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Kultur: Anarchist in Uniform

Das Berliner Stadtmuseum entdeckt den Maler Magnus Zeller neu

Bei allem Verständnis für die derzeit grassierende schlechte Laune: Echter Weltschmerz entsteht nicht aus erhöhten Rentenbeiträgen. Unsere Groß- und Urgroßeltern waren Stärkeres gewöhnt. Der Maler Magnus Zeller (1888-1972) reagierte in seinem Werk auf die Schrecken von vier politischen Systemen. Vom Tode Kaiser Wilhelms I. bis zum Machtantritt Erich Honeckers spannt sich ein Künstlerleben, das an ideologischen Implikationen nicht eben arm war. Dass Zellers Schaffen mehr als gekonnt vorgetragene Marginalien deutscher Zeitgeschichte bietet, beweist eine mit 160 Gemälden, Aquarellen und Grafiken reich bestückte Ausstellung der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Es ist nach einer Schau im anhaltischen Halle zum 100. Geburtstag die erste umfassende Werkübersicht des Wahl-Berliners.

Für den im Harzvorland geborenen Künstler glich es der Überwindung eines Familienbanns, nicht wie stolze 16 Ahnen vor ihm protestantische Theologie, sondern ab 1908 bei Lovis Corinth Malerei zu studieren. Doch das biblische Denken saß. Szenen existentieller gesellschaftlicher Gefährdung gerieten dem kunsthistorisch Gebildeten zu Gleichnissen von allegorischer Wucht – etwa mit der für die Berliner Secessions-Ausstellung 1912 geschaffenen Kreuzigung oder den kommendes Kriegsleid ankündigenden „Apokalyptischen Reitern“.

Den Irrsinn der Front erlitt Zeller „ganz von unten in der Feuerzone und ganz von oben in der Etappe“ – so der Dichterfreund Arnold Zweig rückblickend. Er wurde als Kriegs- und Propagandazeichner an das Oberkommando Ost nach Wilna und Kowno versetzt. Hier entstand 1917/18 das Mappenwerk „Entrückung und Aufruhr“, das neben Gedichten Zweigs zwölf Lithografien Zellers enthält. Das Pamphlet zweier Anarchisten in Uniform bildet den Nukleus der Berliner Präsentation. Es begründete Zellers Ruf als Propheten des Untergangs: Er kenne kaum einen zeitgenössischen Künstler, befand 1921 der Kritiker Paul Fechter, „der einen so starken Instinkt für die sinkende Zeit hat wie er“.

In den Zwanziger Jahren treten neben Zellers Schicksalsmalerei Buchillustrationen, Porträts und biblische Historien von befremdlicher Süßlichkeit. Dies könnte den langen Abstieg zum Alterswerk einläuten, wären da nicht die unglaublichen Hellsichtigkeiten über das Wesen des Nationalsozialismus, die Zeller in der Isolation seines Caputher Atelierhauses auf die Leinwand gebannt hat. In Gemälden wie „Der totale Staat“ (1938) oder „Staatsbegräbnis“ (1944/45) fallen Geschichtsallegorie, Kritik und Endzeiterwartung in eins.

Ephraim-Palais, Poststraße 16, Di-So 10-18 Uhr. Der Katalog kostet 19,95 Euro.

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