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Kultur: An der krummen Pranke

Wunderland Stadt: Amelie von Wulffens Auftritt bei der Berlin-Biennale

Die Künstlerin steht am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Behauptet jedenfalls die Galerieassistentin. Für Amelie von Wulffen war der Tag bislang sehr anstrengend: Ein Arte-Kamerateam begleitete sie stundenlang, sie musste ihren Flug nach New York organisieren, weil dort ihre Einzelausstellung eröffnet wird und natürlich hatte sie um und an der Berlin-Biennale in Mitte zu tun, wo seit gestern Bilder von ihr zu sehen sind. Jetzt kommt auch noch ein Sammler in ihre Kreuzberger Galerie Ascan Crone, um sich einige Arbeiten anzuschauen. Der wachsende Erfolg hält Amelie von Wulffen auf Trapp, doch nahe dem Nervenzusammenbruch scheint die zierliche 37-Jährige eigentlich nicht. Wie sie auf dem Boden der Galerie ihre Bilder aus einer riesigen Mappe zieht, um sie dem Sammler zu präsentieren, macht sie den Eindruck, als wüsste sie ziemlich genau, was sie will, wie sie es bekommt und wie sich Unangenehmes vermeiden lässt.

Beispielsweise genauere Nachfragen zu ihrem Privatleben, die sie als indiskret zurückweist: „Die Kunstwelt ist mein Arbeitsplatz.“ Doch in ihren Werken sind Erinnerungsfragmente an das großbürgerliche Elternhaus, die Kindheit und Jugend allgegenwärtig. Von Bildern, mit denen sie letztes Jahr auf der Biennale in Venedig vertreten war, schaut ihr Jugendschwarm John Travolta herab. Eine der Arbeiten auf der Berlin-Biennale zeigt Bruchteile des elterlichen Empfangzimmers mit Jagdtrophäen an den Wänden.

Aus konservativem Haus, war die Popkultur für die Jugendliche, die schon früh Künstlerin werden wollte, willkommener Gegenpol. Ihre Familie unterstützte ihre Neigung und so lernte sie auf der Kunstakademie München bei Daniel Spoerri und Olaf Metzel. Von Wulffen bastelte am liebsten an Animationsfilmen. Die Kulissen der Filme bearbeitete sie als eigenständige Skulpturen weiter, fotografierte diese wiederum und collagierte die Fotos. So beherrschte sie schon bald viele künstlerische Techniken und mischt auch heute meistens mehrere Ausdrucksmittel in einem Bild. Besonders in den neueren Arbeiten spielt sie Fotografie und Malerei gegeneinander aus, indem sie malerisch fotografiert und fotografisch malt.

Nach dem Abschluss suchte die Absolventin nach neuen Arbeitsformen und fand schließlich in Berlin Mitstreiter, mit denen sie 1997 den Animationsfilm „Krumme Pranke“ drehte: „Diese Leute und die Diskussionen, die sie führten, haben mich damals sehr interessiert. Ich bin mit meiner Arbeit alleine im Atelier etwas ins Stocken geraten. Ich hatte noch keine Galerie und so war die gemeinsame Arbeit an einem Projekt extrem befreiend“, erinnert sie sich. „Krumme Pranke“ thematisiert Stadt-Bebauung, Filz und Spekulantentum: Im Jahr 2005 deckt Fernsehkommissar Derrick die Bauskandale der Neunzigerjahre am Potsdamer Platz auf.

Auch die Papierbilder, die auf der Berlin-Biennale zu sehen sind, rücken die Stadt in den Mittelpunkt. Und wieder vereint Amelie von Wulffen mehrere gestalterische Mittel in einem Bild: Aufgeklebte Fotos zeigen architektonische Details, die Strukturen wachsen in Malereien und Zeichnungen weiter und verlieren sich in seltenen Perspektiven. Dadurch entsteht fragmentierter, urbaner Raum, der den Betrachter verwirrt und bezaubert. Nicht mehr den thesenhaft politischen Blick auf die Stadt probt die Künstlerin hier, sondern eine intuitive Schau. Auch dieses Vermögen ist Erbe der Kindheit: Von Wulffens Großeltern schrieben Gedichte.

Ein Bild montiert ungestüm zwei markante Berliner Gebäude als Baumhaus unter einer fantastisch leuchtenden Corona. Mythos und detailgetreuer Realismus, die sich wundersam vereinigen. „Ich will fiktive Räume konstruieren. Ich habe Bilder im Kopf, mit denen ich starke Emotionen verbinde und die aus realen Dingen gespeist sind. Ich möchte diese traumhaften Bilder dann auch tatsächlich vor mir sehen.“ Ein Wunderland, eine Welt hinter den Spiegeln, die mit aktuellen städtebaulichen Problemen nichts zu tun hat. „Es muss ja nicht jedes Thema überall stattfinden“, meint Amelie von Wulffen.

Fragt sich trotzdem, ob man in den magischen Dimensionen dieser Bilder leben möchte. Menschen sind hier kaum zu sehen. Nur der Kanzler schaut mit einigen Kulturvertretern repräsentativ und ein wenig belämmert aus seinem dekonstruierten Kanzleramt. In anderen Werken stellt die Künstlerin durchaus Porträts und soziale Situationen dar. Eine Serie von Bleistiftzeichnungen zeigt Nachtleben-Augenblicke: die Feiernden stehen rum und „warten auf die Goldenen Zitronen“, so der Titel einer Skizze. Auch diesen Zeichnungen lagen eigene Fotos zu Grunde. In ihrer Wohnung im Prenzlauer Berg, in der sich ihr Atelier befindet, liegen etliche Aufnahmen auf dem Boden verstreut. Sie betrachtet sie, sortiert, schmeißt weg, klebt sie auf und malt drum herum. Plötzlich harmonieren zwei Farben miteinander, bestimmte Größenverhältnisse ergeben eine Dynamik. So gedeiht ihr wildromantisches Œuvre, wächst zu einer eigenen Bildsprache, die zunehmend öffentliches Interesse weckt. Auch der Sammler, der heute in die Galerie gekommen ist, hat ein Werk gekauft.

Amelie von Wulffen muss nun los – zur Eröffnungsparty der Berliner Kunst-Biennale, die den anstrengenden Tag beendet. Stress zwar, aber von der guten Sorte. Müde wirkt sie – müde und glücklich.

Amelie von Wulffens Bilder sind im Rahmen der Berlin-Biennale in den Kunst-Werken zu sehen, Auguststr. 69, Mitte. „Krumme Pranke“ läuft heute um 16 Uhr im Arsenal im Filmhaus, Potsdamer Str. 2. Tiergarten.

Daniel Völzke

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