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Fallensteller. Andreas Slominski in seiner NBK-Ausstellung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Andreas Slominski: Utopia liegt in der Garage: Höch-Preisträger Slominski

Andreas Slominski bekommt den Hannah-Höch-Preis. Seine Kunst ist rätselhaft, aber fesselnd. Eine Begegnung in seiner Ausstellung "Über die Freundschaft" im Neuen Berliner Kunstverein.

Mauerbau im Neuen Berliner Kunstverein. Vier Tage vor der Ausstellungseröffnung schichten Arbeiter noch Stein auf Stein. Die Ziegel sind aus China importiert, was die Sache nun nicht billiger, sondern teurer macht als nötig. „Chinesische Mauer“: Ein bombastischer Titel, ein Riesenaufwand – und dann diese klägliche Mauer, die auch noch ein Fenster blickdicht versperrt?

„Sieht karg aus, die Ausstellung, nicht?“ fragt Andreas Slominski, der die Schau „Über die Freundschaft“ als frisch gekürter Träger des Hannah-Höch-Preises konzipiert hat. Eine Fertigbau-Flachdachgarage ist im NBK zu sehen, ein paar Schilder an der weißen Wand, üppig geht wirklich anders. Jetzt stehen wir in der Metallgarage. Der Künstler – grau meliertes Haar, schwarzes Sakko, karierter Seidenschal – wirkt wie ein Dandy, der sich im Baumarkt verlaufen hat. Besitzt er eigentlich ein Auto? „Unnötig“, sagt Slominski. Er lebt in Werder an der Havel, mit dem Regionalexpress ist er schnell in Berlin.

Auch für den Arbeitsweg zur Hamburger Kunsthochschule, wo er studierte und seit 2004 lehrt, braucht Slominski kein Auto. Bekannt wurde der 1959 im niedersächsischen Meppen geborene Künstler mit Tierfallen. Das waren oft handelsübliche Geräte, die in den Ausstellungsräumen „fängisch“ gestellt wurden, also wirklich funktionierten. „Dadurch entsteht eine Spannung, als würde man eine Ohrfeige erwarten“, erläutert Slominski. Zahllose Fallen hat er gesammelt, auf- und ausgestellt. Teilweise hat er die Fallen verändert, einige hat er selbst entwickelt. In einer Sammlungsausstellung des Museum of Contemporary Art in Los Angeles wird zurzeit eine seiner großen Vogelfallen präsentiert. Diese Werke können Menschen zwar nicht gefährlich werden, aber sie „berühren“ den Betrachter, und diese körperliche Komponente, sagt Slominski, sei ihm besonders wichtig.

Es macht Spaß, mit Slominski zu reden. So lange man keine Werkerklärungen von ihm verlangt. Versucht man das, schweigt er. Ebenso zu der Frage, ob er ein Fallensteller geblieben sei – zum Beispiel einer, der Interpretationsfallen stellt, aus denen es für Kunstbetrachter kein Entkommen gibt. Ein verständliches Schweigen, denn ein Fallensteller gibt sich nicht zu erkennen. Und eine Falle, die nach Falle aussieht, ist auch eine gewesen. Slominski liebt das Paradox. Zwei Garagenbausätze ließ er für die NBK-Schau anschaffen. Eine Garage steht, nahezu fertiggestellt, im Ausstellungsraum. Da sie aber nicht ihren Zweck erfüllt, ist sie gar keine Garage. Die Teile des anderen Bausatzes lehnen zusammengelegt in einer Raumnische. Das könnte noch eine Garage werden.

Slominski stellt Bezüge zu Bert Brecht her

Garagen haben für Slominski ohnehin viel mit Utopie zu tun. „In der Garage wird die Zukunft entworfen“, sagt er, „Bands proben dort. Steve Jobs hat in seiner Garage den ersten Apple-Computer zusammengeschraubt“. Und dann ist da noch die Garage von Bertolt Brecht. Wenige Meter liegt die letzte Wohnung des Dichters, der ein großer Autoliebhaber war, vom Kunstverein entfernt. Dass eine Ausstellung immer mehr ist als die Summe ihrer Exponate, wäre in Slominskis Fall weit untertrieben. Sein „Berliner Ensemble“ bezieht die letzte Arbeits- und Wohnstätte von Brecht und Helene Weigel mit ein, die heute Gedenkstätte ist. Die Vielfalt der virtuellen Fäden, mit denen der Konzeptkünstler die beiden Orte verspinnt, lässt sich nur andeuten. Eine verbindende Rolle spielen Abschleppschilder. Im Kunstverein sind Piktogramme von Abschleppwagen und Pkw zu sehen. In Kombination mit dem Brecht-Gedicht „Die Freunde“ werden die Gefährte zu Gefährten umgedeutet. Man kann auch ein mal getrenntes, mal vereintes Liebespaar assoziieren, was Slominski mit dem Satz bestätigt: „Manchmal lässt man sich in der Disco abschleppen, ein andermal schleppt man selber jemanden ab“.

Die echten Schilder entlang der Friedhofsmauer, die zur Gedenkstätte führt, wurden durch ein ebenfalls korrektes Abschleppschild an der Zufahrt zum Dorotheenstädtischen Friedhof (wo Brecht und Weigel begraben sind) ergänzt. Das chinesisches Schild an Brechts Garage ließ Slominski importieren. Denn Brecht verehrte die chinesische Kultur, das bezeugen Masken, Rollbilder und Teppiche in der Wohnung, die er auf der Flucht vor den Nazis mitgenommen und zurück nach Deutschland gebracht hatte. Als das politische und kulturelle Klima in der DDR der frühen 50er Jahre giftiger wurde, dachte der Schriftsteller und Theatermann laut über ein „chinesisches Exil“ nach.

Als Mao Tse-tung 1949 die Volksrepublik China proklamierte, war das für Brecht ein Signal der Hoffnung. Er starb 1956, bevor seine Utopie bröckeln konnte. Heute sind die großen Utopien kaputt. Darin unterscheiden sich Slominski und sein „Freund“ Brecht. Brecht glaubte auch daran, dass seine Kunst die Welt verändern kann, während Künstler wie Slominski die Utopie durch das Absurde ersetzt haben. Im konkreten Fall durch eine Reihe von Versicherungspolicen, deren Bestätigungsformulare an der Garagenwand kleben. Da Brecht ein leidenschaftlicher und riskanter Autofahrer war (zwei Unfälle sind belegt), „befürchtet“ der Künstler, dass ein Wagen durch die Fensterscheibe des NBK krachen könnte. „Wir wollen doch nicht, dass die Chinesische Mauer zerstört wird!“ Warum steht sie dann da? Schweigen.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128, bis 26.1., Di-So 12-18, Do 12-20 Uhr

Jens Hinrichsen

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