrucken, beeindruckt selbst aber auch nicht, und das nimmt ihm der auf Angeberei gepolte Mensch natürlich übel. Nicht verzeihen kann er dem Esel außerdem, dass er sich nicht wehrt, wenn er angegriffen wird. Der Esel hält, wenn man ihn schlägt, mit gleichsam erleuchtetem, neutestamentarischem Gleichmut noch die andere Flanke hin.

„Der Esel reagiert nur mit Verweigerung“, sagt Dieter Moor, neuerdings Moderator von „Titel, Thesen, Temperamente“ und nebenbei Biobauer im Brandenburgischen, der seine Liebe zum Esel schon vor Jahren entdeckte. „Der Esel ist ein Philosoph. Wenn er nicht weiter weiß, bleibt er einfach stehen. Dann kann man regelrecht sehen, wie es im Hirn des Esels arbeitet, wie er langsam zu einer Entscheidung kommt, und dann geht er schließlich weiter. Für einen Esel braucht man Geduld. Mit Gewalt erreicht man gar nichts.“ Der Esel verlangt von seinem Gegenüber Reife und Achtung, kitzelt aber wegen seiner genügsamen Duldsamkeit offenbar genau das Gegenteil hervor, des Menschen schlimmste Tendenzen. Man reibt sich verwundert die Augen: Mit einem einzigen Internetklick kann man mengenweise Eselshospize für misshandelte Tiere in ganz Europa aufrufen.

Der Esel eignet sich also nicht nur für Häme, wegen seines Charakters ist er auch zum perfekten Opfer prädestiniert. Oder zum Märtyrer. Einer der bewegendsten Filme des französischen Regisseurs Robert Bresson heißt „Zum Beispiel Balthasar“ (1966), darin wird die Leidensgeschichte des Esels Balthasar erzählt. Als junges Tier wird er von den Kindern Marie und Jacques (Maria und Josef!) adoptiert und katholisch getauft. Für eine kurze Ewigkeit bilden sie eine glückliche Dreifaltigkeit, doch dann reißt ein Ehrkonflikt zwischen den Eltern auch das kindliche Paar auseinander, und während sich Marie dem brutalen Schläger Gerard hingibt, beginnt das traurige Passionsdrama des Esels.

Balthasar wird von einem Besitzer zum nächsten gereicht, trägt geduldig Lasten, zieht Mühlsteine, wird getreten, geschlagen und gefoltert, indem sein Schwanz angezündet wird. Jedes Mal, wenn man glaubt, schlimmer kann es nicht mehr werden, taucht ein neuer, einfallsreich sadistischer Halter am düsteren Horizont auf. Gnade zeigt Bresson nur am Ende, als Balthasar während einer Schmuggelaktion in den Bergen zurückgelassen wird und den Moment der Freiheit nutzt, um sich – inmitten einer Schafherde – niederzulegen und in Ruhe zu sterben.

Dass Robert Bresson den Esel zu einem Heiligen macht, deutet sich schon vorher an, in den geheimnisvollsten Momenten dieses geheimnisvoll einfachen Films, die sich nicht zufällig in einem Stall abspielen. Obwohl Balthasar längst woanders Dienst tut, findet Marie den Weg zu ihm und tritt aus dem Halbdunkel an ihn heran. Man sieht ihre Hand in Großaufnahme, sein Fell, das kurz zuckende Ohr. Die Intensität der Szene liegt vor allem darin, dass mit der Zuneigung Maries auch der Schmerz des Getrenntseins offenbar wird.

An keiner Stelle wird Balthasar von Bresson vermenschlicht. Balthasar ist und bleibt ein Esel, das besondere Tier mit dem wissenden Blick, der alte geduldige Zeuge, der den ratsuchenden Menschen nur wortlos erklären kann, wie sich die Welt immer wieder vollzieht.

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