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Kultur: Angst im Gepäck

Von Teheran nach Deutschland: Helena Waldmanns Iran-Theaterstück

Von Sandra Luzina

Die Zelte sind noch dieselben, made in Iran. Doch die Bewohnerinnen sind jetzt andere – mit anderen Geschichten. Helena Waldmann hatte als erste westliche Choreografin ein Stück im Iran erarbeitet. „Letters from Tentland“, im Januar 2005 in Teheran uraufgeführt, war nicht nur ein Politikum, sondern in erster Linie ein exzeptionelles Theaterereignis. 43 Vorstellungen in 17 Ländern – ihr Zelt haben die sechs Iranerinnen in der ganzen Welt aufgeschlagen. Anfragen gab es noch viele, doch nach dem Regierungswechsel wurde es für die Darstellerinnen schwierig auszureisen. Aber Helena Waldmann weiß, wie man Schwierigkeiten produktiv begegnet. Sie hat sich entschlossen, ihr Stück neu zu inszenieren und einen radikalen Perspektivwechsel vorzunehmen.

„Return to sender – Letters from Tentland“, das beim Kunstfest Weimar seine Deutschlandpremiere erlebte, ist wie ein Antwortschreiben formuliert. „Liebe Banafshe, Mahshad, Pantea, Sara, Sima, Zoreh!“ beginnt die Regisseurin den ersten ihrer fünf Briefe. Sie weiß, dass diese Briefe nicht in Teheran ankommen, doch sie will die Korrespondenz nicht abreißen lassen. Und die eigentlichen Adressaten sind natürlich die Zuschauer.

Sechs Exil-Iranerinnen, sie alle leben in Berlin, bewohnen nun die Zelte. Und das ist erst einmal eine Provokation. Denn die meisten der jungen Darstellerinnen (einige kamen bereits als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland, eine hat den Status einer politisch Verfolgten) haben nie den Tschador getragen, und sie sprechen deutsch so gut wie Farsi. Sie haben – so meint man – die Segnungen westlicher Freiheit erfahren und können es sich leisten, zum anschließenden Gespräch nur die Männer hinter den Vorhang zu bitten. (Bei den Iranerinnen hieß es noch: Ladys only!) Diese selbstbewussten, attraktiven Frauen steckt Waldmann in ein enges Gehäuse, das sie bis zum Schluss nicht verlassen dürfen. Die Rechnung geht auf: In „Letters from Tentland“ war das Zelt vor allem eine Metapher für den Tschador; es lockte die verborgene Welt hinter dem Schleier. Hier nun versinnbildlicht es die nomadische Existenz, das innere Unbehaustsein. Und es spielt an auf das Unsichtbar-Sein vieler ausländischer Frauen. Die fremde Haut, die sie für viele zu anderen macht. Und das Zelt verweist auch auf das Erinnerungsgepäck, das Migranten mit sich herumschleppen.

Zu Beginn schlüpfen die sechs farbigen Zelte aus einem schwarzen Mutterzelt. Sie müssen sich durch einen schmalen Spalt pressen, sich mühsam aufrichten und auseinander falten. Eins bleibt liegen, wie ein Flunder robbt es über den Boden, während die anderen sich schwankend auf den Weg machen.

„Wo kommst Du her? Wer bist Du? Wo ist Dein Zuhause? Gehst Du wieder zurück?“ Vier Fragen wie Ohrfeigen. Sanam haut sie in ihrem wütenden Monolog dem Publikum um die Ohren. Aus dem Zeltversteck dringen deutliche Worte und verschlüsselte Botschaften, laute Gesänge und innige Gebete. Helena Waldmann betätigt sich wieder als raffinierte Verpackungskünstlerin. Wie in einem abstrakten Ballett wirbeln die sechs Zelt e über die Bühne. Sie stehen Kopf, schlagen Purzelbäume, schwanken und flattern, ziehen sich zusammen und werden gehäutet. Es ist grotesk und anrührend anzusehen, wie das Stück von eingeschränkter Wahrnehmung und Orientierungsverlust erzählt. Waldmann lässt ihre Darstellerinnen in schmerzlich reduzierten Spielräumen agieren und spürbar gegen Widerstände ankämpfen. Die Erinnerungen an die ferne Heimat werden zur Zuflucht. Und die Ansichten von Teheran werden überblendet von einem Puzzle aus Familienfotos.

Doch „Return to sender“ ist kein Stück über den Iran, es ist vor allem ein Stück über das Exil – und über die Angst. „Ich bin überrascht, dass die Angst auch hier in Europa so groß ist“, schreibt Helena Waldmann im zweiten Brief. Die Sicht der Regisseurin – in den Briefen in politisch-polemischen Ton formuliert – schiebt sich vor das Spiel der Darstellerinnen, die immer wieder einzelne Szenen aus den Teheraner „Letters“ überschreiben. Man muss ständig zwischen den Zeilen lesen. Die durchschlagende Kraft der ersten „Letters“ erreicht das Antwortschreiben zwar nicht, aber die Darstellerinnen agieren dabei mit einer wahren Ausdruckswut.

Das großartige Schlussbild zeigt die Enthüllung. Eine Utopie, vielleicht, auf jeden Fall eine schmerzliche Häutung. In einem wilden Tanz werfen die Frauen ihre Stoffhülle ab. Und man begreift, wie schwierig es ist, sich aus diesen Zelten zu befreien, aus dieser Schutzhaut, diesem Versteck.

Wiederaufführung am 14. und 15. Oktober im Radialsystem in Berlin

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