zum Hauptinhalt

Kultur: Angriff der Killerbiene

Psychotanz: Choreografin Constanza Macras entdeckt mit „I’m not the Only One“ die Heimat

Von Sandra Luzina

Das ist doch mal ein Beispiel für vollkommen gelungene Assimilierung. Der Tänzer Jared Gradinger drückt sich in einem Kapuzenanzug an der Wand herum. Das Muster seines Ganzkörper-Trikots – rote Blümchen auf weißem Grund – ist mit der Tapete identisch, so dass der Mann fast mit seiner Umgebung verschmilzt. Eine Anpassung bis zum Unsichtbarwerden zeigt Constanza Macras als Vorspiel ihrer Produktion „I’m not the Only One“.

Die argentinische Choreografin, die für ihren wüsten Stilmix bekannt ist, hat schon die wichtigsten Bühnen Berlins bespielt. Mit ihrer wilden Dorky Park- Meute entert sie nun den Prater. Hier gilt das Gesetz der Serie, und so hat Macras ihr Material zum Thema Heimat und Fremde respektive fremder Heimat auf zwei Tanztheater-Abende mit unterschiedlicher Besetzung verteilt. Fremd unter Fremden – so könnte man jeden Macras-Abend überschreiben. Denn die Tänzer ihrer multinationalen Ensembles tragen den clash of cultures gern auch handgreiflich aus.

Im ersten Teil von „I’m not the Only One“ kann man die Tänzer bei ihren anstrengenden Anpassungsleistungen bewundern, wobei ein Macras-Akteur freilich früher oder später in die Auffälligkeit kippt, wenn nicht gar durch heftige Aus- und Anfälle an der Grenze der Selbstverletzung auf sich aufmerksam macht. Dieser Wunsch aufzufallen, ist es auch, der den blonden Knut Berger mit dem adretten Halstuch umtreibt. Der Darsteller erzählt mit trockenem Witz von seiner Kindheit und Pubertät, die er – das kommt erschwerend hinzu – in Gelsenkirchen durchleben musste, in Gesellschaft eines gewissen Onkel Bertold. Alles, was er begehrt, sind ein Paar Converse Allstar Chucks mit Leopardenmuster aus der Glow-in-the-Dark-Edition. Die magischen Schuhe strahlen dann wirklich im Dunkeln, und dank dieser Erleuchtung reift in dem jugendlichen Helden die Erkenntnis, dass er so schnell wie möglich weg muss aus Gelsenkirchen.

Was sind die Beweggründe von Menschen, die ihre Heimat verlassen? Dieser Frage ist Macras nachgegangen, dabei hat sie den Mythos der Heldenreise mit den biografischen Erfahrungen ihrer Tänzer kurzgeschlossen – freilich ohne großen Erkenntnisgewinn. Wenn die weizenblonde Jill Emerson erzählt, dass sie gegen den Rat ihrer Eltern das amerikanische Provinznest Clarion verlassen hat, um Tänzerin zu werden, ist das nur ein schaler Aufguss früherer Einfälle. Der dümmlichen Geschichte à la „Folge Deinem Traum“ weiß Macras immerhin ein paar böse Pointen abzugewinnen, etwa wenn es das naive Showgirl zur Audition ausgerechnet nach Bratislava verschlägt.

Doch der Tanztheaterabend lahmt von Anfang an – es fehlt an Tempo und Witz und einer schlüssigen Dramaturgie. Das Stück zerfällt in kabarettistisch anmutende Szenen, langweilige bis drastische Amateur-Videos, Live-Musik und Hard- Core-Körpertheater. Ihr eigentliches Thema verliert Macras darüber aus den Augen oder verrät es an den Klamauk. Erzählen wollte sie davon, was es bedeutet, permanent als Fremder wahrgenommen zu werden. Und was es heißt, sich fremd im eigenen Körper zu fühlen. Doch statt radikaler Formen der Selbst-Entfremdung sieht man überwiegend Selbst-Zitate.

Lustige Trivialisierungen gelingen Macras, wenn sie die Hindernisse schildert, denen die Protagonisten auf ihrer Odyssee begegnen. Jill muss sich nicht nur der erotischen Avancen eines Käseverkäufers erwehren, der will ihr auch noch statt des Gruyère einen Havarti andrehen. Artikulationsschwierigkeiten machen auch der Koreanerin Hyoung-Min Kim das Leben schwer, sie legt aber eine finstere Entschlossenheit an den Tag und mutiert schon mal zur Killerbiene.

Am schlimmsten trifft es mal wieder Jared, den unscheinbaren Tapetenmann. Der Amerikaner laboriert in jedem Macras-Stück an seinen sexuellen Problemen. Diesmal muss er eine abgefeimte Wichs-Szene durchstehen, denn weder Yoga-Stellungen noch eine reitkundige Koreanerin verschaffen ihm Erleichterung. Trotz brachialer Sex-Szenen, in denen ein Mikro schon mal zum Penis-Substitut wird, wirkt es fast routiniert, wie die Akteure sich zwischen Autoaggression und Selbstentblößung verausgaben. Zumal wenn Jill im Streben nach ihrer Berufung heftig ihren Fußpilz beklagt. Da lässt einen das Befremden der Künstler doch ziemlich kalt.

Wieder am: 20. und 30. Januar, 20 Uhr. Premiere des 2. Teils am 27. Januar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false