zum Hauptinhalt

Kultur: Anleitung zum Ruhestand

David Abbotts „Die späte Ernte des Henry Cage“

Viele Jahrzehnte lang war David Abbott in London ein erfolgreicher Werbemann mit eigener Agentur. Kurz vor seinem 60. Geburtstag ging er Ende 1999 in Rente. Wenige Monate später begann er, neben allerlei ehrenvollen Verpflichtungen, bedächtig an einem ersten Roman zu schreiben. Und worum geht’s? Um einen jahrzehntelang erfolgreichen Londoner Werbemann, der mit 58 in Rente geht – nun, immerhin nicht, um einen Roman zu schreiben.

Henry Cage heißt dieses Alter Ego David Abbotts, und man tritt seinem Erfinder gewisslich nicht zu nahe, wenn man behauptet, dieser Cage sei ein zwar distinguierter, aber nicht besonders interessanter Herr. Auf 360 Seiten, inklusive vorgeschaltetem Schicksalsschlag, breitet Abbott Cages Einübung ins Rentnerdasein aus, und das geschieht so lang wie breit in durchaus soigniertem Plauderton. Manche mögen das mögen.

Also: Von seiner Frau Nessa, die mit einem Schauspieler durchbrannte, hat Henry sich spät scheiden lassen, weshalb sein erwachsener Sohn Tom mit ihm brach. Also bewohnt Henry, während Nessa sich auf den ererbten Familiensitz in Florida zurückzieht, das Haus in Chelsea allein, hat eine ziemlich leidenschaftsarme Affäre mit einer früheren Angestellten und gerät ohne eigenes Verschulden in eine unschöne Belästigungsgeschichte, die – gottlob nicht für ihn – tödlich ausgeht. Als Nessa unheilbar an Krebs erkrankt, kommt es zur großen allgemeinen Kleinfamilienversöhnung, und Henry lernt seinen bereits fast vierjährigen Enkel Hal kennen.

Ist das die titelgebende späte Ernte, die Cage einfährt? Das wäre als literarischer Stoff denn doch zu banal. Wohl eher meint Abbott damit den eingangs geschilderten und dann nie wieder aufgegriffenen Schicksalsschlag, nur kommt der, wie die meisten Schicksalsschläge, eher unverdient. Henry Cage mag kein Engel gewesen sein, weshalb ihn seine Teilhaber auch ein wenig früh aus der Firma hinausgelobt haben, aber zum Schurken fehlt ihm, wie sich auf jeder Seite des Buches zeigt, jedwede Fantasie.

Das arg locker umbrochene und so zur robust strandtauglichen Paperbackware aufgepumpte Büchlein verspricht und hält seichte, jederzeit unterbrechbare Lektüre. Abbott gibt den nicht eben schlecht informierten Erzähler, wobei der zunächst nüchterne Ton zunehmend ins Schmalzige changiert. Schweift er von seiner unmittelbaren Allerweltsgeschichte ab, bleiben ihm Allerweltsweisheiten, etwa das Wetter, die wertvolle Stille in schönen Buchhandlungen oder auch Garten- sowie Unternehmenspflegetipps betreffend. Kostprobe? „Firmen verloren nicht über Nacht ihre Energie und Integrität. Beides nahm nach und nach ab. Ein kleiner Einschnitt hier, ein Kompromiss dort, und bevor man sich’s versah, war man Mittelmaß.“ Tja, so kann’s gehen. Jan Schulz-Ojala

Zur Startseite