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Kultur: An die Genossen Nachkommen

"Majakowskis Tod - Totentanz": Dieter Schnebels Oper über den charismatischen Dichter der Revolution macht Achim Freyer in der Leipziger Uraufführung zu einem Drama der GegenwartVON SYBILL MAHLKEWladimir Majakowski sagt auf der Bühne der Oper Leipzig, er habe in seinem ganzen Leben Sachen gemacht, die niemandem gefielen und gefallen.Es habe keine gute Beziehung zum Publikum gegeben.

"Majakowskis Tod - Totentanz": Dieter Schnebels Oper über den charismatischen Dichter der Revolution macht Achim Freyer in der Leipziger Uraufführung zu einem Drama der GegenwartVON SYBILL MAHLKEWladimir Majakowski sagt auf der Bühne der Oper Leipzig, er habe in seinem ganzen Leben Sachen gemacht, die niemandem gefielen und gefallen.Es habe keine gute Beziehung zum Publikum gegeben.Er stehe nicht in Konkurrenz mit Dichtern."Man versteht mich nicht mehr", aber: "Ich will leben." "Auch den Tod setzte er wie einen verblüffenden Reim, der sich nicht reimen wollte", schreibt sein Übersetzer Karl Dedecius über den Dichter Majakowski.In seinem Opernerstling "Majakowskis Tod - Totentanz" geht Dieter Schnebel dem Rätsel dieses Selbstmordes nach."Vorspiel", "Letzter Kampf", "Abschied", "Vermächtnis und Tod" heißen die Kapitel vor dem Totentanz.Doch das Ganze handelt davon, daß wir alle mitten im Leben mit dem Tod umfangen sind.Der 1930 geborene Komponist, der sich sein Libretto nach Texten Majakowskis selbst zusammengestellt hat, ist Theologe, entdeckt in den fünfziger Jahren Bloch und Marx, bevor er als Pfarrer amtiert.In den siebziger Jahren wird er Professor für experimentelle Musik an der Hochschule der Künste Berlin.Eine Oper zu schreiben, ist ihm ein frühes Ziel.Und immer schon sollte es Majakowski sein, "der große Sänger der Revolution", nachdem Schnebel 1952 ein paar Gedichte in Übersetzungen Hugo Hupperts gefunden hatte.Das Libretto mischt sie mit solchen von Dedecius.Schnebel beginnt die Arbeit an seinem Werk mit dem Freitod des Protagonisten (1930), eigentlich als letzter Akt gedacht.Und dabei bleibt es in der Sache Majakowski, weil der Gedanke eines großen verallgemeinernden Nachspiels aufkommt, in das sich der individuelle Tod einreiht.Schnebel sieht in Majakowski eine große Figur unseres Jahrhunderts, und die Problematik seines Scheiterns beherrscht das Werk.Achim Freyer gibt den Gedanken Farbe, indem er sie auf seine Weise in emotionale Symbolik umsetzt.Das Vorspiel im Telegrammstil von der Geburt des russischen Knaben Majakowski 1893, seine Jugend, Begeisterung für den Klassenkampf, lyrische Versuche, Gefängnis, Reisen, Begegnung mit Picasso und Strawinsky bis zu Stalinismus, Intrigen und letzter Liebe, eine Art von Bildungslektüre, macht Freyer zu einem kleinen Welttheater.Während die Musik mit Combo, Tonschwankungen, Maschinengeräusch und Donnerblechen agiert, zeigt er als stehende Bilder jeweils in einem schmalen Spalt des Vorhangs die Stationen: das Kind mit dem Ball, den Jüngling als marxistischen Demonstranten, den Mann, der die rote Fahne trägt.Was folgt, sind eigentlich Lesungen des Dichters Majakowski, begleitet von Klangfragmenten, vor einem Publikum, das ihn entweder bejubelt oder beschimpft.Große Oper, großes Orchester, getönt durch eine Art Banda, Klangverfremdung.Eine wichtige Rolle spielt die vom Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung in den Zuschauerraum lancierte Live-Elektronik, gefilterte Sprache und Gesang.Majakowski (Matteo de Monti, Robert Podlesny) und seine Geliebte Lilja Brik (Christine Hansmann/Anna Clementi) sind in Sänger/Sprecherrollen unterteilt, "im Grunde gespaltene Charaktere" (Schnebel).Die Raumkomposition läßt die Reaktionen auf die Dichterlesung, den Beifall, die Verhöhnung, den Tumult wie Rufe aus unseren Zuschauerreihen erscheinen, eine unheimliche Vereinnahmung.Demgemäß inszeniert Achim Freyer auf der Bühne mit seinem Co-Ausstatter Jakob Niedermeier ein gestaffeltes Auditorium, das synchron applaudiert und verdammt.Daß Majakowskis Verse die Massenresonanz brauchen, wird gesteigert, weil die Szene den Bänkelsänger der Revolution und seinen Doppelgänger, mit artistischem Trick verschränkt, wie vor einem Tribunal stehen läßt.Es stellt sich eine Aura von Josef K.ein, der unversehens in einen kafkaesken Prozeß gerät.Der große Auftritt mit dem berühmten Gedicht "Aus vollem Halse" nimmt mit dem Beginn "Verehrte Genossen Nachkommen!" schon die Auslöschung voraus.Schnebel hat aber außer der vokalen Öffentlichkeit, die klanglich von Nora, der letzten unglücklichen Liebe des Titelhelden, mit quasi unbeteiligten Sopranvokalisen (Isolde Siebert) überflattert wird, auch ganz innerliche Szenen eingefügt.Es sind, von "Sehnsucht" bis "Addio", Liebesduette zwischen Wladimir und Lilja von einem Komponisten, der vom zweiten "Tristan"-Akt zu künden weiß - in diesem Fall mehrsprachig, aber Wagner gleich in der nichtdialogischen, stammelnden Gesangslinie.Eingeschoben sind gesprochene Auseinandersetzungen.Liebende in seelischer Gleichstimmung und Trauer werden in Freyer-Inszenierungen gern in synchroner Bewegung der Arme charakterisiert: wie in Paminas Arie der Salzburger "Zauberflöte", so auch hier.Intendant Udo Zimmermann hat also nicht unrecht, wenn er in der stark überfüllten Pressekonferenz vor der Uraufführung die Frage ventiliert, ob aus dem Auftragswerk seines Hauses eine "Freyer-Oper" werden könnte.Der zweite Teil, "Totentanz", ist eine solche in der Tat.Das Stück ist auf der Berliner Musikbiennale 1995, wie Schnebel selbst zugibt, recht unglücklich gelandet.Jetzt haben Freyer und er es, bezogen auf den Tod des charismatischen Anarchisten, als eine szenische Vision aller Toten gerettet.Der Leichenzug reicht immerhin von der Altsteinzeit, Kriegen über Auschwitz und Aids bis zur Ökokrise und wird von vielen, vielen Zahlen gesäumt: Ein Melodram für Chor, großes Orchester, zwei Sprecher, zwei Gesangssolisten (Anna Clementi, Christian Kesten/Isolde Siebert, Dario Süß).Mit Schöpfung, Zeugung, Geburt hat der "Totentanz" auch einen wärmeren Teil, Streichermusik, Holzbläsersoli, ein Prinzip Hoffnung.Schnebel hat das Stück überarbeitet.Und Freyer hat den genialen Einfall, die vorgelesene Chronik der Toten nicht historisch oder nach dem Vorbild des Lübecker Totentanzes darzustellen, sondern gegenwartsbezogen.Auf schmaler Bahn ziehen zehn Mitglieder des Freyer-Ensembles sehr langsam und in weiten Abständen diagonal über die Bühne, und aus ihren repetierten Gesten könnte man ein Beruferaten machen, hätte Maria-Elena Amos sie nicht so phantasievoll kostümiert: den Wanderer am Stock, die Tennisspielerin, den Priester, die volkstänzelnde Älplerin, den Müllmann unseres Öffentlichen Dienstes, den Bettler, den Schüler, den gespielten Weihnachtsmann, den Kriegsveteran mit Gasmaske, den Clown, den Fußballer, den Koch, die klassische Ballerina.40 Minuten schreiten diese komödiantischen Menschen, in jeder Weise Kontrapunkt zum musikalischen Totentanz, hintereinander her mitten aus unserem Leben.Johannes Kalitzke, ein Komponistenkollege Schnebels mit Donaueschingen-Erfolgen, führt als Dirigent kundig durch die Balanceansprüche der Partitur, die Gewandhausorchester und Chor der Oper Leipzig auf sich nehmen.Eine dem Ausbruch von Jubel zunächst eher hinderliche demokratische Applausordnung schafft am Ende dennoch herzliche Aufnahme mit zustimmenden Pfiffen.Dieter Schnebels Werk, das er "Fragment" nennt, ist keine Jahrhundertoper, aber in der Inszenierung Achim Freyers doch eine Oper, die unser Jahrhundert angeht.

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