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Kultur: Anstand ist langweilig

MUSIKTHEATER

Hat die Sex(red)seligkeit unserer Tage ihren Anfang in der Renaissance? Fast sieht es danach aus: Als die Türen des grellroten Bretterverschlags im Musikclub des Konzerthauses am Gendramenmarkt aufschlagen und vier schwarz gewandete Kerle herausstürzen, beginnt ein atemloses Spiel, das uns von den Fluchten der frühneuzeitlichen Liebe erzählt. Am Anfang ist alles noch Wort und Gesang: „Hast du die gesehen? Hat sie Brüste? Soll ich eine anständige Frau heiraten? – Nein, das ist mir zu langweilig.“ Dann betritt, anmutig und selbstvergessen, eine Tänzerin (Marianne Schuster) die Szene, und ein handgreiflicheres Werben beginnt. Es ist ein Wechselspiel zwischen Gesang, Lautenmusik und szenischem Maskenspiel, das die Lautten Compagney und die Regisseurin Heike Hanfeld unter dem Titel Doulce mémoire präsentieren (weitere Aufführungen: 21. 11. und 5. 12., 20 Uhr).

Der Chanson-Reigen zieht seine literarische Inspiration aus „Gargantua und Pantagruel“, jenem wirkungsmächtigen Romanwerk von Francois Rabelais, das sich im Kaleidoskop seiner sich übereinander türmenden Szenen oft selbst verliert. Doch das übermütige Spiel von Sprache und Gestik begleitet in „Doulce mémoire“ eine bedächtig und unbeirrt fortschreitende Lautenmusik, die Chansons von Janéquin, Sermisy, Sandrin und Orlando di Lasso variiert. Und so wenig die Musik aus dem 16.Jahrhundert dem schnell wechselnden Rhythmus des Alltagslebens folgen kann, so gelungen kontrastiert sie die Atemlosigkeit des szenischen Geschehens.

Thomas Thiel

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