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Schlüters Welt. Reiterstandbild des Großen Kurfürsten mit dem Schloss, Kupferstich von Johann G. Rosenberg, 1781.

© bpk/Jörg P. Anders

Andreas Schlüter im Bode-Museum: Preußens Grandezza

Schlossbaumeister Andreas Schlüter und das barocke Berlin: das Bode-Museum würdigt ein Genie, das zuletzt am Märkischen Sand scheiterte.

Niemand ist in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldtforum so oft bemüht worden wie Andreas Schlüter. Der Bildhauer und zeitweilige Schlossbaumeister wurde als Kronzeuge aufgerufen für die Schönheit und Einmaligkeit der städtebaulichen Konzeption des Schlosses, für die hohe Qualität seiner Innenräume und Fassaden, für die Notwendigkeit einer Rekonstruktion oder auch für deren Unmöglichkeit.

Schlüters Todestag jährt sich in diesem Jahr zum 300. Mal. Wann genau er 1714 in St. Petersburg gestorben ist und wo er begraben liegt, weiß man nicht. Auch sein Oeuvre als Künstler, besonders das Frühwerk in Polen und das russische Finale, lebt nicht aus Gewissheiten, sondern mit Zu- und Abschreibungen. „Er ist ein recht unbekannter Bildhauer“, erklärt Hans-Ulrich Kessler, der Kurator der Ausstellung „Schloss Bau Meister. Andreas Schlüter und das barocke Berlin“, mit feiner Ironie und dem Blick auf Schlüters Vorbilder, die Bildhauer-Architekten Michelangelo und Bernini.

Kessler, der zehn Jahre lang von der Realisierung dieser Ausstellung träumte, konnte seine Kollegen von der Skulpturensammlung überzeugen, für Schlüter nun das halbe Obergeschoss des BodeMuseums auszuräumen. Das liegt nahe in einem Haus, das seine Besucher mit der 1:1-Nachbildung des Reiterstandbilds des Großen Kurfürsten in der Kuppelhalle und den im anschließenden Durchgang aufgestellten Attikafiguren der kriegszerstörten Villa Kameke empfängt.

Schlüters museale Würdigung war überfällig: 1935 publizierte Heinz Ladendorf die noch immer verbindliche Schlüter-Monografie, 1964 fand die letzte Schlüter-Ausstellung statt – ebenfalls im Bode-Museum. Damals kannten die meisten Besucher Schlüters durch Krieg und Kulturbarbarei zerstörte Werke im Stadtraum noch aus eigener Anschauung. Die aktuelle Ausstellung stellt Schlüter in den Kontext seiner italienischen und französischen Zeitgenossen. Gezeigt werden Skulpturen wie Berninis umwerfend kunstvoll gearbeiteter „Kopf der Medusa“ aus den Kapitolinischen Museen.

Kunsthistorisch ist Schlüter ein Kontinent, der neu vermessen werden muss. Viel ist in den letzten Jahren zu Einzelaspekten geforscht worden, vor allem zur Baugeschichte des Berliner Schlosses, ebenso zur Entstehung und Rezeption des Reiterdenkmals des Großen Kurfürsten oder des Standbilds von Schlüters Gönner Kurfürst Friedrich III., der sich ab 1701 als erster preußischer König Friedrich I. nennen durfte. Beide Bildwerke – das bis zum Zweiten Weltkrieg nahe dem Schloss auf der Langen Brücke aufgestellte Reiterstandbild sowie der Nachguss des 1945 in Königsberg verschollenen Denkmals Friedrichs III./I. – bestimmen bis heute das Berliner Stadtbild, auch wenn ihre Neuplatzierung vor dem Charlottenburger Schloss die politischen Gegebenheiten der Nachkriegszeit weit eher illustriert als die Intentionen von Künstler und Auftraggeber.

"Wir lassen die Werke sprechen, statt verstaubte Akten zu wälzen", sagt der Museumschef

Ein Genie wie Schlüter fällt nicht vom Himmel. Polnische Kunstwissenschaftler rekonstruierten in den letzten Jahrzehnten Schlüters eineinhalb Schaffensjahrzehnte in Polen: in Danzig, wo er 1659 oder 1660 geboren wurde, und in Warschau als Hofbildhauer von König Jan III. Sobieski. Auch über die Projekte, die Schlüter in seinem letzten Lebensjahr am Hof Zar Peter des Großen von Russland begann, weiß man inzwischen mehr. Die Ausstellung will nun all diese losen Enden wieder zu einem Bild verknüpfen. Trotz opulenter Inszenierung, exquisiter Leihgaben und kompetenter Katalogautoren gelingt dies nur teilweise.

Welcher Sichtweisen hätte es bedurft, um dem „Phantom des Schlosses“, wie Schlüter kürzlich genannt wurde, auf die Spur zu kommen? „Wir lassen die Werke sprechen, statt verstaubte Akten zu wälzen“, beschied Bernd W. Lindemann, Direktor der Gemäldegalerie und der Skulpturensammlung, die Frage nach neuen biografischen Erkenntnissen zu Schlüters Berliner Jahren. Das umreißt unfreiwillig deutlich das Problem. Johann Gottfried Schadow, der Schlüter gegen den Zeitgeist sehr schätzte, wird derzeit mit einer Ausstellung des Stadtmuseums im Ephraim- Palais gewürdigt. Wer beide Präsentationen vergleicht, bemerkt, wie stark sozial- und kulturhistorische Aspekte den Blick auf die Kunst erfrischen können. In welchen Zirkeln hat Schlüter verkehrt und wie war es möglich, das ihm aufgebürdete Arbeitspensum als praktisch tätiger Künstler, Leiter einer großen Werkstatt, zeitweiliger Baumeister des Zeughauses, des Schlosses und anderer Prestigebauten sowie als Direktor der gerade gegründeten Akademie der Künste zu meistern? Fragen, die nur gestreift werden.

Immerhin beleuchtet die Ausstellung akribisch jenen Aufstieg Berlins aus provinziellen Niederungen zur blühenden Residenzstadt, die auch durch Schlüters Berufung zum Hofbildhauer 1694 angeschoben worden ist. Sein Wirken begann Schlüter mit einem Paukenschlag: dem bauplastischen Schmuck des von Johann Arnold Nering entworfenen Zeughauses Unter den Linden. Schlüters raumgreifende Schlusssteine – am Außenbau römische Triumphhelme, im Innenhof die Kopftrophäen besiegter Gegner – sind Meisterwerke, die in der Ausstellung durch zeitgenössische Nachzeichnungen von erlesener Qualität repräsentiert werden. Schlüters Leiden nicht aussparende Theatralik war den Zeitgenossen wohlvertraut – heute wirkt sie wie ein Frontalangriff auf unsere Seh- und Lebensgewohnheiten.

Schlüter war, so hat Helmut Börsch-Supan einmal treffend bemerkt, vor der Berufung des Malers Antoine Pesne 1710 aus Paris der einzige in Berlin ansässige Künstler mit internationaler Ausstrahlung. Sein Talent als Künstler und Organisator, seine Bereitschaft, sich auf das ihm fremde Gebiet der Architektur einzulassen, schufen für Kurfürst Friedrich III., den kleinwüchsigen Sohn des Großen Kurfürsten, erst die künstlerisch-propagandistische Bühne, die unabdingbar war, um die 1701 erlangte Königswürde auch symbolpolitisch auszufüllen.

Schlüter hat die zeitweise maßlose Förderung seines Gönners kein Glück gebracht. Der als Krönung des Schlossumbaus geplante Münzturm musste 1706 halb fertig abgerissen werden, weil der Baugrund der Spreeinsel ihn nicht zu tragen vermochte. Man wies Schlüter Planungsfehler nach, er fiel in Ungnade. Die Bauleitung übernahm fortan sein Konkurrent Eosander von Göthe, der das Schloss um mehr als das Doppelte nach Westen erweitern ließ. Der personelle Wechsel markiert einen Geschmackswandel, dem sich wohl auch Schlüter hätte fügen müssen, wäre er im Amt geblieben. Sein Ursprungsplan sah einen barocken Vierkant von römischer Grandezza vor. Das nach Eosanders Plänen fertiggestellte Schloss beeindruckte eher mit einer gewissen seriellen Gleichförmigkeit. An ihr orientiert sich der derzeitige Wiederaufbau.

Auch nach seinem Sturz blieb Schlüter Hofbildhauer und hat 1713 als letztes Berliner Werk das Modell des vergoldeten Prunksarkophages geschaffen, in dem sein Monarch die letzte Ruhe fand. Wenige Meter vom Bode-Museum entfernt, stehen in der Gruft des Domes gleich drei meisterhafte Hohenzollern-Särge aus vergoldetem Zinn nach Schlüters Entwürfen. Der sparsame Nachfolger Friedrich Wilhelm I., nicht umsonst als Soldatenkönig bekannt, hasste den Kunstsinn seines Vaters. Schlüter wurde endgültig entlassen und ging nach Russland. Es folgte Preußen, so wie wir es heute kennen.

Bode-Museum, bis 13. Juli. Der Katalog (Hirmer Verlag) kostet 29,90 Euro, der Stadtführer „Schlüter in Berlin“ 9,90 Euro.

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